Der IQB-Bildungstrend 2022 hat kürzlich die Ergebnisse für die Überprüfung der Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz (KMK) in den Fächern Deutsch, Englisch und Französisch veröffentlicht. Entgegen üblichen negativen Berichterstattungen über die Lernentwicklung deutscher Schüler:innen gibt es erfreuliche Nachrichten zum Englischunterricht: Im Zeitraum 2015 bis 2022 haben sich die bisherigen positiven Entwicklungen seit 2009 im Fach Englisch in fast allen Ländern fortgesetzt und teilweise weiter verstärkt. Bei den Neuntklässler:innen hat sich der Anteil derjenigen, die den Mindeststandard für den mittleren Schulabschluss (MSA) nicht erreichen, in Lese- und Hörverstehen um fast 3 Prozent verringert. Der Anteil der Schüler:innen, die den Regelstandard für den MSA erreichen oder übertreffen, ist um ganze 11 Prozentpunkte im Leseverstehen und um rund 10 Prozentpunkte im Hörverstehen deutlich gestiegen.  

Digitale Spiele als “neuer” Zugang zur englischen Sprache  

Überraschend sind solche Ergebnisse jedoch nicht: Der Zugang zur englischen Sprache durch neue Medien und Technologien hat in den letzten Jahrzehnten erheblich zugenommen. Von besonderer Bedeutung sind digitale Spiele: Allein in den letzten zwei Jahren hat sich der Anteil der Schüler:innen, die täglich oder mehrmals pro Woche digitale Spiele spielen, von rund 68 Prozent in 2020 (Feierabend et al., 2020, S. 54) auf rund 74 Prozent in 2022 (Feierabend et al., 2022, S. 49) erhöht. Nur 6 Prozent der befragten Jugendlichen in 2022 gaben an, dass sie nie digitale Spiele spielen (ebd.).  

Von diesen jungen Gamer:innen entscheiden sich viele, ihre digitalen Spiele auf Englisch zu spielen. Bei einer eigenen Recherche an einer Bielefelder Schule gaben rund 40 Prozent der befragten Schüler:innen (n=105) an, dass sie häufig, sehr häufig oder immer digitale Spiele auf Englisch spielen (Sen, 2022). Nur rund 19 Prozent der befragten Jugendlichen gaben an, dass sie digitale Spiele grundsätzlich nicht auf Englisch spielen. Ihre Gründe sind vielfältig: Einige wollen ihre Englischfähigkeiten verbessern, andere haben mehr Spaß und Freude an digitalen Spielen in Englisch und wieder andere präferieren die englische Synchronisation ihrer Lieblingsspiele.  

Von der Stärkung des englischen Wortschatzes zu Potenzialen für überfachliche Fähigkeiten  

Forschungsarbeiten zum Thema Sprachlernpotenzial von digitalen englischen Spielen schreiben digitalen Spielen das Potenzial zu, sich positiv auf den Fremdwortschatz und die Sprech- und Konversationsfähigkeiten von Fremdsprachenlerner:innen auszuwirken (Jensen, 2017; Rudis & Poštić, 2018; Sundqvist, 2009). Zudem würden digitale Spiele einen Raum für Sprachlerner:innen bieten, der motivierend und angstmindernd für den englischen Sprachgebrauch wirkt (Ebrahimzadeh & Alavi, 2017; Reinders & Wattana, 2015). 

Neben möglichen Verbesserungen der Sprachkenntnisse von jungen Gamer:innen verweisen Lehr-Lern-Forscher:innen auch auf das Potenzial für überfachliche Kompetenzen und Fähigkeiten.  

Unter Verwendung des Begriffs „Digital Game Literacies“ heben Forscher:innen die soziale und kulturelle Komplexität digitaler Spiele hervor (vgl. dazu Bacalja, 2023). Um erfolgreich mit anderen, auch nicht deutschsprachigen Spieler:innen zusammenzuarbeiten und komplexe Probleme im Spiel zu lösen, müssen sich Schüler:innen bestimmte kulturelle, soziale, kommunikative und visuelle Kompetenzen aneignen. Jede Spielgemeinschaft hat ihre eigene Kultur und jedes Spielsystem hat seine spezifischen Regeln und Systeme, die verstanden und gelernt werden müssen. Teamfähigkeit, Selbstmanagement, Konzentrationsfähigkeit, Innovationsvermögen und eine ständige Anpassungsfähigkeit an neue Game-Szenarien sind einige von vielen Fähigkeiten, die nötig sind, um erfolgreich in einem digitalen Spiel agieren zu können. Das sind Fähigkeiten, die in solch einer Komplexität und Intensität meist nicht im Schulunterricht gefördert werden.  

Gefahren und Potenziale Digitaler Spiele  

Klar ist, digitale Spiele sind nicht aus dem Leben von Schüler:innen wegzudenken. Sie erwerben mit ihnen sprachliche, überfachliche, soziale und kulturelle Kompetenzen und Wissen außerhalb der Schule, denn innerhalb von Schule ist ihre digitale Lebenswelt üblicherweise nicht vorzufinden. Problematisch wird dieses Fehlen, wenn junge Schüler:innen mit problembehafteten oder gefährlichen Inhalten und Situationen in digitalen Spielen oder Gaming-Communities konfrontiert werden (Weßel, 2020, S. 183f). Der Schulunterricht bietet ihnen keinen Raum, um Fähigkeiten und Kompetenzen auszubauen, mit denen sie nicht nur das Lernpotenzial von digitalen Spielen nutzen können, sondern zugleich auch lernen mit den Herausforderungen digitaler Spielkulturen umzugehen. Daraus ergibt sich die Frage: Wie kann die Integration von digitalen Spielen in die Lerninhalte des Schulunterrichts aussehen?  

Keine Shooter im Englischunterricht  

Digitale Spiele im Unterricht integrieren heißt nicht, wir lassen Schüler:innen während der Unterrichtszeit kommerzielle Spiele ohne pädagogisch-didaktische Einbettung spielen. Ganz im Gegenteil: Es bedeutet, ihre Spielinteressen als Unterrichtsthema aufzugreifen, Motivation und Spaß durch Gamification von Lerninhalten zu stärken und das narrative Potenzial von digitalen Spielen anzuerkennen und gemeinsam mit den Schüler:innen zu besprechen.  

Dies kann bedeuten, mit Schüler:innen Geschlechterstereotypen in kommerziellen digitalen Spielen zu analysieren und zu diskutieren, im Englischunterricht Rezensionen über ihre Lieblingsspiele zu verfassen oder diese als Video-Review aufzunehmen. Inspiration und Ideen gibt es viele. Eine erste Anlaufstelle kann die Plattform Games im Unterricht der Medienanstalt Baden-Württemberg sein. Dort finden sich eine Datenbank für praktische Unterrichtskonzepte sowie Bewertungen von digitalen Spielen für den Unterricht.  

Fabian Karg (2021) bringt es mit diesen Worten auf den Punkt: “Nicht jede Pädagogin, jeder Pädagoge muss Spiele in schulischen Kontexten einsetzen. Man sollte aber den Mut und die Neugier besitzen, sich dieser Welt zu nähern […]. Von unseren Schüler*innen wünschen wir uns, neugierig zu bleiben und lebenslang zu lernen. Wünschen wir es uns doch auch von uns selbst. Spiele sind eine gute Möglichkeit, mit dem Neugierig-Sein anzufangen”. 

Und mit diesen Worten möchte ich ermutigen: Lasst uns neugierig bleiben und vielleicht sogar als Pädagog:innen einen Controller in die Hand nehmen.  

 


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