Lieber Herr Prof. Süße, Sie forschen zu dem Thema menschenzentrierte Digitalisierung und KI-Einsatz und beschäftigen sich unter anderem mit der Frage, welche Dynamiken neue Technologien in Bildung, Arbeit und Gesellschaft auslösen. Vor kurzem haben Sie Schüler:innen in einer Umfrage zu ihrer Nutzung von KI befragt.

Wie und wozu verwenden Schüler:innen KI? Was sind die wichtigsten Bereiche, in denen Schüler:innen KI nutzen?

In unserer Umfrage haben wir die Schüler:innen zu über 30 sehr konkreten Arten der Nutzung von Generativer KI mit Bezug zu Schule befragt. Konkret interessiert uns z. B., wie häufig Schüler:innen ihre Hausaufgaben mit Hilfe von KI erledigen, sie Mathematikaufgaben lösen, im Unterricht Gedichte mit der KI interpretieren, Vorträge vorbereiten, Texte verbessern und vieles mehr. Diese spannenden Rückmeldungen ließen sich in einer nachfolgenden Analyse konsolidieren und in vier Bereichen der Nutzung von Generativer KI in Schule gruppieren. Die Analyse zeigt, dass Schüler:innen Generative KI…

1) …zum eher pragmatischen Erledigen von Aufgaben,

2) …zum explorativen Erkunden neuer Themenfelder und Inhalte,

3) …zum Verbessern eigener Ergebnisse und Resultate sowie

4) …als intellektuelle Anregung bei komplexeren und offeneren Fragestellungen nutzen.

Am häufigsten nutzten Schüler:innen in unserer Umfrage Generative KI in den Bereichen (1) und (4), gefolgt von den Bereichen (3) und (2). Hierbei nehmen wir bewusst keine Bewertung im Sinne einer „guten Nutzung“ von Generativer KI vor. Eher glauben wir, dass jede konkrete Nutzung von KI grundsätzlich im Kontext der Anforderungen und der persönlichen Fähigkeiten der Schüler:innen betrachtet werden sollte.

Welche Ergebnisse haben Sie bei der Auswertung der Befragung am meisten beschäftigt?

Was uns als Forschende unter anderem sehr stark interessiert ist die Frage, inwiefern es Zusammenhänge zwischen einer eher kritisch reflektierten Einstellung und Nutzung moderner Technologien seitens der befragten Schüler:innen und der tatsächlichen Nutzung Generativer KI in den oben genannten vier Bereichen gibt. Hintergrund dieses Forschungsinteresses ist, dass die kritisch reflektierte und zugleich konstruktive Verwendung von KI in unterschiedlichsten Lebenssituationen zu einem Kernelement unserer modernen Gesellschaft wird, Stichwort „Digital Citizenship“. Schule ist für uns daher ein besonders wichtiger Ort, an dem entsprechende Fähigkeiten im Umgang mit KI gefestigt und gemäß den technologischen Innovationen weiterentwickelt werden könnten und sollten. Die Ergebnisse unserer Analyse haben gezeigt, dass Fähigkeiten eines kritisch reflektierten Umgangs mit modernen Technologien im Zusammenhang mit einer zielgerichteteren Nutzung von Generativer KI im Schulalltag stehen können. Ein zunehmender Anteil von Schüler:innen nutzt die neuen Möglichkeiten von KI bereits, um sehr konkrete Lernziele zu verfolgen und zu erreichen. Dies zeigt sich auch darin, dass eine gewisse Gruppe von Schüler:innen eigene, d.h. den individuellen Lernsituationen und persönlichen Fähigkeiten angepasste, Prompt-Strategien entwickelt.

