Heute sind zwei bemerkenswerte Artikel in der taz erschienen (Schule braucht eine Revolution und Selbstüberschätzung eingebüßt). Sie handeln von täglichen Belastungen und alltäglichen Problemen, denen sich Schüler wie Lehrer in Deutschland ausgesetzt sehen. Dabei entsteht ein ziemlich nüchternes Bild unserer Klassenzimmer – und man gerät ins Grübeln: Können wir der deutschen Bildungsmisere überhaupt noch entfliehen?
Individuelle Förderung - heute schon möglich?
Individuelle Förderung – heute schon möglich?

Die Autoren beider Texte sind weder Journalisten noch „normale“ Lehrer. Sie sind Hochschulabsolventen, die sich im Rahmen der gemeinnützigen Alternative Teach First Deutschland verpflichtet haben, für zwei Jahre als „Fellows“ Schulen in sozialen Brennpunkten zu unterstützen. Sie alle beschreiben, wie nach einem Jahr Schulalltag nüchterne Erkenntnisse an die Stelle ihrer anfänglichen Motivation, Schule und Unterricht ein Stückchen besser zu machen, getreten sind.
„Individuelle Förderung durch individuelle Zielsetzung und individuelles Arbeitstempo? Fantastische Idee! Aber ich wüsste nicht, wie das zu bewerkstelligen sein könnte…“ schreibt beispielsweise Jan Schulte Holthausen. Mit Blick auf das extrem hohe Arbeitspensum von Lehrkräften keine unberechtigte Klage: Schon 2004 wies die Potsdamer Lehrerstudie auf die chronische Überbelastung von Lehrerinnen und Lehrern hin. Mit seiner Aussage hinterfragt Schulte Holthausen wohl auch ein wenig die zunehmend hoch im Kurs stehende Forderung nach einer neuen Lernkultur, die auf Stärkung des eigenverantwortlichen Lernens und individuelle Förderung setzt.
Es scheint oft, als würden sich hier zwei Meinungen unvereinbar gegenüberstehen. Auf der einen Seite befinden sich die Weltverbesserer, die wieder und wieder betonen, dass individuelle Förderung möglich sei, auch unter schwierigen Bedingungen. Auf der anderen Seite die Desillusionierten, die zur Antwort trocken auflachen und erwidern: „Wie denn bitte, bei 30 Schülern pro Klasse und ganzen Wagenladungen voller kognitiver sowie emotionaler Probleme?“
Ich würde mir wünschen, dass wir bei diesem Austausch von Standpunkten in Zukunft nicht mehr stehen bleiben. Auf die dringend nötige Erhöhung der Ressourcen, finanziell wie personell, zu verweisen, ist wichtig und angebracht. Andererseits könnte sich das Warten auf staatliche Zuwendungen angesichts klammer Kassen als Warten auf Godot entpuppen – es sollte daher nicht die einzige Handlungsoption sein.
Und die Autoren selbst beschreiben, dass es anders geht. Die von Fellow Antonie Curtius beschriebene Begeisterung der Schülerin Janine für die Französische Revolution und ihre vertiefenden Rückfragen entlocken in der Tat ein Lächeln. Kein kleines, resigniertes Lächeln übrigens, egal wie naiv ihre Erkenntnisse anmuten mögen. Interesse wecken, Nachfragen und Recherchen anregen, für Inhalte begeistern – das ist doch genau das, was Schule machen sollte. Denn so bereitet sie aufs Leben vor, viel eher als durch das Durchpauken eines bestimmten Stoffes in einem bestimmten Zeitraum.
Schülerzentriertes und kompetenzorientiertes Denken ist eben kein Modethema. Zu oft ist es als solches nicht ernstgenommen worden. Auch die Fellows sehen bei aller Kritik nicht völlig schwarz, was die Zukunft des Unterrichts angeht. Sie schlagen Lösungsansätze vor: Mehr Selbstständigkeit der Schulen beispielsweise, Teamwork im Kollegium und bessere Kooperation im Stadtteil. Ich würde eine stärkere Wertschätzung der unermüdlichen, motivierten Lehrer ergänzen. Nicht alles davon kostet Geld.
Sicherlich gibt es Probleme, die den aufgezeigten Handlungsrahmen sprengen, aber anfangen müssen wir. Daher sollten wir uns auf die Diskussion, wie wir auch heute schon den Unterricht verbessern können, einlassen.
Lea Weitekamp