Verena Pausder ist Gründerin und Geschäftsführerin der Fox & Sheep GmbH, die Apps für Kinder im Vorschulalter entwickelt und weltweit vertreibt. Im Dezember 2014 ist der Spielwarenhersteller HABA als Mehrheitseigner bei Fox & Sheep eingestiegen.

2016 hat Fox & Sheep zusammen mit HABA damit begonnen, Digitalwerkstätten zu eröffnen, in denen Kinder aller Altersgruppen programmieren lernen können.

Ulrich Schmid hat für digitalisierung-bildung.de mit Verena Pausder gesprochen.

Personalmangel, Gewalt und Mobbing, Integration von Migranten, G8/G9. Jetzt sollen sie zusätzlich auch noch die Digitalisierung vorantreiben, womit sich wiederum große Aufgaben verbinden: Sind die Schulen und Lehrer damit nicht massiv überfordert, Frau Pausder?

Die Herausforderungen für unsere Schulen und Lehrer sind riesig, in der Tat. Deshalb müssen sich alle Bildungsakteure dem digitalen Transformationsprozess gemeinsam stellen. Wir dürfen nicht vergessen, dass Digitalisierung und Medienbildung in der Schule Grundlagen für die Erfüllung des schulischen Erziehungs- und Bildungsauftrags sind: Schülern muss die selbstbestimmte und verantwortungsbewusste Teilnahme an einer zunehmend durch Digitalisierung geprägten Gesellschaft ermöglicht werden. Werden unsere Schulen diesem Auftrag nicht gerecht, werden Probleme in Bereichen wie Integration und Inklusion noch größer werden. Denn digitale Ungleichheit zementiert soziale Ungleichheit und wirkt sich negativ auf die Zukunfts- und Teilhabechancen der betroffenen Kinder und somit der ganzen Gesellschaft aus.

 

Was sind aus Ihrer Sicht die drei wichtigsten Herausforderungen mit Blick auf die „digitale Innovation“ der Schulen?

Erstens – und das ist mit Abstand am Wichtigsten – müssen die Lehrer für diese digitale Innovation ausgebildet werden. Sie müssen über technische und medienpädagogische Kompetenzen verfügen, um unter anderem entscheiden zu können, ob und wann digitale Medien einen Mehrwert gegenüber klassischen Medien bieten und welche Inhalte sie ihren Schülern digital vermitteln wollen. Zweitens müssen die Schulen ans Netz angebunden und die technische Infrastruktur in Form von Geräten, Server- und Cloudlösungen sowie Wartung dieser Systeme gewährleistet werden, damit digitale Bildung überhaupt in den Unterricht integriert werden kann. Und drittens müssen digitale Kompetenzen Eingang in die Lehrpläne der Schulen erhalten, damit das Ziel klar festgeschrieben wird, nämlich Kinder und Jugendliche zu einem kompetenten und kreativen Umgang mit digitalen Medien zu befähigen. Eigenständigkeit und Individualisierung sollten dabei ebenso eine Rolle beim Lernen mit Medien spielen wie Teilhabe und Gemeinschaft.

 

Viele Eltern – und manchmal sogar die Kinder selbst – beklagen sich über die massive „Smartphonisierung“ ihres Alltags: die einen sind permanent am „Daddeln“, die anderen unaufhörlich bei Snapchat etc. unterwegs. Kann und sollte man das nicht viel deutlicher begrenzen – und zumindest in der Schule auch mal einen medienfreien Raum schaffen?

Ich unterscheide an dieser Stelle zwischen digitalem Konsumieren und digitalem Gestalten. Digitaler Konsum, also Videos schauen oder „Daddeln“, sollte in meinen Augen nicht nur in der Schule, sondern auch zu Hause begrenzt werden. Denn im Umgang mit Smartphones und Tablets finden Kinder das richtige Maß nicht selbst, sie brauchen klare Regeln wie im Straßenverkehr für ihre digitale Konsumzeit. Meine großen Söhne (8 und 10 Jahre) haben dienstags und donnerstags eine halbe Stunde und samstags und sonntags jeweils eine Stunde „Konsumzeit“ an Tablet oder Computer. Es gibt hier kein Richtig oder Falsch, jede Familie muss für sich selbst entscheiden, wie sie die Regeln setzt und dann auch konsequent durchhält. In der Schule muss es in meinen Augen um das aktive Gestalten mit digitalen Medien und den Einsatz von Tablets und Smartphones als Kreativwerkzeuge gehen. Wenn Kinder zum Beispiel eine App programmieren oder ein digitales Theaterstück kreieren, plädiere ich für ein vertrauensvolles und konstruktives Miteinander zwischen Schülern und Lehrern und halte nichts von einer generellen Tabuisierung der Geräte.

 

Ihre Firma Fox & Sheep entwickelt Spiele-Apps für (kleine) Kinder. Wie entwickelt sich dieser Markt und diese Technologie – welche Trends sehen Sie?

Für mich sind Apps zukunftsweisend, die es Kindern und Eltern gemeinsam ermöglichen, die digitale Welt ebenso spielerisch wie edukativ und pädagogisch sinnvoll zu entdecken. Dabei sollten Apps an die Lebenswirklichkeit der Kinder und ihrer Familien anschließen und zum Mitmachen auffordern. Das bedeutet für uns bei Fox & Sheep, dass wir Kinder mit Apps wie „Movie Maker“ oder „Kleine Bauarbeiter“ nicht nur in ihrer Begeisterung für Bagger abholen, sondern sie auch in die Rolle von Bauarbeitern oder Filmemachern schlüpfen lassen. Nicht nur zum Konsumieren, sondern auch zum Kreieren anregen – diesem Anspruch müssen gute Apps standhalten. Ein Trend ist für mich auch die Verknüpfung von digital und analog bzw. haptisch, wie sie Kinder beim Gestalten eines Films mit dem „Stop Motion Studio“ erleben können. Dazu denken sie sich eine Geschichte aus, die sie dann in einer selbst gebauten Kulisse aus Pappe und mit ihren eigenen Figuren in Szene setzen können. In mehr als 500 Einzelbildern nehmen die Kinder ihre Geschichte auf. Wie bei einem Daumenkino entsteht so ein Film.

 

Digitales Lernen soll – so das große Versprechen – mehr Individualisierung ermöglichen, mehr „Immersivität“ etwa bei virtuellem Lernen, mehr Kollaboration bei sozialem Lernen und generell mehr Begeisterung und besseren Lernerfolg. Wo sehen Sie die interessantesten Lernformate und Technologien unserer Tage?

Didaktisch betrachtet stellen das soziale, kollaborative und vernetzte Lernen mit digitalen Medien in meinen Augen die interessantesten Formate dar. Hier können wichtige Fähigkeiten wie Kommunikation und Teamkompetenz, Innovationsfähigkeit, kreatives Problemlösen und Resilienz entwickelt werden. Learning Analytics und Educational Data Mining tragen außerdem dazu bei, dass Lernen nach dem Gießkannenprinzip durch adaptives Lernen ersetzt werden kann. Am wichtigsten finde ich, dass Lernformate – ob digital, klassisch analog oder in Kombination – eine Lernkultur schaffen, in der Wandel als Chance begriffen wird, spielerisches Ausprobieren gewollt und Scheitern ausdrücklich erlaubt ist.