Im vergangenen Jahr hat die Bertelsmann Stiftung die Publikation „Fortbildungen für Lehrpersonen wirksam gestalten – Ein praxisorientierter und forschungsgestützter Leitfaden“ herausgegeben. Schule21 sprach mit den beiden Autor:innen Prof. Frank Lipowsky und Daniela Rzejak von der Universität Kassel darüber, wie eine erfolgreiche Lehrkräftefortbildung aussehen sollte.

 

  1. Lehrkräftefortbildung wirksam gestalten: Können Sie uns kurz erklären, was Sie mit Wirksamkeit meinen? Wann ist eine Fortbildung erfolgreich?

Man kann es vielleicht so auf den Punkt bringen: Unterrichtsbezogene Fortbildungen sind dann wirksam, wenn Lehrpersonen ihre Kompetenzen und ihren Unterricht weiterentwickeln. Dadurch wächst auch die Chance, dass eine Fortbildung letztlich die Ebene der Schüler:innen erreicht, sodass diese besser und motivierter lernen. Die Weiterentwicklung von Kompetenzen, die Verbesserung der Unterrichtsqualität und das Lernen und die Motivation von Schüler:innen sind also wichtige Gradmesser für die Wirksamkeit von Fortbildungen.

 

  1. Sie unterscheiden zwischen der inhaltlichen Ausrichtung von Fortbildungen und der methodisch-didaktischen Ausrichtung. Zunächst zur inhaltlichen Ausrichtung von Fortbildungen: Welches sind hier Ihre wichtigsten Erkenntnisse? Können Sie das auch anhand von Beispielen illustrieren?

Zunächst ist zu beachten, dass es ein weiter Weg ist, wenn Fortbildungen die Schüler:innen erreichen sollen. In einem ersten Schritt muss sich nämlich der Unterricht bzw. das unterrichtliche Handeln von Lehrkräften dauerhaft verändern und weiterentwickeln. Im zweiten Schritt geht es dann darum, dass dieser weiterentwickelte Unterricht auch das Lernen der Schüler:innen positiv beeinflusst. Wir wissen aus der Unterrichtsforschung schon ziemlich gut Bescheid, welche Merkmale des Unterrichts mit einem besseren Lernen, einer höheren Motivation und einem tieferen Verstehen der Schüler:innen verbunden sind. Gemeint sind damit die sogenannten Tiefenmerkmale von Unterricht. Sie werden deshalb als Tiefenmerkmale bezeichnet, weil sich deren Qualität erst bei genauer und sorgfältiger Betrachtung erschließt. Hierzu gehören z. B. die kognitive Aktivierung, also inwieweit die Lernenden durch den Unterricht zum Nachdenken herausgefordert und mental „gekitzelt“ werden, die Art und Weise, wie die Lehrperson schwierige Sachverhalte erklärt, auf welche Art sie Rückmeldungen gibt, wie sie die Interaktionen und Gespräche gestaltet und inwieweit sie die Lernenden fit macht für selbstgesteuertes Lernen. Was hat das nun mit inhaltlichen Fortbildungsmerkmalen zu tun? Ganz einfach: Wenn Fortbildungen das Lernen der Schüler:innen erreichen sollen, ist es erforderlich, diese Tiefenmerkmale in den Mittelpunkt der Fortbildungen zu rücken, von denen man bereits weiß, dass sie das Lernen der Schüler:innen positiv beeinflussen können. Daher haben wir ein Merkmal guter Fortbildungen auch überschrieben mit: An Merkmalen der Tiefenstruktur von Unterricht ansetzen.

 

  1. Und welche Erkenntnisse sind mit Blick auf die methodisch-didaktische Ausrichtung besonders wichtig? Haben Sie auch hierfür Beispiele?

In dem 2021 veröffentlichten Leitfaden zur wirksamen Gestaltung von Lehrkräftefortbildungen stellen wir fünf methodisch-didaktische Merkmale heraus. Dies sind die Stärkung der kollegialen Kooperation, die Verknüpfung von Input-, Erprobungs- und Reflexionsphasen, Feedback und Coaching, eine angemessene Fortbildungsdauer und bedeutsame Inhalte und Aktivitäten. Das meint nicht, dass eine Fortbildung nur dann wirksam ist, wenn alle diese Merkmale umgesetzt werden. Teilweise gehen die genannten Merkmale aber Hand in Hand. Besonders deutlich wird das an der Fortbildungsdauer und der Verknüpfung von Input-, Erprobungs- und Reflexionsphasen. Wenn Lehrpersonen nicht nur für neue Erkenntnisse sensibilisiert werden sollen, sondern wenn sie diese Fortbildungsinhalte in ihrem eigenen Unterricht auch erproben und anwenden sollen, reicht ein halber Tag Fortbildung natürlich nicht aus. Eine angemessene Dauer und eine Begleitung über einen längeren Zeitraum hinweg sind insbesondere dann wichtig, wenn es um komplexe Themen oder die Veränderung und Weiterentwicklung von Einstellungen und unterrichtlichen Praktiken geht. Die bei Lehrpersonen vorhandenen Einstellungen und Praktiken haben sich schließlich auch nicht von heute auf morgen, sondern über Jahre hinweg aufgebaut.

