Künstliche Intelligenz, adaptive Lernsysteme und intelligente Tutorensysteme: Der technische Fortschritt macht keinen Bogen um Schulen und Klassenräume. Obwohl viele Schulen noch nicht über die notwendige technische Ausstattung verfügen, wird der Einfluss moderner Lerntechnologie auf den Unterricht und die Rolle der Lehrkräfte intensiv diskutiert.  Doch welche Vorteile bieten diese Systeme beim Lernen und wie beeinflusst »Adaptivität« den Unterricht?

Adaptivität ermöglicht das Lernen im eigenen Tempo  

Die TU München hat intelligente Tutorensysteme (ITS), die auch als adaptive Lernsysteme bezeichnet werden, als besonders lernwirksam eingestuft: Integrierte Hilfestellungen und fehlerspezifische Rückmeldungen sind Kernfunktionalitäten eines ITS. »Du kannst den Bruch noch kürzen« hilft mehr als »das ist falsch« – oder als gar keine Rückmeldung. Diese Form der adaptiven Rückmeldung wird auch als Mikro-Adaptivität oder »inner loop« bezeichnet.  

Viele adaptive Lernsysteme – besonders in der beruflichen Bildung – setzen ihren Fokus auf die Makro-Adaptivität, den »outer loop«. Sie versuchen, Lernpfade in Online-Kursen für Erwachsene zu optimieren, Abkürzungen zu finden. In einem Online-Kurs über die DSGVO im E-Commerce kann ein solches Lernsystem die ersten Kapitel beispielsweise überspringen, wenn der Lernende bereits mit den Grundlagen von Datenschutz und Datensicherheit vertraut ist. Ein funktionierender Ansatz für das Vermitteln von Faktenwissen.  

Genau dieser Ansatz führt beim Einsatz an der Schule zu Problemen: Die Lehrkraft verliert die Kontrolle, da der Stoffverteilungsplan diesen Systemen unbekannt ist. Das Lernen wird nicht als sozialer Prozess einer durch die Lehrkraft geführten Klassengemeinschaft verstanden. Lernsysteme, die für den schulischen Einsatz entwickelt wurden, unterstützen vor allem in der Einzelarbeit, beim Üben: Der Fokus liegt auf den personalisierten Rückmeldungen, die den Lernenden ermöglichen, ihre Fehler zu reflektieren, um aus ihnen zu lernen. Makro-Adaptivität wird primär rückwärtsgerichtet (zur Regression) eingesetzt, um das Erkennen und Schließen von Wissenslücken zu unterstützen.  

Eine Progression im Stoff kann unterstützend sein, wenn sie vertiefend ist (also im Anforderungsniveau steigt) oder das produktive Üben fördert. Jedoch ist dies kein Ersatz für Unterrichtsgespräche und das Anwenden prozessorientierter Kompetenzen wie das Argumentieren und Kommunizieren. Bei der Auswahl eines adaptiven Lernsystems sollte also darauf geachtet werden, für welchen Anwendungsfall es konzipiert wurde. Die Lernwirksamkeit wird vor allem durch die Qualität der Rückmeldungen und der gestuften Hilfen (»Scaffolding«) bestimmt und entfaltet ihr Potenzial in individuellen Übungsphasen am Tablet oder Computer.  

Auswirkung auf den Unterricht und die Rolle der Lehrkraft 

Adaptive Lernsysteme, die sich als Assistent der Lehrkraft verstehen, entlasten bei Routinetätigkeiten und schaffen Transparenz über den Leistungsstand:

  • Passendes Übungsmaterial für jede Unterrichtseinheit und zum Differenzieren  
  • Automatische Korrektur aller Aufgaben.  
  • Durch die Adaptivität werden Schülerinnen und Schüler beim Üben und Anwenden unterstützt. Das schafft den Lehrkräften Freiräume, sich um diejenigen mit zusätzlichem Unterstützungsbedarf zu kümmern.  
  • Identifizierung von Wissenslücken und Lerndefiziten  
  • Auswertung zum Leistungsstand der Klasse und aller Schülerinnen und Schüler  

