Foto: Marita Wiebeler
Kommentare
Diskutieren Sie mit uns auf Twitter
Zu unserem Twitter-KanalKommentar schreiben
Newsletter
Interesse an weiteren Themen der Bertelsmann Stiftung?
Meist gelesen
- Leseförderung mit dem Hamburger Leseband – ein wirksames Projekt für Grundschulen im Kreis GüterslohKatja Hattendorf15.02.2023
- Wirkungen von Ganztagsschulen auf Sozialverhalten und Schulleistungen von Grundschülerinnen und -schülern: Die Rolle von Freiwilligkeit und QualitätLaura Schmitz18.01.2023
- Didaktik: Welche didaktischen Konzepte werden von Lehrenden eigentlich eingesetzt?Lutz Goertz19.09.2018
Danke für den guten Text, Ekkehard! Falls Du magst, könntest Du für mich einen Punkt weiter ausführen? Mich interessiert, wie in diesem Ansatz mit der 1. Gleichzeitigkeit und 2. Komplexität von A. gesellschaftlichen Herausforderungen, B. Schulentwicklung umgegangen wird.
Du schreibst, dass „die ganze Bandbreite gesellschaftlicher Ressourcen auf die Bewältigung der Herausforderungen“ und zwar auf „jeweils eine große gesellschaftliche Herausforderung“ gerichtet wird. Nun haben wir es ja in der Realität nicht mit einer, sondern mit verschiedenen A. großen gesellschaftlichen Herausforderungen und B. Aufgaben der Schulentwicklung zu tun, die alle 1. gleichzeitig anstehen und 2. miteinander verflochten sind. Die verwendete Leitmetapher vom Motor würde ich durch eine Mobile ersetzen, dass die eigene Bewegung an seinen verschiedenen Teilen verändert, sobald man ein Teil davon anstößt. (Wir haben in Schulen eine ganz andere Grundlage als bei Tesla oder dem iPhone, nämlich nicht eine Neuerfindung from scratch, sondern den Umbau eines vorhandenen Systems.)
Machen wir es konkret: Es gibt die von Dir beschriebene Herausforderung „Lesen, Schreiben und Rechnen für alle Kinder“, das ist unbestreitbar eine herausragende Herausforderung, die einen 25-Jahres-Ansatz rechtfertigen würde. Aber was passiert währenddessen mit den anderen Herausforderungen auf A. gesellschaftlicher Ebene und B. in den Schulen, die es parallel (bzw. verflochten) gibt? Die können ja nicht warten, währen wir „alle Kräfte“ auf die Mission richten.
Mir erscheint es bis hierhin schon zu schwierig. Jetzt könnte man noch hinzunehmen, dass wir viele Herausforderungen gar nicht im voraus erkennen, erst recht nicht mit einem Horizont von 25 Jahren. Nicht „alle Kräfte“, aber zumindest sehr viele Kräfte haben wir in den letzten Jahren auf die Herausforderungen Inklusion, Digitalisierung, Corona, geflüchtete Menschen angesetzt (zurecht). Auch andere Herausforderungen sind in einem dynamischen System nicht vorauszusagen. Als ich 2017 „Die vier Dimensionen“ übersetzt habe, wollte das kein Verlag in Deutschland drucken. „Niemand will über Curriculumsreformen sprechen!“, da war man sich sicher. Daneben stehen eine Reihe von Herausforderungen, die vielleicht nicht „alle“ Schulen betreffen, aber dennoch eine Berechtigung haben, nehmen wir (etwas beliebig zusammengestellt) BNE, Klimakrise, Artensterben, Krise der Demokratie, globale Gerechtigkeit, Etablierung von Zusammenarbeit / Arbeitsteilung …
Ich schweife ab. Also setze ich einen Punkt und verweise auf meinen ersten Absatz oben.
Danke Dir für die ausführliche Antwort, lieber Jöran, darüber freue ich mich sehr! Gerne werde ich versuchen, etwas mehr Klarheit in die undeutlichen Punkte zu bringen.
