Die Zahlen sprechen Bände:

  • 7,5 Prozent aller deutschen Schülerinnen und Schüler haben im Schuljahr 2021/22 einen sonderpädagogischer Förderbedarf – in der Gruppe der Kinder und Jugendlichen nicht-deutscher Staatsangehörigkeit liegt dieser Anteil jedoch bei 9 Prozent. Das ist insgesamt eine viel zu hohe Zahl und die Unterschiede zwischen den Gruppen sind nicht hinnehmbar.
  • 68,3 Prozent aller Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf verteilen sich auf drei Förderschwerpunkte Lernen (40,2 Prozent), Sprache (10,2 Prozent) sowie Emotionale und soziale Entwicklung (17,9 Prozent) – genannt LSE. Bei einer gesicherten Übergangsgestaltung von der Elementar- in die Primarbildung könnten diese Zahlen wesentlich geringer ausfallen.
  • Die Grundschule ist die einzige Schulform, die alle Schülerinnen und Schüler aufnimmt. Etliche Studien zu Effekten des Lernortes auf Motivation und Wohlbefinden von Grundschülerinnen und Grundschülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf und ohne einen solchen kommen zu dem Ergebnis, dass gemeinsames Lernen viele Vorteile bietet (vgl. hierzu Lütje-Klose et al., 2018). Wir müssen die Übergänge in die Grundschule hinein und aus der Grundschule in die weiterführenden Schularten stärken, um die inklusive Bildung insgesamt im Interesse aller Familien und ihrer Kinder voranzubringen.

Deshalb werden in diesem Beitrag Möglichkeiten des gemeinsamen Lernens aller Kinder von Anfang an in einer inklusiven Bildungseinrichtung in aller Kürze vorgestellt. Dabei wird thematisiert, welche Unterstützungsangebote die allgemeine Schule benötigt, damit alle Schülerinnen und Schüler von Anfang an zu einem möglichst hohen Maß an Aktivität und Teilhabe in einer kompetenzorientierten Bildung kommen können.

Fast alle Kinder freuen sich am Ende ihrer Kindergartenzeit auf die Schule und sind gespannt wie ein Flitzebogen, wie toll das wohl wird. Aber häufig ist der Übergang in die Grundschule mit Ängsten, Stress und Fremdheitsgefühlen belastet. Das muss nicht sein, wenn Grundschulen und Kindertageseinrichtungen gemeinsam und rechtzeitig damit beginnen, die Kinder auf die Schule und ein selbstbestimmtes Lernen vorzubereiten. Und es muss uns gelingen, auch die Kinder zu begleiten, die keine Kindertageseinrichtung besuchen – aber dazu ein anderes Mal mehr.

Im Lichte der UN-Konventionen über die Rechte der Menschen mit Behinderungen und der UN-Kinderrechtskonvention ist für das gemeinsame Lernen aller Kinder besonders wichtig, dass die pädagogischen Fachleute in den frühen Bildungseinrichtungen über gute und gesicherte Kompetenzen verfügen:

  • diagnostische Kompetenz, um unterschiedliche Entwicklungsbedürfnisse von Kindern wahrzunehmen,
  • methodische Kompetenz, um individuelle Lern- und Handlungsprozesse der Kinder anzuregen,
  • Beratungskompetenz, um Verständnis für die Besonderheiten der Kinder zu signalisieren und dieses Verständnis auch bei den Eltern und Großeltern der Kinder herzustellen.

Merke: Alle Familien sind Experten für ihre Kinder!

Der Zusammenhang zwischen ungünstigen oder sogar sehr schlechten Lebensbedingungen von Kindern und der Gefährdung ihrer Entwicklung ist lange bekannt und vielfach erforscht. Defizite in der materiellen und emotionalen Versorgung, fehlende Anregungen und Lernanreize, Armut, soziale Benachteiligung und wenig Erfahrungen mit der Bildungssprache Deutsch sind Risikofaktoren für die kindliche Entwicklung. Sprach- und Sprechstörungen, körperliche Entwicklungsrückstände, psychische Auffälligkeiten sowie Anfälligkeit für Krankheiten stehen in engem Zusammenhang mit den sozialen Bedingungen des Aufwachsens im frühen Kindesalter.

Risikofamilien werden von den herkömmlichen Angeboten und Einladungen mit einer freiwilligen „Komm-Struktur“ häufig nicht erreicht. Die Erwachsenen erleben objektive oder oft auch nur subjektiv vorhandene sprachliche und kulturelle Hemmschwellen und glauben, dass sie diese nicht überwinden können. Sie benötigen eine aufsuchende und willkommen heißende Struktur, in der professionelle Kräfte auf sie zugehen und sie zum Lernort ihres Kindes begleiten.

