Beginnen wir mit einem kleinen Gedankenspiel: Denken Sie – falls Sie Lehrkraft sind – an die Kinder in Ihrer Klasse oder alternativ an Ihre eigenen Kinder bzw. andere Mädchen und Jungen in Ihrem Umfeld. Rechnen Sie aus, in welchem Jahr diese Kinder so alt sind wie Sie heute und fragen Sie sich: Wie wird die Welt dann aussehen? In welchen Berufen werden sie arbeiten?

Und? Was haben Sie sich vorgestellt? Eines können wir wohl mit Sicherheit sagen: Die Zukunft wird anders sein, als wir sie uns vorstellen. Nie war Veränderung so radikal und so schnell. Das gilt für die Arbeitswelt, aber auch für alle anderen Bereiche des Lebens. Herausforderungen wie die Klimakrise, deren Auswirkungen gerade erst sichtbar werden, werden dann noch größer sein. Kinder müssen deshalb lernen, in einer Welt, die sich ständig wandelt, vielseitig und flexibel zu handeln.

Jeder Tag ein Abenteuer

Kindern ist dies alles noch nicht bewusst. Sie entdecken spielerisch die Welt, ihre Lernreise ist ein Abenteuer, das jeden Tag Neues bereithält. Das kindliche Gehirn ist darauf bestens vorbereitet: Es ist besonders gut in der Lage, Impulse der Umwelt aufzunehmen, in bereits gemachte Erfahrungen zu integrieren und sich entsprechend weiterzuentwickeln. Darin liegt großes Potenzial. Werden Kinder von Beginn an darin gefördert, mit Veränderung konstruktiv umzugehen, wird die zukünftige Gesellschaft stark profitieren. Sie wird mutig mit Krisen umgehen, Neues wagen und Ideen entwickeln, um das Leben in allen Bereichen zu verbessern.

Der Auftrag von Bildungseinrichtungen ist, Lernenden die zentralen Kompetenzen für das 21. Jahrhundert zu vermitteln. Denn die Halbwertszeit unseres Wissens sinkt rapide. Es wird daher in Zukunft viel stärker darum gehen müssen, Wissen praktisch anzuwenden und das mit einer gewissen Haltung und bestimmten Werten zu tun. Es geht um den konstruktiven Umgang mit dem Unbekannten und darum bei Kindern die Haltung zu stärken: „Das kenne ich noch nicht, finde es aber interessant. Das möchte ich entdecken.“

MINT-Bildung für nachhaltige Entwicklung als Weg zu den Zukunftskompetenzen

Die MINT-Bildung, also Bildung in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, ist dafür aus meiner Sicht prädestiniert. Am besten kombiniert mit Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE). Warum? Der Forscher Alexander von Humboldt hat es gut zusammengefasst. Er hat sinngemäß gesagt: Wir müssen das, was uns umgibt, verstehen und unseren Beitrag dazu reflektieren, um dann verantwortungsvoll und an Werten orientiert zu handeln.

Beim Verstehen der Welt hilft uns die MINT-Bildung. Das Reflektieren lernen wir mit Bildung für nachhaltige Entwicklung. Und wie wir handeln, das ist das Ergebnis guter Bildung: die Fähigkeit, gebildet Verantwortung zu tragen für sich, für andere und für die Welt.

Zudem lassen sich in der MINT-Bildung leicht Lernsituationen finden, in denen es darum geht, etwas auszuprobieren, etwas zu entdecken, etwas Neues zu schaffen.

Am echten Leben lernen

Mir fällt da ein Beispiel ein, dass mir einmal beim Weltretter-Wettbewerb der Zeitschrift ZEIT LEO begegnet ist: Kinder einer Grundschulklasse in Wolfsburg hatten beobachtet, dass auf dem durch ihre Stadt fließenden Mittellandkanal häufig kleine Ölpfützen schwammen. Sie konstruierten deshalb im Modell ein Boot, das das Wasser-Öl-Gemisch aufnimmt und in eine Plastikflasche pumpt. In der Flasche schwamm das leichtere Öl oben auf der Wassersäule und ließ sich so abschöpfen. Im Laufe des Projekts erfanden die Mädchen und Jungen, sie entwickelten, experimentierten, fragten Fachleute, probierten Lösungen aus, verwarfen die einen und erfanden wieder neue – mit dem Erfolg, dass ihr Modell funktionierte.

