Als Schulleiterin einer Förderschule mit dem Schwerpunkt Geistige Entwicklung setze ich mich seit langem für Digitalisierungsprozesse ein, um mehr Teilhabe an Bildung durch personalisierte und inklusionsfreundliche Lernangebote zu ermöglichen. Gemeinsam mit dem Kollegium der SINE-CURA-Schule in Quedlinburg (Sachsen-Anhalt) haben wir eine spannende Entwicklung unserer Schule angestoßen und vorangetrieben und tun dies auch weiterhin. Unser Ziel ist es dabei, barrierefreies Lernen durch die Nutzung digitaler Möglichkeiten neu zu denken und zu gestalten. Im folgenden Beitrag möchte ich einen Blick auf die Anfänge unserer Reise werfen und Einblicke in unsere Entwicklungsgeschichte mit zentralen Meilensteinen geben. 

Die Anfänge: Vision und Planung (2011-2015) 

Im Jahr 2011 begann die inspirierende Reise der SINE-CURA-Schule („SINE CURA“ – lat.: ohne Sorge, sorgenfrei) mit einer Vision: ein neues Schulhaus, das barrierefreies Lernen ermöglicht. Gemeinsam mit einem engagierten Kollegium entwickelten wir die Idee eines sorgenfreien Lernens, das auf ein selbstbestimmtes Leben in einer zunehmend digitalisierten Welt vorbereitet. Unser Leitgedanke, „SINE CURA“ – sorgenfreies Lernen für größtmögliche Teilhabe am gesellschaftlichen Leben – war der Antrieb für unsere Reise in die digitale Bildung. 

Der Umzug in ein modernes Schulgebäude (2015) 

2015 markierte einen bedeutenden Meilenstein: Wir zogen in ein modernes Schulgebäude, das mit einer komplett strukturierten Verkabelung das Fundament für die Umsetzung unserer digitalen Vision eines barrierefreien, lebensweltorientierten Lernens bildete. Mit 20 Notebooks und drei digitalen Tafeln starteten wir unsere digitale Reise. Erste Mikrofortbildungen zum Umgang mit den digitalen Tafeln wurden initiiert. Schnell erkannten einige Lehrkräfte den persönlichen Mehrwert dieser neuen Technologie, teilten ihre Erfahrungen in den Teams und inspirierten ihre Kolleginnen und Kollegen. Unsere Schülerinnen und Schüler, so unterschiedlich in ihren persönlichen Lernbedürfnissen, profitierten enorm von der Nutzung digitaler Medien, die zukünftig eine Schlüsselrolle für mehr Binnendifferenzierung im Unterricht spielen würde. Ein dynamischer Prozess setzte ein, der unsere Schule grundlegend verändern sollte. 

Entwicklung des Medienkonzepts (2019) 

Im Jahr 2019 verabschiedeten wir unser Medienkonzept, das die reale Lebenswirklichkeit unserer Schülerinnen und Schüler mit ihren heterogenen Förderbedarfen sowie ein barrierefreies, individualisiertes Lernen in den Mittelpunkt stellte. Damals waren wir stolz darauf, vier Tablets für die Schule anschaffen zu können. Unsere Vision war klar: digitale Lernbegleiter für unsere Schülerinnen und Schüler mit ihren vielfältigen Förderbedürfnissen. Gemeinsam mit unserem Schulträger besuchte die Schulleitung Fortbildungen, was zu einem besseren Verständnis der unterschiedlichen Perspektiven führte. Zusammen suchten wir praktikable Lösungen für die Endgeräteverwaltung, die es den Lehrkräften effizient ermöglichen sollte, die digitale Lernumgebung effektiv zu gestalten. 

