„Innovative“ oder „zeitgemäße“ Prüfungskultur – dieses Thema stößt aktuell auf sehr großes Interesse in der bildungspolitischen Debatte. So heißt es in der Ergänzung zur Strategie der Kultusministerkonferenz „Bildung in der digitalen Welt” (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 09.12.2021), dass die Prüfungskultur am “Lernen in einer Kultur der Digitalität” auszurichten sei.

„Prüfungskultur innovativ“ als Schulversuch der Stiftung Bildungspakt Bayern

Diese Ausrichtung wird in Bayern bereits seit dem Schuljahr 2021/22 mit dem Schulversuch „Prüfungskultur innovativ“ der Stiftung Bildungspakt Bayern intensiv verfolgt. Es geht darum, die Lern- und Prüfungskultur durch die Erweiterung des bisherigen Aufgabenspektrums von Leistungsnachweisen in Form von Stegreifaufgaben, Tests und Schulaufgaben zu verändern. Die Modellschulen entwickeln und erproben dafür digital gestützte und kooperative Formate, die prozess- und produktorientiert und ggf. auch interdisziplinär angelegt sind. An dem Schulversuch sind die Schularten Mittel- und Realschule sowie Gymnasium mit unterschiedlichen Fächern beteiligt.

Für die Konzeption neuer Formate bieten sich v. a. diese Anknüpfungspunkte an:

  • Leistungsnachweise, mit denen diejenigen Kompetenzen aufgebaut, gefördert und sichtbar gemacht werden, die für Studium und Beruf in einer digitalisierten Welt nötig sein werden, z. B. Medienkompetenz, Selbststeuerung, Metakognition, Kreativität oder Fähigkeit zur Kollaboration;
  • Steigerung der pädagogisch-didaktischen Qualität von Lern- und Leistungsaufgaben, z. B. durch digital verfügbares Arbeitsmaterial oder die Integration fachspezifischer Medienkompetenzen bzw. Inhalte, die für das Leben in einer digitalisierten Welt relevant sind

Bei der Weiterentwicklung der Aufgabenformate gilt es, grundlegende rechtliche Vorgaben einzuhalten. Dazu zählen z. B. die Vorgaben des Datenschutzes oder des Gleichbehandlungsgrundsatzes bei Leistungserhebungen. Gleichzeitig eröffnet der Status als Schulversuch auf der Grundlage von Art. 81 bis 83 BayEUG den Freiraum, abweichend von Schulordnungen und anderen rechtlichen Vorgaben verschiedene Formate auszuprobieren.

Die Leitung des Schulversuchs liegt bei der Stiftung Bildungspakt Bayern deren Auftrag es ist, die Qualität des bayerischen Bildungssystems weiter zu steigern. Die dafür notwendigen Schulversuche werden in enger Abstimmung mit dem Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus durchgeführt. Damit ist sichergestellt, dass die Erfahrungen und Ergebnisse aus den Modellvorhaben für alle Schulen in Bayern implementiert werden.

Im Schulversuch werden die Ergebnisse fortlaufend zur Verfügung gestellt. Der erste Bericht ist im Februar 2022 veröffentlicht worden. Sein Thema: „Digitale Lernprodukte als Leistungsnachweise“.

 

Digitale Leistungsnachweise: Ideenreich, interaktiv, integrativ, individuell

Beim Stichwort „digitaler Leistungsnachweis“ denkt man häufig zuerst an Multiple-Choice-Prüfungen, die innerhalb einer Lernplattform oder einer anderen Online-Plattform abgelegt und automatisiert ausgewertet werden. Interaktive Leistungsaufgaben können Lehrkräfte von Routineaufgaben entlasten und die Effizienz der Unterrichtsorganisation steigern. Sie bieten gleichzeitig die Möglichkeit für asynchrone Leistungserhebungen, bei denen Schüler:innen den Zeitpunkt der Leistungsfeststellung mitbestimmen können.  Gleichzeitig ist bei diesem Format der Ideenreichtum der Lehrkräfte gefordert, auch bei Multiple-Choice-Fragen den Anforderungen der Kompetenzorientierung gerecht zu werden und durch geeignete Distraktoren Schüler:innen kognitiv zu fordern.

Im Schulversuch kommt dafür v. a. die auf Moodle basierende Lernplattform zum Einsatz, die in „mebis“ (Landesmedienzentrum Bayern) integriert ist. Parallel werden Formate in fachspezifischen Softwarelösungen entwickelt, z. B. für das Fach Latein.

