Stellen wir uns eine Tafel vor – nicht nur die in einem Klassenzimmer, auf der Wissen vermittelt wird, sondern eine, die Chancen verteilt. So wie die Tafeln Lebensmittel dort bereitstellen, wo sie am dringendsten gebraucht werden, stellt TABULA als Bildungsverein Bildungsangebote genau dort bereit, wo sie fehlen – bei Kindern und Jugendlichen, die im Schul- und Bildungssystem benachteiligt, vergessen und übersehen werden.

Von der Idee zur Realität

Ein Jahr bevor TABULA offiziell als Verein gegründet wurde, begann die Idee einer „Bildungstafel“ Gestalt anzunehmen. Annemarie von der Groeben – Gründerin und pädagogische Visionärin des Vereins – und eine Arbeitsgruppe an der Laborschule Bielefeld suchten nach Verbündeten vor Ort. Ihnen war klar: Es braucht mehr als klassische Nachhilfe, um Kindern echte Bildungschancen zu eröffnen. Statt lediglich schulische Defizite auszugleichen, sollte ein Raum entstehen, in dem Kinder ihre Stärken entdecken, Selbstvertrauen aufbauen und aktiv an der Gesellschaft teilhaben können.

Doch eine Idee allein reicht nicht. Es mussten Strukturen geschaffen, Partner:innen gewonnen und ein Ort gefunden werden, an dem sich das Konzept umsetzen ließ. Die Lutherschule, eine Hauptschule in Bielefeld-Mitte mit einem hohen Anteil an Schüler:innen mit Migrationsgeschichte, zeigte Interesse an einer Kooperation. Sie wurde der erste Standort, an dem TABULA seine Arbeit aufnahm.

Am 3. November 2005 sollte schließlich die Vereinsgründung gefeiert werden – ganz bodenständig, mit Kartoffelsalat und Würstchen. Doch in letzter Minute drohte die Gründung zu scheitern: Eine der sieben erforderlichen Personen war erkrankt. Der Schulleiter der Lutherschule reagierte pragmatisch – er wusste, dass eine Kollegin der benachbarten Josefschule noch in ihrem Büro arbeitete. Kurzerhand holte er sie hinzu – und so wurde nicht nur der Verein offiziell gegründet, sondern auch eine zweite Kooperationsschule gewonnen.

Was mit dieser improvisierten Rettung begann, entwickelte sich schnell zu einer wachsenden Bildungsinitiative, die heute ein fester Bestandteil der Bildungslandschaft in Bielefeld ist.

Unsere Vision: Bildung als Schlüssel zur Teilhabe

Bildung ist mehr als das Erreichen guter Noten – sie bedeutet, sich die Welt zu erschließen, Neues auszuprobieren und sich selbst als handlungsfähig zu erleben.

TABULA schafft genau diese Räume. Hier werden Kinder und Jugendliche nicht nur gefördert, sondern ermutigt, ihren eigenen Weg zu gehen. Ob im Unterricht, bei kreativen Projekten oder in kulturellen Erlebnissen – entscheidend ist, dass sie sich gesehen und ernst genommen fühlen.

„Sie alle sollen in der Schule mitkommen, mit Freude lernen und individuell gute Leistungen erreichen können. Sie sollen sich und ihre Fähigkeiten bestmöglich entwickeln, ihr Leben in die eigene Hand nehmen und ihren Platz in unserer Gesellschaft finden können.“  [Annemarie von der Groeben]

Doch all das wäre ohne Menschen, die sich engagieren, nicht möglich. Bildung braucht Beziehungen. Und genau hier setzt TABULA an.

Das Herz von TABULA sind unsere Ehrenamtlichen

Rund 100 Ehrenamtliche – Studierende, Berufstätige und Rentner:innen – engagieren sich bei TABULA, um Kinder und Jugendliche auf ihrem Bildungsweg zu begleiten. Sie sind nicht nur Lernbegleiter:innen, sondern auch Vertrauenspersonen, Mutmacher:innen und Wegweiser:innen.