Nehmen wir das Thema „Gestaltung von Unterrichtsgesprächen“, also eine häufig praktizierte Form des Unterrichtens und somit eine bedeutsame Kernpraktik von Lehrpersonen. Viele erfolgreiche Fortbildungen zu diesem Thema nutzen Unterrichtsvideos. In der Arbeit mit Videos können eher abstrakte Themen und Inhalte mit Praxisbeispielen verknüpft werden. Videos können dazu dienen, gut gelungene Unterrichtsgespräche zu demonstrieren, Bedarfe aufzuzeigen und ggf. gelungene mit weniger gelungenen Beispielen zu kontrastieren. Außerdem erleichtern videografierte Unterrichtssituationen es den Lehrpersonen, sich in einer Fortbildung intensiv mit Strategien der Gesprächsführung und mit Maßnahmen auseinanderzusetzen, mit denen man die Schüler:innen zu einer intensiven Beteiligung an und einem vertieften Nachdenken in solchen Gesprächen bewegen kann. Wenn es im nächsten Schritt für die Lehrpersonen um die eigene Anwendung neuer Strategien oder die Veränderung der eigenen Unterrichtskommunikation geht, dann spielen Reflexionsgelegenheiten, Feedback und auch Coaching als methodisch-didaktische Merkmale des Fortbildungsprozesses eine wichtige Rolle.

 

  1. Nehmen wir an, es wird ein Fortbildungskonzept erarbeitet, das sich an Ihren Merkmalen orientiert. Nun wird nach geeigneten Personen gesucht, um dieses umzusetzen. Welche Eigenschaften, Kompetenzen und Fähigkeiten sollten potenzielle Fortbildner:innen mitbringen?

Die Frage danach, welche Kompetenzen und Fähigkeiten von Fortbildenden für eine erfolgreiche Fortbildungsdurchführung besonders bedeutsam sind, ist bislang nicht empirisch geklärt. Die Forschung hierzu befindet sich erst in den Anfängen.

Komplex und anspruchsvoll wird die Tätigkeit von Fortbildenden, weil Kompetenzen auf zwei Ebenen erforderlich sind. Auf einer ersten Ebene sollten Fortbildende über Kompetenzen verfügen, die sich auf das Unterrichten von Schüler:innen beziehen. Hierzu gehören Überzeugungen und Werthaltungen, motivationale Orientierungen, selbstregulative Fähigkeiten und das Professionswissen. Es handelt sich also um die professionellen Kompetenzen von Lehrpersonen. Darüber hinaus müssen Fortbildner:innen aber auch über Kompetenzen auf einer zweiten Ebene verfügen. Hiermit sind jene Kompetenzen gemeint, die sich auf die Fortbildung bzw. das Fortbilden von Lehrpersonen beziehen.

An einem Beispiel kann man den Unterschied zwischen den beiden Ebenen vielleicht noch einmal verdeutlichen. Zum fachdidaktischen Wissen einer Lehrperson – also der Ebene 1 – gehört das Wissen über Aufgaben, über Schülervorstellungen und Verfahren der Vermittlung von Inhalten bzw. der Aktivierung von elaborierten Lernprozessen. In einer Fortbildung, die erfolgreiches Lernen der Schüler:innen im Blick hat, sollte die Fortbildnerin oder der Fortbildner selbst über dieses Wissen verfügen. Zusätzlich ist es für die Fortbildungsdurchführung aber erforderlich, dass der/die Fortbildende weiß, welche Vorstellungen und welches Vorwissen die Teilnehmenden zum Fortbildungsthema mitbringen. Er oder sie muss außerdem wissen, welche Aufgaben und Aktivitäten sich eignen, um die professionellen Kompetenzen der teilnehmenden Lehrpersonen, beispielsweise deren Einstellungen und Überzeugungen oder deren unterrichtliche Handlungspraktiken, weiterzuentwickeln. Mit diesen Wissensinhalten befinden wir uns auf der zweiten Ebene der Kompetenzen, den fortbildungsbezogenen Kompetenzen.     

 

  1. Wenn Sie einen Wunsch frei hätten: Welcher wäre es?

Unser Wunsch besteht aus einigen Teilwünschen, die miteinander zusammenhängen. Insgesamt sollte der Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften von der Bildungsadministration und der Bildungspolitik ein deutlich stärkeres Gewicht eingeräumt werden. Damit hängt auch zusammen, dass es mehr finanzielle und zeitliche Ressourcen dafür geben sollte, sodass Lehrkräfte an längeren, modulartig aufgebauten und qualitativ hochwertigen Fortbildungsreihen teilnehmen können. Die Hochschulen sollten die Möglichkeit haben, sich stärker an der Planung und Durchführung von Fortbildungen zu beteiligen, weil wir wissen, dass an wirksamen Fortbildungskonzepten häufig Wissenschaftler:innen mitgewirkt haben. Dies wiederum würde bedeuten, dass Hochschulen und Universitäten ein politisch gewolltes Mandat und einen mit Ressourcen versehenen Auftrag für die Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften erhalten. In vielen Bundesländern wird dies u. a. durch die Trennung von Wissenschafts- und Kultusministerium und diverse Gesetze erschwert: Hochschulen sind in den allermeisten Bundesländern bislang ausschließlich für die erste Phase der Lehrerbildung – das Studium – zuständig, Landesinstitute für die Fort- und Weiterbildung. Diese Trennung macht eigentlich keinen Sinn und ist sachlich auch nicht begründbar. Daher wäre es wünschenswert, diese Separierung aufzuheben. Denn der wirksame Transfer wissenschaftlichen Wissens in die Klassenzimmer ist kein Selbstläufer und erfordert daher die gemeinsame Anstrengung von Hochschulen und Fortbildungsinstitutionen. Österreich und die Schweiz zeigen, dass dies auch gelingen kann, denn dort sind die Hochschulen für die Durchführung von Fortbildungen zuständig. Schließlich braucht es für qualitativ hochwertige Fortbildungen – wie oben bereits erwähnt – auch sehr kompetente Fortbildner:innen und deshalb eine bessere Ausbildung dieser wichtigen Personengruppe. Auch hier gibt es einen erheblichen Nachholbedarf in Deutschland.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

 

Der vollständige Leitfaden steht zum Download als Langfassung und Kurzfassung zur Verfügung.