Leon, Samira und die Mathematik

Stellen Sie sich einmal Folgendes vor: Leon besucht die dritte Klasse einer Grundschule und findet das Fach Mathematik ziemlich langweilig. „Wozu soll ich das alles lernen? Mathematik macht mir einfach keinen Spaß! Und außerdem schaffe ich es niemals, alle diese Aufgaben zu lösen.“ Frustration macht sich bei dem Grundschüler breit und das Lernen ist für ihn mühsam. In seiner Freizeit möchte Leon mit Mathematik am liebsten nichts am Hut haben, denn er muss sich beim Lösen der Mathematikaufgaben stark konzentrieren und anstrengen. Samira besucht dieselbe Klasse wie Leon. Im Gegensatz zu ihm begegnet sie dem Fach Mathematik mit Freude und Interesse und löst die Aufgaben ohne größere Probleme. Samira findet Mathematik darüber hinaus wichtig, denn sie möchte später einmal bei einer Bank arbeiten und weiß schon, dass sie Mathematik dafür gut gebrauchen kann.

Vergleicht man die beiden Schüler hinsichtlich ihrer Motivation für das Fach Mathematik, so wird schnell deutlich, dass sie die Beschäftigung damit sehr unterschiedlich erleben. Dabei spielen verschiedene Faktoren zusammen, z. B. verschieden starkes Interesse, subjektives Kompetenzerleben, wahrgenommene Nützlichkeit und Relevanz sowie intrinsische Motivation der Lernenden sich mit Mathematik zu beschäftigen. Diese Unterschiede in motivationalen Aspekten des Lernens sind kritisch zu sehen, wenn sich zeigt, dass eine geringere Motivation mit schlechteren Lernergebnissen verbunden ist.

Spirale zwischen Motivation und Kompetenz

Großangelegte Schulleistungsstudien wie IGLU, TIMSS und PISA zeichnen diese Verknüpfung von Motivation und Leistungen sowohl für Grundschulkinder als auch für Lernende des weiterführenden Schulkontexts wiederholt nach: Eine höhere Lernmotivation geht mit besseren Leistungen einher, beispielsweise im Lesen, in Mathematik oder in Naturwissenschaften (Hußmann et al., 2017; Reiss et al., 2019; Schwippert et al., 2020). Dieses Zusammenspiel von Motivation und Kompetenzerwerb kann auch eine langfristige Entwicklungsdynamik hervorbringen, die man sich spiralförmig vorstellen kann. Fachliche und überfachliche Kompetenzen bedingen einander, sodass Motivation den Kompetenzerwerb fördert – Kompetenzerleben wiederum kann motivierend wirken.

Das umgekehrte Zusammenspiel von geringen Kompetenzen und geringer Motivation ist ebenfalls denkbar. So ergeben sich Auf- bzw. Abwärtsspiralen, in denen sich motivationale Merkmale und Kompetenzen gegenseitig fördern bzw. hemmen. In der Literatur wird dieses Zusammenspiel auch als Engels- bzw. Teufelskreise des Lernens (z.B. Pfost, Dörfler & Artelt, 2013) bezeichnet.

Aus empirischen Studien geht schon lange hervor: Motivationale Merkmale, wie Interesse, intrinsische Motivation oder das Fähigkeitsselbstkonzept, sind eben nicht nur günstige Voraussetzungen für schulisches Lernen, sondern zugleich auch wichtige Ziele und Ergebnisse (z.B. Marsh & Craven, 2006; Retelsdorf et al., 2014; Schiepe-Tiska et al., 2016). Fragen, die das Verhältnis zwischen Motivation und Leistung sowie die Motivationsförderung im Schul- und Unterrichtskontext betreffen, sind daher für eine qualitätsvolle Gestaltung von Lehr-Lern-Prozessen besonders relevant (Lepper, 2021). Wie können Schülerinnen und Schüler nicht nur kompetenzbezogen, sondern auch motivational unterstützt werden?

Selbstbestimmungserleben als Motivationsquelle von Lernende

Eine Mut machende Antwort zu Beginn: Motivation bzw. motivationale Merkmale sind nicht statisch, sondern veränderungsfähig und wandelbar. So kann Motivation von Schülerinnen und Schülern durch das Lernumfeld gezielt angeregt und unterstützt werden. Dies haben vor allem Interventionsstudien zeigen können (für einen Überblick siehe Lazowski & Hulleman, 2016). Ein Blick in Theorien der Motivationspsychologie zeigt, dass dabei unter anderem die Befriedigung psychologischer Grundbedürfnisse von zentraler Bedeutung ist. Besonders prominent ist die Selbstbestimmungstheorie nach Deci und Ryan (1985), in der drei zentrale, angeborene psychologische Grundbedürfnisse als wichtige Voraussetzung für die Entwicklung intrinsischer Motivation erachtet werden: Das Erleben von Autonomie, Kompetenz und sozialer Eingebundenheit. Übertragen auf den Schulkontext bedeutet das: Schülerinnen und Schüler, die sich mit den Lerninhalten identifizieren können, die Themen als relevant und wichtig erachten, sich selbst als kompetent wahrnehmen und das Gefühl haben, von der Lehrkraft sowie von Mitlernenden akzeptiert und wertgeschätzt zu werden, haben gute Voraussetzungen, aus eigener Motivation heraus zu lernen und nicht, weil sie lernen müssen. Dabei ist die intrinsische Motivation als höchste Form der Motivation zu begreifen, weil diese durch innere Anreize wie Spaß und Interesse begründet ist und unabhängig von äußeren Anreizen (z.B. Taschengeld für gute Schulnoten) fortbesteht.

