Dieser Beitrag wurde verfasst von: Daniel Schneider.

Die Flüchtlingszahlen haben im letzten Jahr ein neues Rekordniveau erreicht. 1.091.894 Asylsuchende wurden 2015 in Deutschland erfasst[1]. Wie u.a. dem Kommissionsbericht der Robert Bosch Stiftung zu entnehmen ist, befinden sich unter den Flüchtlingen ca. 94.000 Kinder im Krippen- und Kindergartenalter und etwa 155.000 Kinder im schulpflichtigen Alter bis 16 Jahren. Somit steht das Bildungssystem vor einer großen Herausforderung und Verantwortung.
Viele der Flüchtlinge, die in Deutschland ankommen, sind minderjährig. Der Anteil der Säuglinge und Kleinkinder im Kita-Alter ist im Vergleich zur Altersstruktur der deutschen Bevölkerung unter den Flüchtlingen besonders hoch (vgl. Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration 2015). Neben den Flüchtlingskindern, die, wie alle Kinder in Deutschland, einen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz vom vollendeten ersten Lebensjahr an haben, so haben auch die Kinder und Jugendlichen im schulpflichtigem Alter ein Recht auf Bildung. Das Recht auf Bildung für Flüchtlinge wird auf europäischer Ebene in Artikel 27 der Qualifikationsrichtlinie aufgegriffen. Da jedoch die Schulpflicht von den Bundesländern unterschiedlich definiert wird, gilt für neu zugewanderte Kinder und Jugendliche das jeweilige Gesetz des Bundeslandes, in dem sie sich aufhalten oder wohnen.
 

Wie kann gute Integration gelingen?

Damit stellt sich die Frage, wie eine möglichst gute Integration dieser Kinder gelingen kann. Einige Länder haben bereits Modellprojekte und Initiativen hierzu angestoßen, um diesem Ziel näher zu kommen. Eine zentrale Gelingensbedingung ist die Sprachförderung, denn für einen erfolgreichen Bildungsverlauf und die Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben sind sprachliche Kompetenzen unabdingbar. Da Kinder nichtdeutscher Herkunftssprache im deutschen Bildungssystem im Durchschnitt deutlich weniger erfolgreich als Kinder ohne Migrationshintergrund sind, wird der Zweitsprachförderung allgemein eine hohe Relevanz beigemessen. Im Anhang zu diesem Eintrag findet sich eine – sicher nicht vollständige Liste – von aktuellen Initiativen in den Ländern, die aufgrund der ständig neu hinzukommenden Projekte eine stetige Aktualisierung erfordern würde. Exemplarisch werden nachfolgend zwei Beispiele für gelingende Sprachförderung in Baden-Württemberg und NRW vorgestellt.

Wie kann gute Sprachförderung gelingen?

In Baden-Württemberg erfolgt ab dem Kindergartenjahr 2015/2016 eine intensive Förderung von Kindern mit Flüchtlingshintergrund durch ein Sprachförderprogramm, das sich SPATZ nennt und zwei unterschiedliche Förderwege beinhaltet: die intensive Sprachförderung (ISK) und/oder Singen-Bewegen-Sprechen (S-B-S). Die zusätzlichen Mittel für das Sprachförderprogramm SPATZ sollen laut Staatssekretärin v. Wartenberg Flüchtlingskindern sehr früh die Sprachförderung im Kitabereich ermöglichen: „Dies ist notwendig, denn der Spracherwerb ist die Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe und Integration.“ (https://www.baden-wuerttemberg.de/de/service/presse/pressemitteilung/pid/intensive-foerderung-von-fluechtlingskindern-ab-kindergartenjahr-201516/ ).
Auch in der Schule gibt es verschiedene schulorganisatorische Modelle, wie neu zugezogene Kinder und Jugendlichen im Unterricht aufgenommen und gefördert werden können. Ein Beispiel ist das NRW Modellprojekt „Zusammen – Zuwanderung und Schule gestalten“, welches in vier Duisburger Modellklassen umgesetzt wird. Die jeweils zwei Modellklassen befinden sich am Elly-Heuss-Knapp Gymnasium und an der Gemeinschaftsgrundschule Regenbogenschule. Das Modellprojekt entwickelt transferfähige Bausteine für neuzugewanderte Kinder und Jugendliche mit geringer Schulerfahrung. Diese sollen als Grundlage für die Entwicklung

  • zum Arbeiten in multiprofessionellen Teams,
  • als curriculare Bausteine, die die schulische als auch die soziale Integration berücksichtigen,
  • zur Fortbildungskonzepten für Lehrpersonen, die mit Seiteneinsteigerklassen arbeiten
  • und zu einer Diagnostik, die die sprachliche und auch die soziale Entwicklung der Schüler berücksichtigt dienen.