Ein intelligentes Tutorensystem simuliert – wie der Name es andeutet – einen Tutor beim Lernen bzw. Üben. Die Rolle der Lehrkraft wird vernachlässigt. Ein adaptives Lernsystem, das die Rolle der Lehrkraft berücksichtigt, unterstützt den Lernprozess unter Regie der Lehrkraft in allen Phasen des Unterrichts: Von der verstehensorientierten Einführung neuer Themen, dem eigenständigen Üben, der begleitenden Diagnose sowie der individuellen Förderung.  Übungen zum Vorwissen geben beispielsweise der Lehrkraft Aufschluss darüber, was vor der Einführung eines neuen Themas wiederholt werden sollte, um die notwendigen Lernvoraussetzungen zu schaffen. Zusätzlich kann das System der Lehrkraft interaktive Tafelbilder empfehlen, um komplizierte Zusammenhänge visualisieren zu können, lebhafte Unterrichtsgespräche zu initiieren und Grundvorstellungen aufzubauen. Sollte etwas nicht verstanden worden sein, fällt dies in der Übungsphase auf und wird durch das System in der Auswertung transparent gemacht.  

Lehrkräfte können durch den Einsatz adaptiver Lernsysteme von Routinearbeiten entlastet werden und haben jederzeit die Transparenz über den Lernstand ihrer Klassen. Das erleichtert die Konzentration auf das Wesentliche: die personalisierte Ausgestaltung und Begleitung der Lernprozesse in den Klassen. Allerdings existieren derartige adaptive Lernsystem derzeit vor allem für den Mathematikunterricht – die Entwicklungen für weitere Fächer sind bereits in Vorbereitung. 

Erfolge und Herausforderungen bei der Implementierung von adaptiven Lernsystemen   

Für die Verbreitung adaptiver Lernsysteme in der Schule und dem damit verbundenen Einsatz im Unterricht spielen die folgenden Faktoren eine wichtige Rolle:   

  • Qualitätssicherung zur Auswahl digitaler Tools, die lernwirksam sind und datenschutzkonform im Unterricht eingesetzt werden können  
  • Schulungen und Workshops zum Kennenlernen des Systems sowie konkrete Anwendungsbeispiele 
  • Verfügbarkeit der erforderlichen technischen Ausstattung sowie Wartung und Stabilität der IT 
  • Vereinfachung der technischen Administration, beispielsweise durch die benutzerfreundliche Integration in bestehende Lern-Management-Systeme  
  • Budgets zur Lizenzierung des adaptiven Lernsystems, wie es bereits in einigen Bundesländern über Landeslizenzen der Fall ist, so dass für die einzelne Schule keine Kosten anfallen und der Beschaffungsprozess abgenommen wird 
     

Einige dieser Voraussetzungen können nicht von der einzelnen Schule oder dem Schulträger geleistet werden. Hier können Schulverwaltungen und Bildungsministerien wichtige Grundlagen schaffen, um durch den Einsatz adaptiver Lernsysteme Lernergebnisse in der Breite zu verbessern.  

Lernen als sozialer Prozess: Die Rolle der Lehrkraft bleibt unverzichtbar 

Adaptive Lernsysteme mit ausgeprägter Mikro-Adaptivität, also personalisierten Rückmeldungen und gestuften Hilfen, unterstützen das individuelle Lernen – insbesondere beim Üben. Die Rolle der Lehrkraft bleibt weiterhin unverzichtbar, da das Lernen ein sozialer Prozess ist und prozessorientierte Kompetenzen wie das Argumentieren und Kommunizieren nicht digital ersetzt werden können. Jedoch können adaptive Lernsysteme Lehrkräfte bei Routinetätigkeiten entlasten und auch beim fachfremden Unterrichten Orientierung bieten, da Quereinsteiger mit adaptiven Lernsystemen zudem fachdidaktisch unterstützt werden können. Lehrerinnen und Lehrer bleiben fachlicher und vor allem sozialer Dreh- und Angelpunkt. Adaptive Lernsysteme unterstützen sie bei dieser Herausforderung wie dem Lehrkräftemangel und der wachsenden Heterogenität der Schülerinnen und Schüler. Adaptive Lernsystem sind im Rahmen der Digitalisierung des Schulsystems ein Schlüssel, Lehrkräfte beim Lösen dieser Aufgaben zu entlasten.