In Amsterdam gibt es eine Schule, die einen ganz eigenen Weg in der voranschreitenden Digitalisierung der Gesellschaft und des Lernens geht. Ich durfte sie besuchen und finde, hier ist ein ganz besonderes Projekt entstanden.

Amsterdam im Dezember 2015: Es ist kalt in der niederländischen Hauptstadt. Ich sitze in einem Taxi auf dem Weg zur Steve Jobs School in Amsterdam, eine von etwa 20 Schulen dieser Art in den Niederlanden. Der Weg dorthin ist weit. Die Schule liegt am Rand der Stadt in einem Viertel, das als schwierig gelten kann, der Taxifahrer hat Schwierigkeiten, überhaupt das Gebäude zu finden. Ich bin sehr gespannt, wie das wird. Als ich jedoch endlich da bin und das Gebäude betrete, ist alle Skepsis verschwunden. Schön ist es hier: hell, bunt, freundlich. Die Schule ist gemeinsam mit einem Gemeindezentrum in einem Komplex untergebracht. Viele unterschiedliche Menschen gehen hier ein und aus.

Maurice de Hond, der die Schule in Amsterdam ins Leben gerufen hat, ist Gastgeber für den heutigen Tag und voll vom Konzept überzeugt, das merkt man sofort: Hier steht ein Mann vor mir, der sein Herzblut in dieses Projekt gesteckt hat. Was aber ist das eigentlich, die Steve Jobs Schule? Was ist daran so besonders?

Eigentlich sieht es erstmal ähnlich aus wie in einer normalen Schule, es gibt Klassenzimmer mit Garderoben davor, unter den Haken stehen Taschen, Sportzeug, Tornister. Es ist relativ ruhig, die Kinder sind im Unterricht. Bunter und freundlicher als in der Durchschnittsschule ist es. Das Besondere entdeckt man, wenn man etwas genauer hinsieht. Was mir sofort auffällt: die Kinder tragen keine Schuhe, alle laufen in Socken herum. Warum das so ist, möchte ich wissen und Maurice erklärt mir, dass das ein Resultat des besonderen Schulkonzepts ist.

Neben den Klassenräumen gibt es eine Bibliothek mit Selbstlernraum und einen Ruheraum. Hier stehen überall Sitzsäcke und gemütliche Sessel und die Kinder kuscheln sich sichtlich zufrieden in die Kissen. Deshalb also keine Schuhe. Die meisten halten ein Tablet in den Händen und arbeiten ruhig und selbstständig an einem Thema. Man sollte meinen, dass dies im Chaos mündet, aber das Gegenteil ist der Fall.

Tablets sind hier der Schlüssel zu allem. Sie werden für den Unterricht selbst eingesetzt, vor allem aber auch für die Planung des Unterrichts, die Organisation im Hintergrund. Jeder Schüler bekommt so einen ganz individuellen Stundenplan. Jeden Tag. Alle sechs Wochen sprechen Lehrer, Schüler und Eltern den Lehrplan für die kommenden sechs Wochen ab. So kann es sein, dass ein Kind sehr viel Mathematik macht und ein anderes mehr Englisch, je nach Motivation und Kenntnisstand. Am Ende des Schuljahres haben trotzdem alle den Lernstoff gelernt – und wer möchte sogar noch mehr.

Die Tablets ermöglichen es den Schülern auch, selbstbestimmt zu lernen und zu entscheiden, ob sie in der Gruppe im Klassenraum lernen möchten, oder im Selbstlernbereich. Auch hier gibt es den klassischen Unterricht, allerdings weit weniger frontal. Interessant finde ich, dass es überall Tablets und AppleTV gibt. Beides wird auch viel eingesetzt. Aber genauso sehe ich Schüler, die Bilder malen oder aus Milchtüten und Papprollen eine Murmelbahn bauen – völlig analog.

Zusätzlich zur Technik setzt die Steve Jobs School auf unterschiedliche Unterrichtsformen. Die regulären Stunden werden als Workshops konzipiert und mehrfach angeboten. Parallel gibt es die betreute Eigenarbeit und wo nötig auch mal intensives Arbeiten mit einem Lehrer und einem Schüler. Das Ganze ist so gut durchdacht und organisiert, dass es mit der gleichen Anzahl an Lehrern funktioniert, wie in einer normalen Schule auch. Nur, dass die Lehrer sich auf das Unterrichten und Betreuen konzentrieren können und die Schüler deutlich selbstbestimmter arbeiten können. Und letztlich sind alle zufriedener. Das kann man schon jetzt sagen, auch wenn die Schule erst seit gut einem Jahr existiert. Was die Leistungen betrifft, lässt sich derzeit belegen, dass die Steve-Jobs-Schüler im nationalen Durchschnitt nicht schlechter dastehen als Schüler an klassischen Schulen. Einige der Steve-Jobs-Schüler erzielen sogar deutlich bessere Ergebnisse. Ob das mittelfristig für die gesamte Schule gelten wird, muss man abwarten.

Vieles was ich sehe, erinnert mich an die Reformpädagogik – ungewöhnlich in einer Tablet-Schule, bisher ist mir so etwas noch nicht untergekommen. Aber hier funktioniert etwas, das ich in der Digitalisierung des Lernens immer sage und mir immer wünsche: form follows function. Das Tablet ist kein Selbstzweck. Das Lernen steht im Vordergrund, der Mensch! Das Tablet kann lediglich helfen, etwas für alle möglich zu machen, wonach wir schon so lange streben: den individualisierten Unterricht, die optimale Förderung jedes Einzelnen in seinen Eigenheiten und Talenten. Als ich Maurice danach frage, nickt er: „Wenn Maria Montessori noch leben würde – dies wäre ihre Schule.“ Da kann ich ihm nur zustimmen.

 

Quelle Bild: http://stevejobsschool.world/wp-content/uploads/2015/09/ScreenShot090-480×317.jpg