Dieser Beitrag wurde verfasst von: Rieke Bernard.

In der aktuellen Diskussion um Qualität von Schule und Unterricht wird viel über individuelle Förderung gesprochen. Findet diese innerhalb von Klassen oder Kursen im Unterricht statt, geht es um innere Differenzierung (http://wikis.zum.de/vielfalt-lernen/Binnendifferenzierung).
Frau L., als erfahrene Oberstufen-Lehrende und Praxisforscherin bietet hierzu in NRW Weiterbildungen an. Sie engagiert sich mit Freude in diesem Bereich, weil sie sieht, dass die Lehr-Lernkultur sich verändert bzw. sich verändern muss. Dabei ist es ihr Ansatzpunkt, neben der Vermittlung von Methodenkompetenz insbesondere an der individuellen Lehrerprofessionalität der Teilnehmenden der Weiterbildung anzuknüpfen.
Das Konzept der Weiterbildung für innere Differenzierung
Das Weiterbildungskonzept ist modularisiert und flexibel angelegt, um den interessierten Schulen eine je an ihren individuellen Bedarfen angemessene Weiterbildung zur inneren Differenzierung anbieten zu können. Dafür wird zunächst ein Fragebogeninstrument an die nachfragende Schule ausgehändigt, das am besten nicht nur von der Schulleitung und Steuergruppe, sondern auch von Teilen des Kollegiums ausgefüllt werden sollte, um den Ist-Stand, den tatsächlichen Bedarf, die Wünsche und eventuell vorhandene Ressourcen der einzelnen Schule zu ermitteln.

