Was John Hattie für den Lernerfolg von Schülern dokumentiert hat, gilt auch für die Unterrichtsentwicklung von Lehrern: direktes Feedback ist eine der effektivsten Methoden, den Lernerfolg oder eben die Unterrichtsqualität zu steigern. Klassische oft eintägige Fortbildungen oder andere Weiterbildungsmaßnahmen können hier bei weitem nicht mithalten. Die Realität in der Schule trägt dem kaum Rechnung: Konstruktives Feedback zum eigenen Unterricht bleibt für die meistens Lehrer die große Ausnahme. Im Referendariat gibt es noch einige wenige unbenotete Unterrichtsbesuche, danach aber ist und bleibt die Tür zum Klassenzimmer in der Regel geschlossen.

Dafür gibt es vor allem zwei Gründe. Zum einen mangelt es an einer tief verankerten Kultur der ständigen professionellen Weiterentwicklung. Meist sind im System Schule punktuelles Feedback und Bewertung (mit entsprechenden Konsequenzen) noch sehr verquickt, nicht nur für die Schüler. Unterrichtsbesuche finden allenfalls im Zuge von Beförderungen oder im Rahmen von Schulinspektionen statt – und schlagen sich dann oft auch gleich im Bericht nieder, der für jedermann frei zugänglich im Internet zu finden ist. Schon während der Ausbildung gelingt es vielen Seminarleitern nicht, eine konstruktive Fehlerkultur zu etablieren, zumal die benoteten Unterrichtsbesuche ja über den erfolgreichen Berufseinstieg entscheiden können.

Der zweite Grund für die “Kultur des geschlossenen Klassenzimmers” ist viel profanerer Natur. Es gibt viele motivierte Lehrer, die ihre Kollegen gerne bei sich hospitieren lassen würden. Im hektischen Schulalltag ist das aber oft schwierig. Wenn ein Lehrer zwischen dem eigenen Unterricht und der Pausenaufsicht auch noch mit voller Konzentration im Unterricht eines Kollegens sitzen soll, schlaucht das schnell über Gebühr. Und dann muss ja noch Feedback gegeben werden, alles zusätzlich zum eigenen Deputat. Logistisch ist kollegiale Hospitation also nicht leicht zu bewerkstelligen. Dazu kommt noch ein weiteres Problem. Wenn eine zweite Lehrperson, vielleicht sogar der Schulleiter, mit im Raum ist, verhalten sich die Schüler anders als sonst, so dass der Wert der Beobachtung geringer ist.

Diese Herausforderungen sind kein rein deutsches Phänomen. Auch in den USA führen – zumindest bei den öffentlichen Schulen – eine häufig gering ausgebildete culture of professional development und logistische Schwierigkeiten dazu, dass Lehrer viel zu selten konstruktives Feedback erhalten. An dieser Stelle setzt ein Technologie-Startup namens Edthena an. Mit Edthena nimmt der Lehrer selbst mithilfe einer Videokamera oder auch seines Smartphones eine Stunde auf, um hinterher online von einem Coach oder Kollegen Feedback dazu zu erhalten. Der Lehrer behält also die Kontrolle, wann und wozu er sich Feedback einholt, die logistischen Probleme sind gelöst, das Schülerverhalten ist authentisch: beste Voraussetzungen für effektive Unterrichtsentwicklung! 

Edthena hat sich bewusst dagegen entschieden, eine Bewertungsfunktion zu integrieren. Wie auf dem Screenshot deutlich wird, geht es vielmehr darum, Gutes zu loben, Fragen zu stellen und Anregungen zu geben, die den Lehrer zur eigenen Reflektion anregen sollen. Kommentare können sekundengenau der betreffenden Stelle im Video zugeordnet werden, das natürlich – anders als bei einer Hospitation im Klassenzimmer – zur Nachbereitung mehrmals abgespielt werden kann.

 Edthena

Edthena soll, so der Gründer Adam Geller, selbst früher Pädagoge, ein “sicherer Ort für Lehrer sein, sich Unterstützung zu holen”. So will Geller Lehrer in die Lage versetzen, den eigenen Unterrichtsentwicklungsprozess zu lenken. Diese Vision (Link zu Youtube) scheint in den USA gut angenommen zu werden: im letzten Schuljahr wurden über 74.000 Minuten Video hochgeladen und besprochen. Auch in der Lehrerausbildung wird Edthena bereits genutzt, so zum Beispiel an der University of Michigan.

Natürlich hat auch Feedback per Video seine Schwächen. Ob der Kontext einer ganzen Stunde und des gesamten Raums immer deutlich wird, ist fraglich. Auch gelingt es im persönlichen Gespräch besser, die Motive für eine bestimmte Lehrerhandlung zu verstehen und falls nötig gemeinsam zu reflektieren, ob und was verbessert werden könnte.In der Summe scheint Edthena aber mehr Probleme zu lösen als es neue schafft. Ist Video Coaching also auch für Deutschland eine Option? Oder wäre der Kulturwandel zu groß: mehr Feedback und dazu noch eine neue Technologie?