Lehrkräfte lernen von- und miteinander
Lehrkräfte lernen von- und miteinander

Das Thema Lehrerfortbildung ist aktuell. Eigentlich so aktuell wie nie. Denn Lehrkräfte in Deutschland sehen sich mit stetig wachsenden Anforderungen konfrontiert. Die Ursachen hierfür sind vielfältig: Die Schulen mit deutlich heterogener Schülerschaft nehmen zu, die daraus resultierende Notwendigkeit, Lernprozesse stärker zu individualisieren wird größer. Hinzu kommen Themen wie Inklusion, Ganztag und Prävention. In den letzten Jahren verändert sich Schule nicht mehr nur in einzelnen Bereichen, sie erfährt einen grundsätzlichen Paradigmenwechsel. Die Frage ist, wie Lehrkräfte bei der Bewältigung dieser Herausforderungen unterstützt werden können.

Kompetenzen für den Umgang mit Heterogenität

Vielfalt im Klassenzimmer ist nichts Neues. Derzeit gelingt es uns allerdings noch nicht, allen Kindern und Jugendlichen in ihrer Vielfalt gerecht zu werden, sie zum Bildungserfolg zu führen und damit auch den sozialen Zusammenhalt im Land zu festigen. Doch was muss sich ändern? Der Schlüssel dazu liegt in einem Unterricht, der individuell fördert, der also jedes Kind und jeden Jugendliche entsprechend des individuellen Lern- und Entwicklungsstandes unterstützt. Unterricht so weiterzuentwickeln, dass dies gelingt, fordert die einzelne Lehrkraft und das gesamte Kollegium. Denn die Stellschrauben, an denen man zur Weiterentwicklung von Unterricht drehen muss, sind zahlreich:
• Die Voraussetzung dafür, dass sich für Schüler merklich etwas ändert, ist dass die Lehrkräfte gemeinsam, in Teams, etwas bewegen. Nur so werden auch die Lehrkräfte einen Schub für eine Entwicklung ihrer Schule insgesamt wahrnehmen können: Kollegen müssen so zusammenarbeiten, dass sie ein gemeinsames Verständnis von Unterricht entwickeln, sich über die Lernentwicklung ihrer Schüler in unterschiedlichen Fächern austauschen, sich überlegen, an welchen Stellen sie ihren Unterricht noch weiterentwickeln sollten und wie sie dies realisieren können.
• Schon bei den Teams spielt Feedback eine wichtige Rolle: von Lehrkraft zu Lehrkraft beispielsweise über kollegiale Unterrichtshospitationen. Feedback sollte sich jedoch nicht auf diese Ebene beschränken. Wenn Unterricht weiterentwickelt werden soll, ist es wichtig, auch das Feedback der Schüler einzuholen – zum Unterricht selbst, aber auch dazu, wo sie gerade stehen. Schüler und Lehrkräfte können so über gegenseitiges Feedback abgleichen, welche nächsten Lernschritte aus der Abgleichung der Wahrnehmung folgen. Auch das Schüler-Schüler- Feedback kann für die Weiterentwicklung von Unterricht genutzt werden.
• Damit Lehrkräfte ihren Unterricht so anlegen können, dass Schüler adäquat gefördert werden, benötigen sie ein besseres Verständnis davon, wie sie noch genauer diagnostizieren können und was eine professionelle pädagogische Diagnostik ausmacht. Hier spielt die reflektierte Hypothesenbildung und -überprüfung eine wichtige Rolle, der Abgleich von Wahrnehmungen mit Kollegen und der Einbezug der Schülerperspektive.
• Um Unterricht weiter zu entwickeln und Schüler entsprechend ihres Lernstands und ihrer Interessen noch besser zu fördern, müssen Lehrer das selbstgesteuerte Lernen fördern. Das bedeutet nicht, dass Lehrkräfte ihre Verantwortung abgeben oder nur noch in eine Beraterrolle gehen sollen – sie müssen den Lernprozess der Schüler in ihren Fächern im Blick behalten und für den Aufbau von Selbststeuerungskompetenzen und Lernstrategien sorgen. Diese Stellschraube, der didaktische Kernbereich, ist zweifelsohne die komplexeste. Die Grundelemente des Bereichs sind die fachliche Klarheit und Strukturiertheit und führen über eine effektive Klassenführung hin zu konkreten Prinzipien wie dem Kooperativen Lernen und Lerncoaching. Um an dieser Stellschraube zu drehen, muss man viele kleine Schräubchen bewegen.
Lehrkräfte als lebenslang Lernende
Wie und wann können Lehrkräfte ihre Kompetenzen dazu erweitern? Ist dieser Prozess irgendwann abgeschlossen? Hierzulande werden drei Phasen der Lehrerbildung bzw. -professionalisierung unterschieden: In der ersten Phase, dem Hochschulstudium, geht es eher um theoretische Grundlagen in den Fachwissenschaften und -didaktiken sowie der Erziehungswissenschaft. Der Umgang mit Schülerheterogenität kann hier nur theoretisch umrissen werden. Bestenfalls ist er noch gespickt mit einigen schulpraktischen Erfahrungen. Inwieweit sich Studierende jedoch schon durch die erste Phase praktisch auf den Umgang mit ganz unterschiedlichen Schülern vorbereitet fühlen, kann hinterfragt werden. Der Praxisbezug in der zweiten Phase ist deutlich höher; der Einstieg in die dritte Phase, die mit einem sehr viel größeren Lehrdeputat einhergeht, stellt aber einen besonderen Anspruch dar.