Teilnehmende an einer Weiterbildung
Teilnehmende an einer Weiterbildung

Darauf basierend werden die jeweils passenden Module zu einer Gesamtkonzeption für eine adressatengenaue Weiterbildung verbunden. In der Regel ist ein Modul zur Theorie innerer Differenzierung immer dabei. Weitere Inhalte und Themen sind Methoden innerer Differenzierung, Lehrerkooperation, Innovationsbereitschaft, sowie Lehrerprofession, Professionalität und Professionalisierung: also welches Verständnis hat eine Lehrkraft von ihrem Beruf, welche Einstellungen und Haltungen, welches Maß an Innovations- und Kooperationbereitschaft benötigt sie, um das in der Weiterbildung zur inneren Differenzierung Erlernte in der eigenen Praxis umsetzen, weiterentwickeln und beibehalten zu können (Zlatkin-Troitschanskaia et al. 2009).
Zentral ist der rote Faden des Weiterbildungsangebots: der Bezug zur konkreten Unterrichtspraxis, also das Aufzeigen konkreter Möglichkeiten der Umsetzung und Handhabbarkeit von innerer Differenzierung, Nennung von Schwierigkeiten und Chancen.
Didaktisch-methodisch ist die Weiterbildung abwechslungsreich angelegt und orientiert sich an den Adressaten, ihrer Aktivierung und Motivierung. Phasenweise können die TeilnehmerInnen an sich selbst erfahren, wie innere Differenzierung abläuft: im Modul Theorie, Praxis und Methoden wird mit der binnendifferenzierenden Methode Stationenlernen (s. z.B. Wäcken 2010; Reich 2008) gearbeitet. In einer anschließenden Reflexionsrunde bekommen die Teilnehmenden die Möglichkeit, ihren eigenen Umgang mit erlebter Binnendifferenzierung kritisch-konstruktiv zu beleuchten. Diese Reflexion ermöglicht ihnen zudem, die Perspektive der Schüler einnehmen zu können, wenn diese mit neuen Unterrichtsmethoden und damit einhergehenden veränderten Anforderungen und Herausforderungen konfrontiert werden.
Um den Lehrkräften gegen Ende der Weiterbildung eine erste kritisch-konstruktive sowie selbsttätige Auseinandersetzung in Bezug auf eine Realisierung innerer Differenzierung in ihrer Schule und ihrem Unterricht zu ermöglichen, ist bislang die Methode der Zukunftswerkstatt (s. z.B. Reich 2008) zum Einsatz gekommen. Gemeinsam sollen die Teilnehmer einer Schule damit in einem ersten Schritt ausloten, wo die Ansatzpunkte oder Schwierigkeiten der eigenen Schule für eine Einführung und Implementation innerer Differenzierung liegen. In einem zweiten Schritt folgt eine Umwandlung der Kritik in eine positive Formulierung, um danach gemeinsam Visionen oder Utopien zu entwickeln. Dieser Schritt, der abhebt von den Begrenzungen durch die Realität, soll ermöglichen, dass Schulen sich an Visionen orientieren, um sich letztlich ein höheres Zielniveau zu setzen, das Ansporn und Lust zum Weitermachen bietet. Durch Einnahme dieser höheren Ebene soll wirklicher Fortschritt erreicht werden.
Die einzelne Weiterbildung wird summativ evaluiert und ihre Ergebnisse werden in die Einzelschule zurückgemeldet. Die Ergebnisse werden aber auch im Sinne einer formativen Evaluation genutzt, um die Qualität des Konzepts der Weiterbildung für innere Differenzierung zu sichern und weiter zu entwickeln.
Chancen und Grenzen der zum Einsatz kommenden Weiterbildungskonzeption an Regelschulen
Aufgrund tendenziell nicht ausreichender, insbesondere zeitlicher, aber auch finanzieller Ressourcen innerhalb der Einzelschulen findet das Weiterbildungskonzept bislang in der Regel als eintägige Veranstaltung statt. Dies ist aus Sicht von Frau L. insofern nicht unproblematisch, da es sich so nicht genügend produktiv auswirken kann. Die Erfahrungen in ihrer eigenen Schule und in weitergebildeten Regelschulen haben bislang gezeigt, dass eine Weiterbildung für den notwendigen Wandel der Lehr-Lernkultur und hier speziell zur inneren Differenzierung viel Zeit und Kontinuität benötigt. Es handelt sich folglich um einen zu institutionalisierenden Lern- und Entwicklungsprozess, der mindestens zwei bis drei Jahre in Anspruch nimmt und durch professionelle Beratung begleitet werden sollte. Ansonsten besteht die Gefahr, dass die Weiterbildung auf der Ebene eines ersten Impulses verbleibt und die Chance für Verankerung im Schulalltag und Nachhaltigkeit zu gering ist.
Frau L. schildert auch, dass der Weiterbildungsprozess zur inneren Differenzierung kleinschrittig angegangen werden sollte: mehrere Tage und Teamertage, um das Kollegium dort abzuhohen, wo es steht und Widerstände transparent zu machen, ernst zu nehmen und zu überwinden. Kollegialität und Kooperation als Schlüsselfaktoren in der Unterrichtsentwicklung müssen von den TeilnehmerInnen erkannt und das häufig noch existierende „Einzelkämpfertum“ überwunden werden.
Ein wichtiger Gelingensfaktor für innere Differenzierung sei auch die Überwindung des 45-Minuten-Takts des Unterrichts. Dies ist ein Moment, das die Einzelschule im Rahmen ihrer Teilautonomie selbst gestalten kann und auch nutzen sollte.
Erfahrungen zum Umgang von Lehrkräften mit der Weiterbildung
Frau L. hat in ihren Weiterbildungen wahrnehmen können, dass die Lehrerinnen und Lehrer einerseits und vor allem zu Beginn des Tagesprogramms sehr wissbegierig sind, Neues zum Thema innere Differenzierung kennen zu lernen, andererseits und im Verlaufe des Tages zum Teil zunehmend einen inneren Widerstand entwickeln. Dieser gründet auf Vorbehalten und Befürchtungen, dass mit Einführung von innerer Differenzierung in ihren Unterrichtsalltag ihre Arbeitsbelastung noch weiter steigen könnte, aber auch aus „Ohnmachtsgefühlen“ angesichts der wenig konstruktiven Rahmenbedingungen, die den individuellen Schulalltag negativ beeinflussen.
Die Reflexion des individuellen Lernens und eigenen Verhaltens der TeilnehmerInnen im Stationenlernen lässt zudem die Lehrkräfte erkennen, wo ihre eigenen Grenzen liegen. Bei manchen von ihnen kann dies zu „inneren Verletzungen“ führen, so dass wiederum innere Hürden aufgebaut werden.
Spätestens an dieser Stelle wird laut Frau L. deutlich, wie wichtig für die Lehrkräfte eine konstruktive Selbstreflexion in Bezug ihre eigenen Kompetenzen und erforderliche Professionalisierung ist. Ferner ist zentral herauszustellen und zu verdeutlichen, dass die Unterrichtsentwicklung im Sinne innerer Differenzierung a) sehr viel Zeit und z.T. andere Räumlichkeiten erfordert, die institutionell zur Verfügung gestellt werden müssen und b) dass kollegiale Kooperation z.B. in Form von gegenseitigen Hospitationen, kollegialer Beratung und Feedback sowie Teamarbeit für erste Erprobungen von binnendifferenzierenden Lernarrangements und Methoden eine Entlastung auch auf Dauer für den Einzelnen darstellt und von der zu Beginn des Prozesses eigenen Mehrarbeit entlastet.
In der Zukunftswerkstatt haben die Lehrkräfte interessante Ideen und Visionen entwickelt. Die bislang häufig eher unzureichenden Rahmenbedingungen und institutionellen Ressourcen der Einzelschule erschweren aber durchaus sowohl die Orientierung daran, als auch eine kontinuierliche Verfolgung der dort gesteckten Ziele.
Einführung und Implementation von innerer Differenzierung braucht mehr als kompetente Lehrkräfte
Frau L. kommt zu dem Schluss, dass einerseits das Interesse und die Bereitschaft der Lehrkräfte, ihren Unterricht im Sinne innerer Differenzierung weiter zu entwickeln durchaus vorhanden sind. Dass es andererseits aber unbedingt erforderlich ist, den Einzelschulen die dafür erforderlichen Ressourcen durch Länder- und Lokal- und Trägerebene zur Verfügung zu stellen. Eine einseitige Verantwortung für den erforderlichen Wandel der Lehr-Lernkultur zu Lasten der Lehrkräfte konterkariert schon im Ansatz einen erfolgreichen Verlauf.
Sie bildet auch weiterhin gerne und motiviert ihre KollegInnen aus, macht aber auch deutlich, dass Erfolg und Nachhaltigkeit für Einführung und Verankerung von innerer Differenzierung im Unterricht von zu verändernden Faktoren in der Bildungspolitik abhängen.
Rieke Bernard
Literatur: