Corona nimmt kein Ende. Und auch im Jahr 2022 sind die Auswirkungen auf Bildung, Wirtschaft und Gesellschaft erheblich. Um dieser Ausnahmesituation Rechnung zu tragen, hat die Bertelsmann Stiftung zum dritten Mal fast 1.700 junge Menschen nach ihren Einschätzungen und Wahrnehmungen zur Ausbildungssituation befragt. Einige zentrale Ergebnisse und Schlussfolgerungen werden in diesem Blog vorgestellt. Übrigens: In diesem Jahr gibt es die Auswertungen erstmals nicht nur auf Bundes-, sondern auch auf Länderebene.[1]

Ausbildungsinteresse und Ausbildungschancen

Auch im dritten Corona-Jahr ist das Interesse junger Menschen an einer Ausbildung groß: 41 Prozent der 14- bis 20-Jährigen, die noch Schüler:innen einer allgemeinbildenden Schule sind, möchten auf jeden Fall eine Ausbildung machen. Insgesamt 33 Prozent sind noch unentschieden. Das bedeutet in Summe, dass rund drei Viertel der Schüler:innen eine Ausbildung zumindest als Option in Betracht ziehen.

Weniger positiv fallen die Antworten aus, wenn junge Menschen nach den aktuellen Chancen auf einen Ausbildungsplatz gefragt werden. Über die Hälfte der jungen Menschen (54 %) haben den Eindruck, dass die Chancen auf einen Ausbildungsplatz eher schlechter sind als vor Corona. Diesen Eindruck haben in besonderem Maße Jugendliche mit niedriger Schulbildung (68 %).

Trotz vielfältiger Aktivitäten zur Erhöhung der betrieblichen Ausbildungsbereitschaft ist die Einschätzung junger Menschen zum Engagement der Politik für Ausbildungssuchende recht kritisch: 42 Prozent der befragten Jugendlichen kritisieren, die Politik tue eher wenig oder gar nichts für Ausbildungsplatzsuchende. Weitere 38 Prozent aller Befragten sind der Meinung, die Politik tue zwar viel, aber nicht genug. Die negativen Einschätzungen stammen auch hier besonders von Jugendlichen mit niedriger Schulbildung. Mit anderen Worten: Diejenigen, für die ein politisches Engagement besonders wichtig wäre, haben am wenigsten den Eindruck, dass etwas für sie getan wird.

Ausbildungsplätze reichen nicht

Immer wieder berichten die Medien über die große Zahl von unbesetzten Ausbildungsplätzen in den Unternehmen. Dennoch hat nur jeder zwanzigste Jugendliche (5 %) auch tatsächlich den Eindruck, es gebe zu viele Ausbildungsplätze. 37 Prozent sind hingegen der Auffassung, es gebe zu wenige Ausbildungsplätze.

Von den Jugendlichen mit niedriger Schulbildung, für die eine Ausbildung ja die einzige nachschulische Bildungsoption darstellt, hat sogar jeder Zweite den Eindruck, dass die Zahl der Ausbildungsplätze nicht ausreicht. Im Vergleich zum Vorjahr haben sich diese Einschätzungen merklich verschlechtert.

Wahrnehmungen und Realitäten auf dem Ausbildungsmarkt

Insgesamt zeigt sich eine große Verunsicherung junger Menschen mit Blick auf den Ausbildungsmarkt. Alarmierend in der Gesamtschau der Ergebnisse sind besonders die pessimistischen Einschätzungen junger Menschen mit niedrigen Schulabschlüssen, also mit maximal Hauptschulabschluss bzw. erstem allgemeinen Schulabschluss. Deren Pessimismus ist – trotz vieler unbesetzter Ausbildungsstellen – nicht verwunderlich: Zuletzt gab es in Deutschland rund 2,33 Millionen junge Menschen zwischen 20 und 34 Jahren, die über keinen Berufsabschluss verfügten. Das entspricht einer Quote von 15,5 Prozent. Junge Menschen mit niedrigen Schulabschlüssen sind besonders häufig betroffen: Bei den Jugendlichen mit Hauptschulabschluss beträgt die Ungelerntenquote 35,8 Prozent, bei denjenigen ohne Schulabschluss liegt sie sogar bei 64,4 Prozent. Mit höherem Schulabschluss sinkt die Quote deutlich (Realschulabschluss: 13,3 %, Studienberechtigung: 7,4 %).[2]

Eine Entwicklung, die sowohl aus sozialen als auch aus ökonomischen Gründen dramatisch ist: Einerseits sind Personen ohne Berufsabschluss von Arbeitslosigkeit besonders betroffen. Andererseits klagen zwei Drittel der Unternehmen in Deutschland bereits heute über Fachkräftemangel und fast die Hälfte konstatieren speziell einen Mangel an beruflich ausgebildeten Personen.[3]

Natürlich wird seit vielen Jahren auch viel unternommen, um Abhilfe zu schaffen: Dazu zählen Programme zur Berufsorientierung und Übergangsmaßnahmen ebenso wie Ausbildungsprämien und Aktionen wie der „Sommer der Berufsausbildung“. Die Entwicklung umzukehren oder zumindest zu stoppen ist bislang jedoch nicht gelungen. Umso wichtiger ist es, den Blick auf strukturelle Veränderungen und Reformen zu richten.