Motivationsunterstützung im Unterricht

Im Konkreten heißt das für Unterricht und Lehrkräfte, dass sie Bezüge zu den Interessen und Lebenswelten der Schülerinnen und Schüler aktiv herstellen sollten. Bestehende Interessen sollten direkt bei den Lernenden erfragt werden. Um bei dem fiktiven Beispiel Leon zu bleiben: Mathematik könnte für Leon interessanter und relevanter erscheinen, wenn sein Sportinteresse im Mathematikunterricht aufgegriffen werden würde. Tabellen mit Sportergebnissen könnten als Grundlage für mathematische Operationen dienen. Wenn Leon so zunehmend stärkeres Interesse und Gefallen am Lösen mathematischer Aufgaben entwickelt, könnten sich auch seine Kompetenzen und das Kompetenzerleben in Mathematik verbessern, was ihn wiederum motivational bestärken könnte. Wenn dann noch die soziale Einbindung gewährleistet ist und Leon die Aufgaben mit anderen Schülerinnen und Schülern gemeinsam löst, dann sind gute Bedingungen für motiviertes Lernen geschaffen.

Realistisch gesehen ist das Lernen in Schule jedoch häufig eben nicht „rein“ intrinsisch motiviert, sondern an Zwecke gebunden, wie den Erwerb von Abschlüssen. Lehrkräfte können vor diesem Hintergrund auch an anderen Stellschrauben als Freude und Interesse ansetzen, beispielsweise indem die Relevanz und Nützlichkeit der Lehrinhalte für den Alltag oder das Berufsleben gemeinsam mit Lernenden reflektiert werden.

Fazit und Zielperspektiven für Motivation von Lernenden

Mit Blick auf gutes Lernen für Schülerinnen und Schüler wird für Schule eines klar: Die Motivation von Lernenden ist ein besonders wichtiger Ansatz, um Lernprozesse qualitätsvoll zu gestalten. Grundlage dafür ist auch das Verständnis eines breiter angelegten Kompetenzbegriffs, der sowohl fachliche als auch überfachliche Kompetenzen integriert, wie motivationale Merkmale.

Allerdings sollte bei der Unterstützung von Schülerinnen und Schülern immer mitbedacht werden, dass die Lernenden selbst Initiatoren ihres Handelns sind und daher nur eingeschränkt Einfluss auf die Motivation der Lernenden von außen genommen werden kann. Gerade deshalb ist es besonders wichtig, die Perspektiven von Schülerinnen und Schülern in den Blick zu nehmen und sie aktiv einzubeziehen, wenn es z. B. um die Wahl von Themen und Aufgabentypen geht. Der offene Austausch zwischen Lehrkräften und Lernenden kann hier ein guter Anfang sein: Welche Bedingungen wünschen sich Schülerinnen und Schüler, um motiviert und interessiert an Lerninhalten arbeiten zu können? Wo wird Motivation erlernt? Welche Themen sind gerade von besonderem Interesse und lösen entdeckendes Lernen bei Schülerinnen und Schülern aus?

Und schließlich sollte auch die Frage gestellt werden, wann und in welcher Form Schülerinnen und Schüler das Gelernte am besten zeigen können – auch dabei ist denkbar, die Lernenden einzubeziehen, um einen guten Zeitpunkt und eine geeignete Prüfungsform zu finden. So ist auch eine veränderte Prüfungskultur ein wichtiger Faktor, wenn es darum geht, motivationsunterstützenden Unterricht und besseres Lernen zu ermöglichen.

 

 

Literaturangaben

Deci, E.L. & Ryan, R.M. (1985). Intrinsic motivation and self-determination in human behavior. Plenum Press, New York.

Hußmann, A., Wendt, H., Bos, W., Bremerich-Vos, A., Kasper, D., Lankes, E.-M., … Valtin, R. (Hrsg.) (2017). IGLU 2016: Lesekompetenzen von Grundschulkindern in Deutschland im internationalen Vergleich. Münster, Germany: Waxmann.

Lazowski, R. A., & Hulleman, C. S. (2016). Motivation interventions in education: a meta-analytic review. Review of Educational Research, 86(2), 602–640. https://doi.org/10.3102/0034654315617832.

Lepper, C. (2021). Motivationsunterstützende Unterrichtsgestaltung in der Grundschule − Unterrichtsqualität und Textmerkmale im Fokus. (Dissertation). https://doi.org/10.17877/DE290R-22604

Marsh, H. W., & Craven, R. G. (2006). Reciprocal effects of self-concept and performance from a multidimensional perspective: Beyond seductive pleasure and unidimensional perspectives. Perspectives on Psychological Science, 1(2), 133–163.

Pfost, M., Dörfler, T., & Artelt, C. (2013). Students‘ extracurricular reading behavior and the development of vocabulary and reading comprehension. Learning and Individual Differences, 26, 89−102.

Reiss, K., Weis, M., Klieme, E., & Köller, O. (Hrsg.). (2019). PISA 2018: Grundbildung im internationalen Vergleich. Münster: Waxmann.

Retelsdorf, J., Köller, O., & Möller, J. (2014). Reading achievement and reading self-concept–Testing the reciprocal effects model. Learning and Instruction, 29, 21−30.

Schiepe-Tiska, A., Heine, J. H., Lüdtke, O., Seidel, T., & Prenzel, M. (2016). Mehrdimensionale Bildungsziele im Mathematikunterricht und ihr Zusammenhang mit den Basisdimensionen der Unterrichtsqualität. Unterrichtswissenschaft, 44(3), 211–225.

Schwippert, K., Kasper, D., Köller, O., McElvany, N., Selter, C., Steffensky, M. & Wendt, H. (Hrsg.) (2020). TIMSS 2019. Mathematische und naturwissenschaftliche Kompetenzen von Grundschulkindern in Deutschland im internationalen Vergleich. Münster: Waxmann.