Zweiter wichtiger Schwerpunkt für die Konzeption digitaler Leistungsnachweise sind hybride Formate, bei denen ein Teil der Leistungsfeststellung analog und ein anderer Teil digital gestaltet ist. Wie diese Integration digitaler Medien in bestehende Formate erfolgen kann, zeigen die folgenden Beispiele:

  • Einsatz von Videos bei Hör- und Seh-Verstehen-Aufgaben in modernen Fremdsprachen in Kombination mit analog zu bearbeitenden Arbeitsaufträgen,
  • Einsatz von „stummen“ Videos für analoge Schreibaufgaben im Deutsch- oder Sprachenunterricht
  • Beurteilung der Qualität von Erklärvideos hinsichtlich der fachlichen Richtigkeit und lernförderlichen Gestaltung in unterschiedlichen Fächern in Kombination mit Aufgaben, die den fachlichen Kompetenzerwerb analog sichtbar machen,
  • Internetrecherche zur Vorbereitung einer analogen Schreibaufgabe oder analogen Bearbeitung von Arbeitsaufträgen für den fachlichen Kompetenzerwerb,
  • digitale Vorbereitung und Dokumentation von Experimenten in naturwissenschaftlichen Fächern.

Bei diesen hybriden Formaten eröffnen sich mehr Möglichkeiten zur Individualisierung, z. B. bei der Geschwindigkeit und Häufigkeit der Bearbeitung von audiovisuellem Arbeitsmaterial in Form von Videos oder der digitalen Dokumentation in naturwissenschaftlichen Fächern.

Die Integration digital gestützter Elemente in z. B. Schulaufgaben verbreitern die pädagogisch-didaktischen Möglichkeiten in unterschiedlichen Fächern. Auf diesem Wege ist es auch möglich, Medienkompetenz und andere überfachliche Kompetenzen sichtbar zu machen, auch wenn nicht gegeben ist, dass alle Schüler:innen in der Leistungsfeststellung das Tastaturschreiben beherrschen.

 

Digitale Leistungsnachweise: Vom E-Book über das Erklärvideo zum E-Portfolios

Digitale Lernprodukte sind in besonderem Maße geeignet, Prozess- und Projektorientierung in die Lern- und Prüfungskultur zu integrieren und kollaboratives Arbeiten zu schulen (siehe auch „Digitale Lernprodukte als Leistungsnachweise“).

Sollen digitale Lernprodukte als Leistungsnachweise an der Schule etabliert werden und z. B. Schulaufgaben ersetzen, sind – wie auch bei analogen Formaten – verbindliche Absprachen im Kollegium bzw. in der Fachschaft zu treffen, z. B.

  • zur Bewertung der fachlichen und überfachlichen Kompetenzen,
  • zur Bewertung von Leistungen bei kollaborativ erstellten Leistungsnachweisen
  • zur Progression der Formate, z. B. von der linearen zur interaktiven Präsentation,
  • zur Vermittlung der notwendigen überfachlichen Kompetenzen.

Im Schulversuch werden dazu fortlaufend die Medien- und Methodencurricula ergänzt, anhand derer fachintegrativ, fortlaufend und spiralförmig der überfachliche Kompetenzerwerb organisiert wird. Der damit verbundene Aufwand wird durch mehrere Vorteile ausgeglichen:

  • Redundanzen werden vermieden und somit wird sorgsam mit Unterrichtszeit und den Ressourcen von Lehrkräften umgegangen, so dass z. B. die Kriterien für gute Erklärvideos nicht in mehreren Fächern parallel thematisiert werden;
  • Die Überforderung von Schüler:innen kann vermieden werden, weil Medien- und Methodenkompetenz verbindlich angeleitet wird;
  • Der Handlungsspielraum für Lehrkräfte wird erweitert, da die Basis für die Umsetzung im Medien- und Methodencurriculum gelegt ist.

Ausblick: Weitere Schritte auf dem Weg zu einer innovativen Prüfungskultur

Das Verfassen von Texten am Computer bietet sich für Leistungserhebungen im Fach Deutsch nicht nur wegen der Überarbeitungsmöglichkeit, die eine Optimierung der Texte erlaubt, an. Dafür ist aber zu garantieren, dass Schüler:innen sicher mit der Tastatur umgehen können. Wie und ab wann das gelingen kann, ist ein Handlungsfeld im Schulversuch.

Weiter zu bearbeiten sind auch Fragen zur Speicherung und Archivierung digitaler Leistungsnachweise sowie die damit verbundene Möglichkeit der Einsichtnahme durch Erziehungsberechtigte.

Im zweiten Jahr der Durchführung des Schulversuchs im Schuljahr 2022/2023 liegt der Schwerpunkt neben der Weiterentwicklung von Leistungsaufgaben unter dem Aspekt der Fachlichkeit auf kollaborativ zu bearbeitenden Leistungsnachweisen.

Die Ergebnisse werden fortlaufend auf der Webseite zum Schulversuch veröffentlicht und bei E-Sessions mit der Stabsstelle Medien.Pädagogik.Didaktik der Akademie für Lehrerfortbildung und Personalführung vorgestellt.