Auch mit Blick auf spezifische schulische Schwerpunkte, Neuentwicklungen oder eine zunehmende schulische Autonomie ergeben sich Herausforderungen für junge wie erfahrenere Lehrkräfte. Schulen müssen heute viel stärker ihre eigenen Entwicklungsschwerpunkte festlegen und müssen die dafür notwendigen Unterrichtskonzepte selbst erarbeiten. Das Ganze muss darüber hinaus angepasst werden an das schulische Umfeld und das Klientel. Wie gut die Vorbereitung in der ersten und zweiten Phase auch sein mag, wer heute in Schule tätig ist, braucht ebenso die Fähigkeit, sich auf neue Herausforderungen einzustellen, wie auch die Bereitschaft, Entwicklungsbedarfe mit zu bearbeiten. Das alles ohne Unterstützung anzugehen, ist nicht nur enorm anspruchsvoll, sondern auch wenig sinnvoll. Mit den Fort- und Weiterbildungen im aktiven Berufsleben folgt deshalb eine dritte Professionalisierungsphase.
Lehrerfortbildung in Deutschland
Lehrerfortbildungen sind in allen Bundesländern verpflichtend. Allerdings unterscheiden sich die Vorgaben dafür von Land zu Land. So ist unterschiedlich geregelt, ob Fortbildungen in der unterrichtsfreien Zeit stattfinden können beziehungsweise müssen oder ob eine Teilnahme nachzuweisen ist. Auch die Zahl der zu besuchenden Fortbildungsmaßnahmen variiert je nach Bundesland stark.
Lehrkräfte in Hamburg müssen pro Jahr zum Beispiel 30 Stunden Fortbildung nachweisen. Es reicht aber, wenn die Fortbildungen in einem selbstständig geführten Fortbildungsportfolio dokumentiert werden. Dieses Portfolio ist nicht nur Beleg für die erworbenen Kompetenzen, es dient auch als Grundlage für die schuleigene Personalentwicklung und Fortbildungsplanung. In Bayern ist die Fortbildungspflicht erfüllt, wenn innerhalb von vier Jahren zwölf Fortbildungstage nachgewiesen werden. Ein Drittel dieser Tage soll als schulinterne Lehrerfortbildung absolviert werden.
In vielen Ländern lässt sich ein Trend hin zur schulinternen Lehrerfortbildung (SchiLF) beobachten. Damit soll unter anderem die Kompetenzentwicklung von Kollegien und Teams hin zu professionellen Lerngemeinschaften gestärkt werden. Mehrtägige Fortbildungen mit integrierten Praxis- und Reflexionsphasen sind wirksamer als eintägige Fortbildungsmaßnahmen, doch nicht überall bilden sie den Schwerpunkt der Maßnahmen eines Landes. Vielerorts gibt es zahlreiche 1-Tages-Fortbildungen: Dabei ist empirisch belegt, dass dieses Format kaum das Potenzial hat, unterrichtliches Handeln von Lehrern zu verändern.
Im Rahmen ihrer erweiterten Selbstständigkeit bestimmen die Schulen die Themen der Fortbildungsangebote häufig selbst. Dies geschieht auf Grundlage interner Fortbildungsplanungen, die wiederum das Resultat von Schulentwicklungsprozessen bzw. interner oder externer Evaluation sein können. Die Fortbildungsinhalte sind in der Regel ein Abbild der gesellschaftlichen und pädagogischen Herausforderungen: Inklusion, Ganztagsschule, Differenzierung und Individualisierung des Lernens, kooperatives und selbstverantwortliches Lernen, Kompetenzorientierung stehen derzeit im Mittelpunkt der Lehrerfortbildungen.
Wie wirksam und nachhaltig sind Fortbildungen?
Lehrerfortbildungen sind dann besonders wirksam, wenn sich an Vortrags- und Erprobungsphasen noch eine Reflexionsphase anschließt. Sie ermöglicht es, das Erlernte mit der persönlichen Erfahrung in der Praxis abzugleichen. Wenn Wirkungen sich nicht nur auf Ebene einer einzelnen Lehrkraft, sondern auf Ebene der Schule entfalten sollen, sollte mindestens ein Team von Kollegen an einer Qualifizierung teilnehmen. Selbst dann stellt der Transfer in das Kollegium noch eine Hürde dar, die ohne Konzept und systematische Vorbereitung häufig nicht genommen wird.
Generell gilt schließlich: Fortbildungsmaßnahmen ohne direkten Bezug zur Unterrichtspraxis führen zu keinen wirklichen Veränderungen im Lehrerverhalten. Wissenschaftler bezeichnen dieses Phänomen als „Transferlücke“: Trotz Wissenszuwachs ist nach der Fortbildung kein Transfererfolg in die Praxis zu beobachten. Lehrkräfte sind nicht in der Lage, das erworbene Wissen und die erlernten Praktiken auch umzusetzen. Die meisten Fortbildungen nach klassischem Muster führen zu keiner signifikanten Verbesserung der Schülerleistung. Das ist durchaus ernüchternd.
Trendaussagen zu wirksamer Fort- und Weiterbildung
Aus dem gegenwärtigen Forschungsstand lassen sich allerdings einige Trends zur Wirksamkeit von Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen ableiten. Werden diese Trends berücksichtigt, haben Fortbildungen das Potenzial, Lehrerwissen und Lehrerüberzeugungen zu verändern und auch zu einem veränderten Lehrerverhalten im Unterricht beizutragen, das sich bis auf die Schüler auswirkt. Schulen sollten:

  1. Fortbildungsbedarf definieren und mit dem Schulprogramm abgleichen: Ohne den Rückhalt des Kollegiums geht es nicht! Deshalb sollte die Lehrerkonferenz, mit Absicherung durch die Schulkonferenz, ihre Fortbildungsbedarfe selbst bestimmen.
  2. Umfang und Dauer der Fortbildungen planen: Eine Fortbildung sollte längerfristig angelegt sein – mit mehreren Terminen, zwischen denen eine Erprobung des Gelernten im Unterricht vorgesehen ist.
  3. Fortbildung sinnvoll strukturieren: Hier gilt: Jede Fortbildung sollte aus mehreren Phasen bestehen, die sinnvoll miteinander verzahnt sind: Input – exemplarische Erprobung in der Fortbildung – Anwendung in der eigenen Unterrichtspraxis – Reflexion.
  4. Die richtige Organisationsform finden: Wenn eine Fortbildung Auswirkungen für die Schule als Ganzes zeigen soll, ist es sinnvoll, auch das gesamte Kollegium zu beteiligen. Können stellvertretend nur Einzelpersonen teilnehmen, gilt: Ohne ein zuvor mit Steuergruppe und Lehrerkonferenz abgestimmtes Transferkonzept ist die Implementierung von Inhalten im Gesamtkollegium schwierig.
  5. Praxisbezug sicherstellen: Fachwissenschaftliche Theorien sollten mit praxisbezogener Fachdidaktik und praktischen Unterrichtsbeispielen kombiniert werden. So fällt Lehrkräften die Umsetzung im Fachunterricht leichter und entstehen positive Lerneffekte für die Schüler.
  6. Fachlicher Fokus: Konkret ist besser als abstrakt! Ein konkretes fachliches Problem hilft Lehrkräften deutlich besser, sich mit Ideen, Gedanken und (Fehl-)Konzepten von Schülern beschäftigen zu können als ein abstrakter oder zu weit gefasster Gegenstand.
  7. Professionelle Lerngemeinschaften und Feedback: Ohne Zusammenarbeit und Feedback keine Weiterentwicklung von Schule! Eine Grundlage für die Weiterentwicklung des Unterrichts können beispielsweise kollegiale Hospitationen sein.
  8. Zentrale Rolle der Schulleitung: Für den erfolgreichen Transfer von Fortbildungsmaßnahmen braucht es die Unterstützung der Schulleitung.

Nur Fortbildungen, die die genannten Kriterien erfüllen, haben auch wirklich das Potenzial, Unterricht, Lehrerverhalten und letztlich den Lernerfolg von Schülern zu verbessern.
Literatur:
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Klippert, H. (2010). Heterogenität im Klassenzimmer. Wie Lehrkräfte effektiv und zeitsparend damit umgehen können. Weinheim und Basel: Beltz.
Lipowsky, F. (2010). Lernen im Beruf – Empirische Befunde zur Wirksamkeit von Lehrerfortbildung. Gefunden am 19.11.13 unter http://www.uni-kassel.de/einrichtungen/ fileadmin/datas/einrichtungen/zlb/J2010_-_Lipowsky_ Lernen.pdf
Lipowsky, F., Rzejak, D. & Dorst, G. (2011). Lehrerfortbildung und Unterrichtsentwicklung. Oder: Wie können Wirkungen des eigenen Handelns erfahrbar gemacht werden? Pädagogik, H.12 (2011), 38– 41.
Lipowsky, F. (2004): Was macht Fortbildungen für Lehrkräfte erfolgreich? In: Die Deutsche Schule, H.2 (2004), 462–479.
Stern, E. (2009). Implizite und explizite Lernprozesse bei Lehrerinnen und Lehrern. In O. Zlatkin-Troitschanskaia, K. Beck, D. Sembill, R. Nickolaus & R. Mulder (Hrsg.), Lehrprofessionalität- Bedingungen, Genese, Wirkungen und ihre Messung (S.355 –365). Weinheim: Beltz.