In diesem Beispiel findet sich vieles, was ich mir für die Schule der Zukunft wünschen würde: Es geht um ein konkretes Problem mit Bezug zur realen Welt. Auf dem Weg zur Lösung dieses Problems eignen sich die Mädchen und Jungen nicht nur Fachwissen an, sie setzen es auch gleich praktisch ein. Sie trainieren kognitive Fähigkeiten wie kritisches Denken, Kreativität oder auch Lernen zu lernen. Hinzukommen soziale und emotionale Fähigkeiten: Sie arbeiten gemeinsam an einer Lösung, lernen zu kommunizieren und erleben Selbstwirksamkeit.

Dieses projektbasierte und fächerübergreifende Lernen ist etwas, das wir in Kitas noch sehr viel sehen, in den Grundschulen dann noch häufig in den Klassen eins und zwei. Spätestens ab der dritten Klasse, wenn Noten ins Spiel kommen, um den Lernfortschritt messbar zu machen und Erwartungen von Eltern zu befriedigen, wird es schwieriger. Lehrpläne, die erfüllt werden müssen, große Klassen und wenig Zeit tun ihr Übriges dazu. Dabei wird es in Zukunft noch viel stärker auf genau diese Verbindung von theoretischem Wissen und praktischer Anwendung genauso wie auch kognitive, soziale und emotionale Fähigkeiten ankommen.

Lehrkräfte als Lernbegleitungen

Für all das braucht es ein Umdenken bei und neue Freiheiten für Lehrkräfte. Lehrkräfte, die im besten Fall die Lernbegleitung ihrer Schülerinnen und Schüler sind. Eine Lernbegleitung, die nicht zwingend auf alles eine Antwort hat, sich auch von den Fragen der Kinder leiten lässt bzw. leiten lassen kann und mit ihnen gemeinsam Neues erforschen.

Dieses Bild der Lernbegleitung ist auch ein essenzieller Bestandteil des pädagogischen Ansatzes der Stiftung „Haus der kleinen Forscher“. Unser Ansatz beruht auf dem Prinzip der Ko-Konstruktion – das bedeutet, dass Kinder und ihre Bezugspersonen Lernprozesse gemeinsam gestalten. Lernen ist danach ein sozialer Vorgang. Kinder lernen im Austausch mit und von anderen, durch Anregung, durch individuelle Erkundung und durch gemeinsame Reflexion. Dabei ist die Interaktion mit Erwachsenen ebenso entscheidend wie die Zusammenarbeit mit anderen Kindern.

All das ist aus meiner Sicht ein weiteres Argument für mehr projektbasiertes Lernen in den Schulen. Hier können Kinder sich ausprobieren und eigene Erfahrungen machen. Und das wiederum ermöglicht es ihnen, ihre Kompetenzen und ihr Wissen zu erweitern.

Die Hürden für Lehrkräfte, das konsequent umzusetzen, sind mitunter hoch, besonders wenn sie sich als Einzelkämpfer oder Einzelkämpferin an ihrer Schule wiederfinden. Jede Lehrkraft, die sich als Lernbegleitung ihrer Schülerinnen und Schüler sieht, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Doch die Veränderung muss in der ganzen Schule ankommen, um einen weitreichenden Effekt zu haben. Mehr noch: Die Veränderung muss bereits in der Ausbildung von Lehrkräften Auswirkungen haben und parallel dazu in den von der Politik gesetzten Rahmenbedingungen. Dann können Lehrkräfte nachhaltig so arbeiten, dass Kinder gut auf die Herausforderungen der Zukunft vorbereitet sind.

Kindern ein Vorbild im Umgang mit Veränderungen sein

Unsere eigene Haltung Veränderungen gegenüber ist dabei enorm wichtig, denn: Kinder lernen am Vorbild. Wollen wir, dass die Mädchen und Jungen mit einer offenen Haltung an Dinge herangehen, müssen wir Erwachsenen es ihnen vorleben – auch und besonders in der Schule. Das betrifft sowohl die einzelnen Lehrkräfte als auch die Schule als Organisation. Ich wünsche mir mehr Schulen und Kollegien, die sich als dynamisches und ständig lernendes System begreifen, die Dinge ausprobieren, prüfen und weiterentwickeln, die dabei auch Fehler machen und aus diesen lernen dürfen und die Kinder, wo immer möglich, zu Mitgestaltern der Schul- und Unterrichtsentwicklung machen.

Übrigens eine immer wiederkehrende Abfolge, die sich auch in den MINT-Bereichen prima üben lässt. Es gibt eine Frage oder eine Herausforderung, ich überlege mir eine Lösung oder einen Weg, überprüfe ihn und nehme anschließend Anpassungen vor – und lasse mich auf diese Weise von Veränderungen nicht überrollen, sondern gestalte sie aktiv mit.