Einführung von digitaler Lernplattform und Schulmessenger (2019-2020) 

Ende 2019 starteten wir mit unserer digitalen Lernplattform. Die Schulleitung richtete dort ein digitales Lehrerzimmer ein, in dem man – in Rubriken gut sortiert – zu fast jedem Thema die nötigen Informationen, wie Stunden-, Pausen- und Vertretungspläne findet. Projekttage oder Wandertage können papierlos beantragt, Protokolle nachgelesen, aktuelle News eingesehen und an schulinternen Abstimmungen teilgenommen werden. Das Kollegium kann auf einen gemeinsamen Kalender zugreifen, in dem alle schulrelevanten Termine eingetragen werden. Dies sorgte nicht nur für Transparenz, sondern führte seiner Zeit dazu, dass die tägliche Nutzung digitaler Endgeräte für alle Lehrkräfte zur Normalität wurde. Im Jahr 2020 folgte für den schnellen Austausch im Kollegium und die Kommunikation mit den Eltern die Einrichtung eines Schulmessenger-Dienstes. 

Fortbildung und Austausch im Kollegium (ab 2020) 

Das damalige Angebot von digitalen Tools, die den Lernbedürfnissen unserer Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt „Geistige Entwicklung“ entsprachen, war für uns wenig nutzbar. Deshalb konzentrierten sich unsere monatlichen Mikrofortbildungen nun verstärkt auf Themen, die es den Lehrkräften selbst ermöglichten, niederschwellig digitale Lernangebote zu gestalten. Für die Erstellung der interaktiven Aufgaben nutzen wir auf unserer digitalen Lernplattform  verschiedene Softwares zur Erstellung von interaktiven Webinhalten und zur Gestaltung von differenzierter Lernmaterialen. Damit kann die Lehrkraft zielgerichtet und strukturiert individualisierte Aufgaben für die unterschiedlichen Lernbereiche Deutsch, Mathematik, Sachkunde, Musik usw. erstellen, die Assistenzmöglichkeiten für die interaktiven Übungen anpassen und dann die Aufgaben per kabelloser Geräteübertragung oder via QR-Code an die Schülerinnen und Schüler verteilen. Mit einer interaktiven App können die Schülerinnen und Schüler die Aufgaben auf ihrem Tablet lösen und auch gleich eine Rückmeldung erhalten. Das Tablet wird zum mobilen, personalisierten Lernbegleiter. Ein Austausch im Kollegium zur Nutzung digitaler Medien setzte ein, der bis heute als monatliche Mikrofortbildung fester Bestandteil des Schuljahres ist. Kollegen kommen zusammen, stellen ihre Projekte vor, geben Tipps, stellen Fragen, bieten Lösungen an. 

Der heutige Stand: Eine digital hervorragend aufgestellte Schule 

Heute sind wir stolz auf eine Schule, die digital hervorragend aufgestellt ist. Jede Lehrkraft, jeder Schüler, jede Schülerin verfügt in der Schule über ein personalisiertes Tablet, das als zentrales Werkzeug für individualisiertes Lernen dient. Die 1:1-Ausstattung sorgt für verlässliche Verfügbarkeit der Endgeräte. Alle Lehrer- und Schülerendgeräte werden in demselben Mobile Device Management von der Schule verwaltet. Dadurch können die Lehrkräfte die digitale Lernumgebung sicher und zielgerichtet gestalten, bedürfnisgerechte digitale Lerninhalte erstellen und diese an die Schülerinnen und Schüler verteilen. Über die Lehrerkonsole auf dem Lehrer- Tablet kann das digitale Unterrichtsszenario vorab festgelegt werden. Den Schülerinnen und Schülern können die Apps und Anwendungen zugewiesen werden, die sie in dem Unterricht brauchen. Alle anderen Anwendungen können für diese Zeit auf den Schüler-Tablets ausgeblendet werden. Das ist eine hilfreiche Option, die die Schülerinnen und Schüler unterstützen kann, beim Lerngegenstand zu bleiben. Alle Klassenräume sind mit digitalen Tafeln ausgestattet, die mit einer einheitlichen Softwarelösung arbeiten. Das gibt allen Lehrkräften die erforderliche Sicherheit und das nötige Vertrauen im Umgang mit den technischen Geräten. Ein 3D-Drucker sowie kleine Roboter, die von unseren Schülerinnen und Schülern grafisch programmiert werden können, komplettieren die Ausstattung. 

