Heute bin ich auf einen schon etwas älteren, aber guten Artikel der ZEIT gestoßen, der mir immer noch sehr aktuell erscheint, wenn auch in einem etwas anderen Kontext. „Ein guter Lehrer zu werden dauert sieben Jahre“ beschäftigt sich mit jungen Lehrern und ihren ersten Jahren im Job. Was über die notwendige Begleitung von Berufsanfängern in der Schule gesagt wird, könnte auch die Diskussion um individuelle Förderung bereichern.
ZEIT-Autor Tonio Postel beschreibt den Alltag der jungen Lehrerin Katharina Bornheim aus Moers und identifiziert dabei häufige Probleme, mit denen die frisch gebackenen Lehrer zu kämpfen haben: Praxisschock durch ein zu theorielastiges Studium, Unsicherheit im Schulalltag durch mangelnde Erfahrung. Diese Probleme machen wohl jedem Berufsanfänger, unabhängig vom Job, irgendwann einmal zu schaffen. Routine, der Blick für’s Wesentliche – all das braucht eben seine Zeit. Bis man ein guter Lehrer sei, dauere es sieben oder acht Jahre, sagt dazu Gabriele Bellenberg von der Universität Bochum.
Mit Teamwork die mangelnde Routine wettmachen
Spannend ist aber vor allem, welche Vorschläge Bellenberg und Ewald Terhart von der Universität Münster machen, um die negativen Auswirkungen dieser Anfangsschwierigkeiten abzufedern. Neben einem stärkeren Praxisbezug im Studium plädieren beide für ein gutes Unterstützungssystem an den Schulen.
Dabei geht es ihnen nicht nur um Problemvermeidung: Bellenberg, Terhart  und Maja Dammann vom Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung in Hamburg identifizieren Absprachen unter Kollegen sowie konstruktives Feedback als essentielle Voraussetzungen für die berufliche Entwicklung der Lehrer. Nur so ließe sich das eigene Profil finden und schärfen. „Lehrer werden nicht allein durch das Beherrschen bestimmter Theorien gute Pädagogen“ so Dammann, „sie brauchen Begleitung beim Ausprobieren neuer Routinen und das Gefühl, gerade im Praxisschock nicht alleingelassen zu werden“.
Diese Aussage passt in meinen Augen hervorragend zum aktuell diskutierten Übergang zur individuellen Förderung. Auch dieser ist ein Praxisschock für Lehrkräfte! Wer kennt nicht das Statement: „Hört sich in der Theorie ja ganz gut an, aber wie soll ich das praktisch umsetzen?“ (ähnlich besorgt erst gestern JochenEnglish). Und ohne diese Sorge kleinreden zu wollen – wäre das hier nicht ein Anfang? Auch komplizierte Methoden, die viel Vorbereitung erfordern, können ja irgendwann Routine werden und der Mehraufwand entfällt.
Hospitationen fördern Unterrichtsqualität – nicht nur im Referendariat
Die Umstellung wird sicherlich einfacher, wenn Kollegen sich gegenseitig unter die Arme greifen. Dies kann zum Beispiel durch Unterrichtshospitationen geschehen, die nicht nur für Referendare ein Gewinn sind. Vielerorts sind sie bereits fest in den Arbeitsalltag auch erfahrener Lehrer integriert. Immerhin lernen wir nie aus. Gabriele Bellenberg wertet Offenheit für reflexive Kritik als Grundvoraussetzung für die Qualitätssicherung des eigenen Unterrichts. Dies gilt nicht nur für Berufsanfänger.
Ich sehe noch eine weitere Parallele zwischen den Nöten junger Berufseinsteiger und der Diskussion um individuelle Förderung: Vielleicht sollten sich Lehrerinnen und Lehrer öfter mal daran zurück erinnern, dass sie zu Beginn ihrer Laufbahn vor einem ähnlich furchteinflößenden Berg standen. Und dass sie das Unmögliche da auch geschafft haben. Denn sie sind schließlich besser als ihr Ruf.