Die Frage danach, wie sich KI besonders gewinnbringend nutzen lässt, spielt für Schüler: innen eine wichtige Rolle. Unsere Auswertungen zeigen: Schüler:innen wollen KI dazu nutzen, um vor allem auch ihren Lernerfolg zu verbessern. In diesem Zusammenhang hat uns auch interessiert, wie ausgeprägt die grundsätzliche „Freude am Denken“ unter den befragten Schüler:innen ist und welche Zusammenhänge hier zum Umgang mit Generativer KI in den oben genannten vier Bereichen existieren. Mit dem Konzept „Freude am Denken“ verbinden wir z.B. die Motivation der Schüler:innen, sich gerne mit komplexen und kognitiv herausfordernden Aufgaben auseinanderzusetzen. Auch hier zeigt sich, dass Schüler:innen, die gerne eigenständig über Dinge nachdenken, ebenfalls KI verwenden, jedoch ziel- und ergebnisorientierter. Anders formuliert könnte man auch sagen, dass nicht bei jeder schwierigen Aufgabe der erste Impuls der Schüler:innen ist: „Was sagt denn die KI dazu?“. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Schüler:innen mit einer ausgeprägteren Freude am Denken zunächst eigene Überlegungen anstellen und anschließend zielorientierte Prompts formulieren. Auf diese Weise kommen sie oftmals zu besseren Resultaten. Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse ist davon auszugehen, dass die beiden Kernelemente a) kritisch reflektierter Umgang mit modernen Technologien und b) Freude am Denken weiter an Relevanz in Schule zunehmen werden.

 

Aktuell wird auch diskutiert, inwiefern die soziale Herkunft einen Unterschied für die Verwendung von KI bei jungen Menschen macht.

Inwieweit konnten Sie in ihren Forschungsergebnissen einen Einfluss von Elternhaus und Schule auf die Nutzung von KI durch die Schüler:innen ausmachen?

Anhand unserer Ergebnisse sehen wir, dass das Elternhaus bzw. der familiäre Kontext eine Rolle bei dem Zugang, dem Umgang und der Nutzung von Generative KI in Schule spielen kann. In unserer Umfrage haben wir uns mit Blick auf den familiären Kontext vor allem auf das Berufs- und Bildungsniveau, in anderen Worten den „Akademisierungsgrad“ im Umfeld des Kindes, sowie auf die finanzielle Situation in der Familie fokussiert. Spannend ist hierbei, dass wir eher einen indirekten Zusammenhang, zwischen den auf das familiäre Umfeld bezogenen Variablen und der Nutzung von Generative KI in Schule finden konnten. Die Ergebnisse unserer Analyse zeigen, dass Kinder aus eher akademisierten Familien einen deutlich kritisch reflektierten Umgang mit KI aufweisen und ein höheres Niveau im Bereich der Freude am Denken besitzen. Dies kann einhergehen mit einer zielorientierteren und letztlich auch erfolgreichen Verwendung von Generative KI für schulische Zwecke.

Daraus lässt sich schließen, dass es neben der Ermöglichung eines Zugangs zu Generativer KI seitens der Eltern, zunehmend wichtiger wird, dass Eltern mit ihren Kindern verstärkt in den Dialog über Generative KI kommen. Unsere Ergebnisse zeigen jedoch, dass dies bislang eher in akademisierten Familien stattzufinden scheint. Eine weitere Verschärfung oder Zuspitzung des Digital Divide könnte die Folge sein. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch andere aktuelle Studien, die Eltern und Erziehungsberechtigte als wichtige Akteure für die erfolgreiche und nachhaltige Nutzung von KI in Schule und darüber hinaus betrachten. Kurzum: Wir sind der Meinung, dass das Thema KI mit seinen Möglichkeiten und Gefahren ein Gesprächsthema am Küchentisch jeder Familie sein sollte. Unsere Daten zeigen sehr deutlich, dass vor allem die soziale Unterstützung seitens der Eltern eine wichtige Rolle im Umgang mit KI spielt. Ebenso sind soziale Unterstützung durch die Schule, z.B. indem Schüler:innen ermutigt werden KI sinnvoll zu nutzen, sowie soziale Unterstützung des unmittelbaren Freundeskreises der Schüler:innen besonders relevant dafür, dass sich junge Menschen mit dieser Technologie auseinanderzusetzen. Der menschliche Diskurs und Dialog zu und über KI bleibt daher ein besonders wichtiges Instrument, um die Möglichkeiten und Grenzen dieser Technologie bereits in Schule gut einordnen zu können.

 

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