Dabei setzt das Projekt auf Teams, die sich aus Lehrkräften, sozialpädagogischen Fachkräften und interkulturellen Beratern, letztere mit herkunftssprachlichen Kompetenzen, zusammen, die die Kinder und Jugendlichen bei der Sprachförderung, der Gewöhnung an den Schulalltag und bei der sozialen Integration unterstützen. Die Teams werden vom Kommunalen Integrationszentrum der Stadt Duisburg, von RuhrFutur, dem Amt für schulische Bildung und der Schulaufsicht sowie von dem Projekt ProDaz der Universität Duisburg-Essen begleitet (http://www.zuwanderung-und-schule.de/home/).
Die Landesregierung NRW hat für 2015 insgesamt sechs Millionen Euro zusätzliche Mittel für die Betreuung von Kindern mit Flüchtlingshintergrund bereitgestellt. Um einen sinnvollen Einsatz der Mittel zu gewährleisten, wurden konkrete Möglichkeiten der Unterstützung mit den Kommunen und den Vertretern der freien Wohlfahrtspflege diskutiert. Herausgekommen ist, dass zwei zentrale Punkte besondere Aufmerksamkeit erfordern: Hilfeleistungen für traumatisierte Minderjährige und Sprachförderung.

Besondere Herausforderung für Lehrkräfte und Pädagogen – und Ideen zu ihrer Bewältigung

Lehrkräfte und Pädagogen stehen im Jahre 2016 demnach vor der großen Herausforderung, mit traumatisierten und der deutschen Sprache nicht mächtigen Kindern zu kommunizieren und diese zu fördern. Nachfolgend möchte ich ein paar Gedanken darlegen, die aus meiner Sicht bislang kaum thematisiert wurden, aber Gehör finden sollten.
Fakt ist, dass Kinder aus Flüchtlingsfamilien in der Schule viel zu selten Texten bzw. Inhalten begegnen, die sich an ihrem aktuellen Lebensalltag orientieren. Dabei ist die Orientierung und Thematisierung der Lebenswirklichkeit dieser Kinder eine Grundvoraussetzung für eine gelingende Kooperation zwischen Pädagogen, Lehrkräften und Eltern. Die Intention muss also sein, die Kultur und Lebenswelt wie auch die Medienwelt der Kinder mit Flüchtlingsgeschichte in den Fokus des schulischen und außerschulischen Lernprozesses zu stellen: Die Reihenfolge muss lauten: Erst kommen die Themen, dann die Medien.
Es würde sich sicherlich anbieten, (Medien-)Figuren aus dem Herkunftsland der Kinder und ihrer Eltern zum Lerngegenstand zu machen, um die Herkunftsliteratur der Flüchtlingsfamilien in den hiesigen Unterricht in Vorbereitungsklassen und außerschulischen Lernorten einzubeziehen und für den Spracherwerb zu nutzen, denn die Didaktik ist – und das sollte unstrittig sein – den Bedürfnissen der Lernenden anzupassen.
Heterogenität ist Normalität!

Wie aus der funktionalen Sprachförderung bekannt ist, ist es in vielen Fällen sinnvoll, Sprache durch Bewegung und Musik zu erlernen. Wer sich bewegt, lernt besser, da sind sich Hirnforscher und Pädagogen einig. Die humanbiologische Forschung weist nach, dass Lernen nur als vernetzter Prozess durch Verknüpfen von sinnlichem, auch emotionalem Erleben mit motorischer Erfahrung wirklich erfolgreich ist (vgl. Pestalozzis Idee vom ganzheitlichen „Lernen mit Kopf, Herz und Hand“). Durch Einbezug des gesamten Organismus kann die volle Kapazität der Hirnleistungen aktiviert werden. Die für die Merkfähigkeit förderlichen Vernetzungen werden somit auch erreicht und es kommt zum Lernerfolg. Musik wirkt sich positiv auf die verschiedenen Bereiche der Sprache aus. Das Einüben von Reimen und Liedern kann deshalb auch „Sprachlernsituation“ beschrieben werden. Reime und Lieder vermitteln Wortschatz und grammatische Formen. Im Gegensatz zu sprachlichen Mitteln können sich Kinder durch Musik auf eine andere Art und Weise ausdrücken. Aus dem kommunikativen Potenzial von Musik und Rhythmik ergeben sich zahlreiche Übertragungspunkte. Kinder können beim Sprechen und Singen sprachliche Strukturen übernehmen, die noch nicht zum Repertoire ihrer Spontansprache gehören. Singen fördert die Artikulation, die Intonation und den Sprachrhythmus.
Zudem halte ich es ebenfalls für sinnvoll, außerschulische Lernorte stärker zu berücksichtigen. Das außerschulische Lernen erweitert den schulischen Lernraum, schafft eine Annäherung der Lebensumwelt und hilft dem Schüler beim Verarbeiten seiner neuen Umwelt. Es wäre aus meiner Sicht deshalb von Vorteil, außerschulische Lernorte wie den örtlichen Wochenmarkt oder die Bibliothek mit einzubeziehen. Weitere Lernorte können aus meiner Sicht aber auch der Sportplatz oder das Theater sein.
Daniel Schneider