Was die gesellschaftliche Herausforderung anbelangt, die durch Missionen bearbeitet wird, so habe ich mich womöglich missverständlich ausgedrückt. Missionen sollen nicht exklusiv für die Bildung reserviert werden, sie können gleichzeitig in mehreren gesellschaftlichen Bereichen zum Einsatz kommen. Das ist ja auch heute schon längst der Fall, mit Missionen werden in Deutschland z.B. Hochtechnologie und nachhaltige Energien gefördert. Das EU-Forschungsrahmenprogramm ‚Horizon Europe‘ umfasst fünf Missionen in den Bereichen Klimawandel, Medizin und Umweltschutz. Nur in der Bildung gibt es noch nicht einmal eine Diskussion darüber, ob Missionen zum Einsatz kommen könnten. Das sollten wir nach meiner Meinung dringend ändern.
Für den Bildungsbereich selber gilt wiederum: Die eigentliche Herausforderung besteht in der Entwicklung eines Schulsystems für das 21. Jahrhundert. Es geht also nicht nur darum, allen Kindern die Basiskompetenzen zu vermitteln, so wichtig dies auch ist. Im Prinzip könnten also auch hier mehrere Missionen zum Einsatz kommen, die z.B. digitale Bildung oder Demokratieerziehung zum Gegenstand haben. Allerdings handelt es sich um eine neue Methode, mit deren Anwendung wir noch nicht viele Erfahrungen haben. Sie sollte deshalb in ausgewählten Bereichen erprobt werden, bevor sie allzu schnell und allzu großflächig zum Einsatz kommt.
Wenn in meinem Beitrag die Rede davon ist, dass wir die ganze Bandbreite der zur Verfügung stehenden Ressourcen einsetzen sollten, heißt das nicht, alle überhaupt vorhandenen Ressourcen einzusetzen, das würde ja auch gar keinen Sinn ergeben. Es bedeutet vielmehr, dass wir im Rahmen einer Mission wirklich alle Akteuren und Ideen einbeziehen, die uns bei der Bewältigung der gewählten Herausforderungen helfen können.
In den großen Schulentwicklungsprojekten von Bund und Ländern z.B. bleiben Staat und Wissenschaft weitgehend unter sich. Dieser Ansatz hat sich in den vergangenen Jahrzehnten aber bei der Entwicklung wirksamer, praxisfähiger und vor allem auch nachhaltiger Lösungen für die Probleme der Schulen als wenig erfolgreich erwiesen, sein Potenzial halte ich für erschöpft.
Bei der Definition von zu bearbeitenden Problemen und der Formulierung handlungsleitender Visionen und Ziele sollte eine Bildungsmission stattdessen viel stärker als bisher auf eine Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft setzen, um breite gesellschaftliche Zustimmung und Legitimität sicherzustellen.
Auch für die Umsetzung müssten gezielt die Beiträge des privaten Sektors mobilisiert werden. Digitale Bildungsunternehmen und innovative Nonprofit-Organisationen sollten künftig eine viel größere Rolle bei der Entwicklung praxisnaher neuer Lösungen spielen und so die Lücke füllen, die bislang noch zwischen angewandter Wissenschaft und der Umsetzung in der schulischen Praxis klafft.
Und was schließlich dynamische und unvorhersehbare gesellschaftliche Veränderungen anbelangt: Gerade auch in diesem Punkt sind Missionen herkömmlichen Projekten überlegen. Die großen Schulentwicklungsprojekte arbeiten ja üblicherweise ein vor ihrem Beginn festgelegtes Programm ab. Wenn am ersten Tag ihrer Umsetzung ein vielversprechender neuer Lösungsansatz auftaucht, können sie im ungünstigsten Fall 10 Jahre lang keinen Gebrauch mehr davon machen.
Missionen hingegen eröffnen dauerhafte Handlungsräume, in denen auf unerwartete neue Herausforderungen ebenso reagiert werden kann, wie auf neu entstehende Lösungen. Denn sie lassen sich auf allen Ebenen an Veränderungen ihrer Umwelt anpassen – von guten neuen Ansätzen, die jederzeit in die Förderung aufgenommen werden können, bis zur Neuformulierung von Zielen angesichts der Erfahrungen aus der praktischen Arbeit.
Ich hoffe, das ist so für Dich hilfreich! Wenn Du noch mehr über Missionen in der Bildung wissen möchtest, empfehle ich Dir mein Policy Paper „Mission: Bildung für das 21. Jahrhundert“. Du findest es auf der Website des Centre for Social Investment.
Vielen Dank für die ausführliche Antwort, das hat meinem Verständnis geholfen. 🙂