Was zu tun ist: Eine Ausbildungsgarantie für Deutschland

Die Bertelsmann Stiftung plädiert seit Jahren für die Einführung einer Ausbildungsgarantie nach Österreicher Vorbild.[4] In deren Rahmen wird zunächst versucht, den Jugendlichen einen betrieblichen Ausbildungsplatz zu vermitteln. Nur wenn das nicht gelingt, bekommen sie einen staatlich finanzierten, sogenannten außerbetrieblichen Ausbildungsplatz angeboten. Ziel ist es dann, spätestens nach Ablauf des ersten Ausbildungsjahres unter Anrechnung der erbrachten Leistungen in eine betriebliche Ausbildung zu wechseln. Das ist auch für Betriebe attraktiv, denn auf diese Weise erhalten sie bereits vorqualifizierte und beruflich gut orientierte Azubis. Nur für den Fall, dass dieser Übergang trotz aller Vermittlungsanstrengungen nicht gelingt, verbleibt der Jugendliche in der außerbetrieblichen Ausbildung und erlangt dort einen anerkannten Abschluss. In der Praxis funktioniert das recht gut: Zwei Drittel der ursprünglichen Teilnehmer:innen erreichen den Abschluss, davon wiederum zwei Drittel in regulärer betrieblicher Ausbildung, also nach gelungenem Übergang.[5]

Im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung ist die Einführung einer Ausbildungsgarantie festgeschrieben: „Wir wollen eine Ausbildungsgarantie, die allen Jugendlichen einen Zugang zu einer vollqualifizierenden Berufsausbildung ermöglicht, stets vorrangig im Betrieb.“ [6] Die baldige Umsetzung dieser Formulierung wäre sehr zu begrüßen: Jugendliche bekommen einen Einstieg in eine vollwertige Berufsausbildung, die Wirtschaft erhält zusätzliche Fachkräfte und der Staat profitiert mittelfristig von steigenden Einnahmen aufgrund höherer Wertschöpfung.

 

 

[1] Wer sich für die Länderergebnisse interessiert, schaut direkt in die Studie: Ingo Barlovic, Denise Ulrich, Clemens Wieland, Ausbildungsperspektiven im dritten Corona-Jahr, Eine repräsentative Befragung von Jugendlichen 2022, Bertelsmann Stiftung 2022. Online verfügbar unter www.chance-ausbildung.de/jugendbefragung/corona2022. Im Anhang der Studie sind sämtliche Tabellen mit den Länderauswertungen enthalten.

[2] Vgl. Berufsbildungsbericht 2022, S. 94f.

[3] Vgl. Mayer, Matthias, Fachkräfteengpässe und Zuwanderung aus Unternehmenssicht in Deutschland 2021: Stärkerer Anstieg als im Vorjahr angenommen, Bertelsmann Stiftung 2021, S. online verfügbar unter Fachkräfteengpässe und Zuwanderung aus Unternehmenssicht in Deutschland 2021: Stärkerer Anstieg als im Vorjahr angenommen: Bertelsmann Stiftung (bertelsmann-stiftung.de) (zuletzt abgerufen am 08.03.2022).

[4] Vgl. z.B. Wieland, Clemens, Zehn Gelingensbedingungen einer Ausbildungsgarantie, Gütersloh 2022, online verfügbar unter Zehn Gelingensbedingungen einer Ausbildungsgarantie: Bertelsmann Stiftung (bertelsmann-stiftung.de) und Wieland, Clemens, Die Ausbildungsgarantie in Österreich, Gütersloh 2020, online verfügbar unter www.chance-ausbildung.de/Ausbildungsgarantie_Oesterreich.

[5] Vgl. Susanne Forstner, Zuzana Molnárová und Mario Steiner. Institut für Höhere Studien – IHS, Wien. Volkswirtschaftliche Effekte einer Ausbildungsgarantie – Simulation einer Übertragung der österreichischen Ausbildungsgarantie nach Deutschland. 2021, S. 26f. Online verfügbar unter: www.chance-ausbildung.de/effekte-ausbildungsgarantie

[6] Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP (2021), S. 66. Online verfügbar unter Koalitionsvertrag (bundesregierung.de) (zuletzt aufgerufen am 16.02.2022).