Einige Links zu aktuellen Angeboten und Hilfen aus den Bundesländern
Seite der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration in Hamburg
Öffentliche Angebote an Hilfsprojekten und Leistungen für Flüchtlinge. Betreuung von Kindern und Jugendlichen, Bildung und Ausbildung, unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, Hilfe zur Gesundheit und Beratungsangebote sowie ehrenamtliches Engagement.
Link: http://www.hamburg.de/fluechtlinge-betreuung-beratung/

Seite des Niedersächsischen Instituts für frühkindliche Bildung und Entwicklung (nifbe)
Sammlung von Fachbeiträgen und weiterführenden Links, Anlaufstellen zum Umgang mit Flüchtlingskindern und deren Eltern in der KiTa.
Link: http://www.nifbe.de/191-nifbe/867-themenschwerpunkt-fluechtlinge

Seite des Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen
Förderung von Brückenprojekte mit dem Sonderprogramm „Kinderbetreuung in besonderen Fällen“ für Flüchtlingskinder in NRW. Gezielte Förderung nach spezifischen Bedürfnissen, z.B. pädagogisch begleitete Spiel- oder Eltern-Kind-Gruppen. Verlinkungen zu Formularen und zur Vergabe von Projektmitteln.
Link: https://www.kita.nrw.de/jugend%C3%A4mter-tr%C3%A4ger/integration-von-kin dern-aus-fl%C3%BCchtlingsfamilien
 
Seite des Bundesministeriums für Bildung und Forschung
Informationen mit weiterführenden Links über Bildungsmaßnahmen mit den Schwerpunkten: Berufseinstieg, Hochschulzugang für Flüchtlinge. Im Blickwinkel stehen unter anderem Kompetenzfeststellungsverfahren, Berufsorientierung und Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen sowie Studierfähigkeitstests.
Link: https://www.bmbf.de/de/fluechtlinge-durch-bildung-integrieren-1944.html

Seite des Informationsverbund Asyl und Migration
Einen Überblick zu den wichtigsten rechtlichen Grundlagen für Bildung und Ausbildung von Asylsuchenden und Flüchtlingen gibt eine Broschüre des Informationsverbundes Asyl und Migration. Die einzelnen Kapitel behandeln unter anderem Themen wie: Zugang zu Bildungsangeboten für Flüchtlinge im schulpflichtigen Alter und Zugang zu Bildungsangeboten für nicht mehr schulpflichtige Flüchtlinge.
Link: http://www.asyl.net/fileadmin/user_upload/redaktion/Dokumente/Publikationen/RechtBildung_online2014.pdf

Seite des Zentrums für Trauma- und Konfliktmanagement
Die Broschüre des (ZTK) bietet eine Hilfe zum Umgang mit Kinder und Jugendlichen mit Flüchtlingshintergrund. Daher eignet sich der Ratgeber als Informationsmaterial für Schulen, Kitas, Tageseinrichtungen, Vereinen, Ehrenamtliche und anderen an, die mit Kindern und Jugendlichen mit Flüchtlingsgeschichte arbeiten.
Link: http://www.ztk-koeln.de/info-broschueren/broschuere-fluechtlingskinder-und-jugendliche-fluechtlinge-in-schulen-kindergaerten-und-freizeiteinrichtungen/


Verweise und Quellen:
http://www.bosch-stiftung.de/content/language1/downloads/Kommissionsbericht_Fluechtlingspolitik_Bildung.pdf
http://www.internationaler-bund.de/fileadmin/user_upload/Blaue_Reihe_Flucht.pdf
http://www.mercator-institut-sprachfoerderung.de/fileadmin/Redaktion/PDF/Publikationen/MI_ZfL_Studie_Zugewanderte_im_deutschen_Schulsystem_final_screen.pdf
http://www.sueddeutsche.de/politik/fluechtlinge-so-viele-fluechtlinge-kamen-nach-deutschland-1.2806558
http://www.svr-migration.de/wp-content/uploads/2015/07/Kurzinformation_Junge-Fl%C3%BCchtlinge_SVR-FB_WEB.pdf
http://www.zuwanderung-und-schule.de/fileadmin/user_upload/Zuwanderung_und_Schule/Infobroschuere_Zusammen.pdf
[1] Vgl. sueddeutsche.de vom 06.11.2016.
Bildnachweis: Christian Jung, Metropolico.org, CC BY-SA 2.0