– Monitor Lehrerbildung formuliert deutlichen Handlungsbedarf  – 

Die Institution Schule ist in Deutschland keine reine Domäne der Lehrkräfte mehr. In ihrem Berufsalltag sind sie oft Teil eines Netzwerks, das auch Fachkräfte aus der Sozialarbeit, Inklusionshelfer:innen oder Erzieher:innen miteinschließt. Das Arbeiten in multiprofessionellen Teams wird nicht zuletzt durch den im Mai 2021 beschlossenen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule (ab 2026) weiter an Bedeutung gewinnen: Was gute Ganztagsschulen vor allem brauchen, ist ein funktionierendes Team aus ausgebildeten Fachkräften und Lehrkräften, die die Lern- und Lebenswelt über den Tag hinweg gestalten.

Teams in Schulen entstehen aber nicht einfach so. Und sie entstehen langsamer als nötig, wenn sich die verschiedenen Berufsgruppen in der Schule zum ersten Mal wirklich begegnen. Einfacher wäre es, wenn die verschiedenen Professionen bereits um die verschiedenen Rechte, Aufgaben und Rollen in Schule und Unterricht wüssten und direkt in die gemeinsame Arbeit einsteigen könnten. Es wird dann sicher immer noch an der ein oder anderen Stelle „menscheln“, aber ein grundsätzlicher Bildabgleich über Arbeitsweisen und Verantwortungsbereiche wird mindestens abgekürzt. Damit dies gelingen kann, stehen bereits die Hochschulen in der Verantwortung: Wenn sie den Studierenden ermöglichen, Teamarbeit kontinuierlich zu erproben – und zwar über die Grenzen des eigenen Studiengangs hinaus – dann ermöglichen sie damit zugleich einen einfacheren Einstieg in die multiprofessionelle Arbeit in Schulen. So jedenfalls argumentiert der Monitor Lehrerbildung in seiner neuen Publikation „Gemeinsam mehr erreichen – Multiprofessionelle Kooperation beginnt im Lehramtsstudium“.

Die Realität an den meisten deutschen Hochschulen ist davon allerdings noch weit entfernt: Die jüngste Hochschulbefragung zeigt, dass derzeit nur jede vierte Hochschule interdisziplinäre Lehrveranstaltungen für Lehramtsstudierende anbietet. Institutionalisierte Formate zur Abstimmung der Curricula von Lehramtsstudiengängen und anderen pädagogischen Studiengängen in Bezug auf das Handlungsfeld Inklusion gibt es sogar nur an einer von zehn Hochschulen. Folgerichtig berichten auch Schulleitungen von einem Mangel an grundlegenden Kenntnissen von Berufsanfänger:innen in Sachen Teamfähigkeit: Nach einer vom Monitor Lehrerbildung bisher unveröffentlichten Befragung aus dem Jahr 2019 schätzen Schulleitungen die Fähigkeit, interdisziplinär zu arbeiten, zwar als „sehr wichtig“ für den Lehrberuf ein, nach Erfahrung der Befragten bringen die angehenden Lehrkräfte dafür allerdings kaum Erfahrungen aus ihrem Studium mit.

Einzelne Universitäten sind hier bereits anders unterwegs: So bieten die Bildungswissenschaften, die Sonderpädagogik, das Zentrum für LehrerInnenbildung und das Zentrum für schulpraktische Studien an der Universität zu Köln gemeinsam das Seminar „Inklusion – Kooperation in multiprofessionellen Teams in der Primarstufe“ als Vorbereitung auf das Praxissemester an. An der Justus-Liebig-Universität Gießen können sich Studierende verschiedener Studiengänge für das studiengangübergreifenden Modul „Arbeiten in multiprofessionellen Teams“ entscheiden, die Universität Kassel erprobt im Projekt „Pronet“ unter anderem studiengangübergreifende Seminarkonzepte wie z. B. das Seminar „Multiprofessionelle Teams in Ganztagsschulen“. Die Universität Bielefeld erprobt im Rahmen des Programms „BiProfessional“ Seminare zur fachübergreifenden Zusammenarbeit von Masterstudierenden aller Lehrämter sowie der sozialen Arbeit, die auch auf den Transfer an andere Universitäten ausgerichtet sind. Die Universität Paderborn schließlich bietet mit dem Studienbereich „Entwicklung einer heterogenitätssensiblen Schule“ ein Profilstudium an, in deren Rahmen die Reflexion von multiprofessioneller Teamarbeit für die Schulentwicklung fest verankert ist.

Halten wir also fest: Der dringend notwendige Rollenwandel von weitgehend auf sich gestellten Lehrkräften zu guten Teamplayern in der Schule muss bereits in der universitären Ausbildung angegangen werden. Für die Zukunft gilt es, schnellstmöglich die Curricula der verschiedenen pädagogischen Studiengänge innerhalb einer Universität und/ oder im Netzwerk mit den Fachhochschulen der Umgebung im Hinblick auf das Arbeitsfeld Schule stärker miteinander zu vernetzen. Wie die Beispiele der oben genannten Hochschulen deutlich machen, sind hier ausbildungs- und hochschulübergreifende Seminare und Projektformate denkbar, in deren Rahmen Lehramtsstudierende gemeinsam mit Studierenden bzw. Auszubildenden anderer pädagogischer Fachrichtungen an einer konkreten Fragestellung arbeiten und dabei die jeweiligen fachlichen Blickwinkel und Rollenverständnisse zusammenführen. Auch Zusatzzertifikate oder Profilstudien bieten eine Möglichkeit, um bereits während des Lehramtsstudiums multiprofessionelle Kooperation kennenzulernen. Dafür braucht es von Seiten der beteiligten Institutionen geregelte Rahmenbedingungen und klare Absprachen zur übergreifenden Leistungsdokumentation und gegenseitigen Anrechnungsfähigkeit von Lehrdeputaten. Nur wenn dies gelingt, dürfen wir darauf hoffen, dass die Antwort von Schulleiter:innen bei einer erneuten Befragung in ein paar Jahren anders ausfällt: Idealerweise berichten sie dann davon, dass sie bereits bei den Studierenden im Praxissemester eine Sensibilität dafür wahrnehmen, wie wichtig die Arbeit im multiprofessionellen Team für eine gute Schule ist und auf welchen unterschiedlichen, sich ergänzenden Kompetenzen vor allem die ganztägige Schule aufbaut.

 


Über den Monitor Lehrerbildung
Der Monitor Lehrerbildung ist die bundesweit einzige Datenbank zum Lehramtsstudium. Unter www.monitor-lehrerbildung.de sind relevante Daten zu dieser ersten Phase der Lehrerbildung übersichtlich dargestellt. 61 Hochschulen und alle 16 Länder beteiligten sich an der jüngsten Erhebung des Monitor Lehrerbildung im Jahr 2020. Sämtliche Daten sowie viele weitere Informationen zum Thema sind unter www.monitor-lehrerbildung.de frei zugänglich. Der Monitor Lehrerbildung ist ein gemeinsames Projekt von Bertelsmann Stiftung, CHE Centrum für Hochschulentwicklung, Deutsche Telekom Stiftung, Robert Bosch Stiftung GmbH und Stifterverband.