Nutzung des Potenzials digitaler Medien 

Das Potenzial digitaler Medien hilft uns, die individuellen Lernbedürfnisse der Schülerinnen und Schüler besser zu berücksichtigen. Aufgrund ihrer intuitiven, einfachen Handhabbarkeit und der integrierten Bedienhilfen, die das Hören, das Sehen, die Mobilität und die kognitiven Fähigkeiten unterstützen, eignen sich Tablets besonders für den Einsatz an der Förderschule. So kann z.B. der geführte Zugriff auf nur eine ausgewählte App den Schülerinnen und Schülern im Autismusspektrum oder mit anderen kognitiven oder sensorischen Einschränkungen dabei unterstützen, sich auf das Lernangebot zu konzentrieren. Wir nutzen darüber hinaus Apps, die sich durch ihre individuelle Anpassbarkeit, ein nutzerorientiertes Feedback und verschiedene Auswertungsmöglichkeiten auszeichnen. Unkompliziert können Videos, Audios und Bilder in das Lern-Arrangement eingebunden werden, um ein besseres Verständnis der Lerninhalte zu erzielen. Um Abläufe zu strukturieren und Zusammenhänge zu visualisieren, kommunizieren wir außerdem unterstützt durch eine digitale Symbolsammlung mit 17.000 klar und leicht verständlichen Bildern.  Diese Sammlung kann mühelos auf den digitalen Tafeln oder Tablets genutzt und in unsere interaktiven Lern-Arrangements eingebunden werden, was einen echten Mehrwert für das Lehren und Lernen darstellt. Die Tablets erleichtern unseren Schülerinnen und Schülern nicht nur das Lernen, sondern unterstützen die Lehrkräfte auch bei der flexiblen Unterrichtsgestaltung, im Rahmen der unterstützten Kommunikation und auch bei der Diagnostik. So nutzen wir z.B. eine Diagnostik-App, die alle grundlegenden Bereiche des Sprachverständnisses überprüft: von einfachen Substantiven über Pluralfunktionen bis hin zu Konjugationen, vom situationsunabhängigen Verstehen verschiedener Wörter über Satzstellung bis hin zum satzübergreifenden Sprachverstehen auch bzw. insbesondere für Menschen mit einem Bedarf an unterstützter Kommunikation. 

Blick in die Zukunft: Adaptive Tools und KI-Technologien 

Unsere digitale Reise ist noch lange nicht zu Ende. Adaptive, assistive KI-Tools und eine lernprozessbegleitende Diagnostik sind im Moment unsere großen Themen. In fünf bis zehn Jahren sehen wir eine Schullandschaft, die mithilfe von KI-Technologien Schülerinnen und Schüler mit ihren unterschiedlichen Lernbedürfnissen unterstützt und verstärkt ein personalisiertes Lernumfeld ermöglicht. Lehrkräfte agieren vor allem als Lernbegleiter und Mentoren. Sie können die Lernprozesse ihrer Schülerinnen und Schüler noch gezielter diagnostizieren, analysieren und individuell unterstützen. Adaptive, intelligente, tutorielle Systeme ermöglichen es den Schülerinnen und Schülern, in ihrem eigenen Tempo zu lernen und ihre eigenen Lernpfade zu gehen. Durch differenzierte Rückmeldungen zu den individuellen Lernprozessen können sie ihre eigene Entwicklung reflektieren und ihre Lernkompetenzen stärken. Dies fördert nicht nur das Selbstbewusstsein, sondern auch die Selbstverantwortung für das eigene Lernen. 

Fazit: Ein Beispiel für erfolgreiche Digitalisierung 

Lernen bleibt ein sozialer Prozess. Digitale Werkzeuge und Medien dienen als wertvolle Erweiterungen des schulischen Unterrichts. Dabei ist wichtig, die analogen mit den digitalen Lernerfahrungen sinnvoll miteinander zu verknüpfen. Digitale Bildung ist in der SINE-CURA-Schule zu einer Selbstverständlichkeit geworden, die die pädagogische Arbeit bereichert und unterstützt. Die SINE-CURA-Schule ist ein Beispiel dafür, wie Digitalisierung an Förderschulen erfolgreich umgesetzt werden kann. Wir sind stolz auf das, was wir erreicht haben. Wir blicken optimistisch in die Zukunft, in der wir weiterhin die Chancen der digitalen Welt nutzen werden, um unseren Schülerinnen und Schülern die bestmögliche Bildung zu bieten.