In den Kindertagesstätten gibt es sehr gute Kompetenzen in der Diagnostik von Lern- und Entwicklungsprozessen und für die individuelle Förderung für alle Kinder – auch für diejenigen, die aus Elternhäusern mit Exzellenzansprüchen kommen. Diese Kompetenzen müssen im Bereich der Grundschulen weitergeführt werden. Und damit individuelle Bedarfe auch erkannt und Bildungsangebote angenommen werden können, ist es wichtig, sonderpädagogische Kompetenz frühzeitig einzubeziehen – ohne Kinder in Kategorien und Schubladen einzusortieren.

Im Folgenden werden ein paar konkrete Möglichkeiten zur Veränderung aufgezeigt:

  • Anerkennung der Erziehungsleistungen aller Eltern
  • Förderung der individuellen Fähigkeiten und Kompetenzen – alle Kinder haben viele davon!
  • Elternbildung an Kindertageseinrichtungen und Grundschulen
  • individuelle Bildungsplanung für alle Kinder bereits in der Kindertageseinrichtung und anschließend in der Grundschule unter Einbezug der Vorstellungen der Eltern und der Ideen der Kinder
  • Fallkonferenzen im interdisziplinären, leistungs- und trägerübergreifenden Team
  • Kooperation von Kindertagesstätten, Schulen, Vereinen, kommunalen Dienststellen und sonderpädagogischen Unterstützungszentren im Sozialraum
  • Vermeiden sozialer Ausgrenzung einzelner Kinder aus gemeinsamen Unternehmungen – insbesondere aus der gemeinsamen Verpflegung und von gemeinsamen Ausflügen.
  • Vielleicht lässt sich dazu eine pädagogische Konferenz gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus der Eingangsphase einer Grundschule zusammen mit Kolleginnen und Kollegen aus umliegenden Kitas durchführen?

Merke: Alle Kinder freuen sich auf die Schule – es ist die gemeinsame Aufgabe von Bildungseinrichtungen und Familien, diese Freude zu nutzen und zu erhalten!

Denken wir an die oben genannten Zahlen, so benötigen wir Kompetenzen zur Vermeidung von sonderpädagogischen Unterstützungsbedarfen im Bereich LSE. Prävention ist ein Begriff, der in aller Munde ist. Aber was bedeutet er konkret für die tägliche Arbeit?

Prävention ist

  • die gemeinsame Suche nach guten Ideen für die Schaffung förderlicher Lern- und Entwicklungsbedingungen für jedes einzelne Kind,
  • die wechselseitige Bereitschaft zur Kooperation und zum professionellen Austausch über die Grenzen der Berufsgruppen hinweg,
  • die interdisziplinäre, pädagogische und organisatorische Bildungs- und Erziehungsbegleitung besonders im Übergang in die Schule, damit Lern- und Entwicklungsstörungen gar nicht erst entstehen,
  • die gemeinsame Suche nach möglichen Ursachen und Risikofaktoren für eine Lern-, Entwicklungs- oder Verhaltensstörung bei einzelnen Kindern,
  • das frühzeitige Erfassen von Problemen oder Teilhabe-Einschränkungen,
  • das kooperative Bemühen um die Vermeidung oder Verminderung von Folgeproblemen und negativen Begleiterscheinungen,
  • die Inanspruchnahme der personellen, organisatorischen und sächlichen Unterstützung durch das örtlich zuständige sonderpädagogische Unterstützungszentrum,
  • die aktive Nutzung schützender und stärkender Faktoren (Resilienz).

Wenn Sie sich für Resilienz und selbsterfüllende Prophezeiungen oder für Vernetzungen im Sozialraum und besondere Möglichkeiten der frühzeitigen sonderpädagogischen Unterstützung ohne Labeling interessieren, können Sie sich auf einen späteren Blog-Beitrag von mir freuen. Und auch zum Übergang von der Grundschule in die weiterführenden Schularten gibt es zu einem anderen Zeitpunkt mehr.

Was können wir nun gewinnen, wenn der Übergang von der Kita in die Schule gut klappt? Vieles – nämlich unter anderen

  • zufriedene Kinder, denen Schule und Lernen Spaß macht,
  • Eltern, die gute wohnortnahe, inklusive Bildungseinrichtungen finden,
  • zufriedene Familien – Mütter, Väter, Großeltern und Angehörige -, die Vertrauen in die Kita und Schule ihrer Kinder haben,
  • einen guten Ruf der Einrichtung und Fachpersonal, das gern dort arbeitet,
  • kollegialen Austausch und
  • einen schier unerschöpflichen Ideenpool.

 


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