Ihr Engagement beginnt schon am Vormittag, wenn sie Kinder direkt im Unterricht begleiten. In Abstimmung mit den Lehrkräften helfen sie beim Lesen, Schreiben oder Mathematik und sorgen für eine verlässliche Lernunterstützung. Am Nachmittag geht es weiter: In Lern- und Freizeitgruppen werden Hausaufgaben erledigt, Prüfungen vorbereitet und Bewerbungen geschrieben. Doch das Lernen hört nicht bei Schulbüchern auf – genauso wichtig sind Erlebnisse außerhalb des Klassenzimmers. Ausflüge ins Theater, ins Kino, zu Arminia Bielefeld-Spielen auf der Alm, zum Minigolfen im Park oder Städtetouren eröffnen neue Perspektiven und lassen Bildung lebendig werden.

Auch der Umgang mit digitalen Medien spielt eine wichtige Rolle. In unseren Medien-AGs an zwei Grundschulen und zwei weiterführenden Schulen erwerben Kinder und Jugendliche digitale Kompetenzen, die für ihre Zukunft entscheidend sind. Sie lernen, sicher im Internet zu recherchieren, kreative Präsentationen zu gestalten und digitale Werkzeuge sinnvoll zu nutzen – Fähigkeiten, die im Schulalltag oft zu kurz kommen.

Ferienschulen: Lernen, wo Schule aufhört

Während einige Kinder reisen oder Museen besuchen, fehlen anderen die Mittel für solche Erfahrungen. Doch gerade diese Erlebnisse öffnen Horizonte, wecken Neugier und stärken das Selbstvertrauen.

TABULA schafft deshalb in den Oster-, Sommer- und Herbstferien Freiräume zum Entdecken und Gestalten. Ob auf der Theaterbühne, beim kreativen Arbeiten, beim Erforschen der Natur oder in der Werkstatt – hier können Kinder ihre Talente erproben und neue Interessen entwickeln. Sie drehen Filme, gestalten Kunstwerke, erleben Teamgeist im Sport, legen ihr erstes Schwimmabzeichen ab oder erkunden ihre eigene Stadt mit neuen Augen.

Doch es geht um mehr als Aktivitäten – es geht um das Gefühl, gesehen und wertgeschätzt zu werden. Wie Annemarie von der Groeben es formulierte: Jedes Kind bei TABULA soll sich einmal „wie ein König“ fühlen. Besonders spürbar wird das am Ende der Ferienschulangebote: Wenn Kinder ihre Werke stolz vor Freund:innen und Familien auf einer Bühne präsentieren. Ein selbst gedrehter Film, eine Theaterszene, ein selbst komponierter Song oder eine selbst genähte Tasche – all das sind sichtbare Erfolge, die ihr Selbstbewusstsein stärken und ihnen zeigen: Du kannst etwas bewirken.

Starke Partnerschaften für starke Bildung vor Ort

Damit all diese Angebote möglich sind, ist TABULA Teil des Bildungsnetzwerks “Alle Kinder mitnehmen” (AKM) in Bielefeld. Der Verein arbeitet eng mit dem Bildungsbüro der Stadt Bielefeld, der Fakultät für Erziehungswissenschaft der Universität Bielefeld und insgesamt 15 Schulen im Primar- und Sekundarbereich zusammen. In den Ferienschulen unterstützen zusätzlich zahlreiche lokale Partner:innen die Umsetzung der Programme. Diese vielfältigen Kooperationen machen es möglich, dass TABULA nachhaltig wirkt.

„Man kommt zu TABULA wegen der Aufgabe, aber man bleibt wegen der Menschen.“

Was als Engagement beginnt, wird für viele von uns Ehrenamtlichen zu einem festen Bestandteil unseres Lebens. Ich, Fatma, habe als Schülerin bei TABULA angefangen – motiviert vom Wunsch, etwas zu bewegen. Doch geblieben bin ich wegen der Gemeinschaft: inspirierende Ehrenamtliche, motivierte Schüler:innen und das Gefühl, Teil einer Bildungsinitiative zu sein, die echte Veränderung bewirkt.

So geht es vielen meiner Ehrenamtskolleg:innen. Studierende aus Lehramt, Erziehungswissenschaften oder Medienpädagogik sammeln im Verein nicht nur Praxiserfahrung, sondern entwickeln ein pädagogisches Leitbild, das von Teamarbeit, wertschätzender Feedbackkultur, Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen und gemeinsamer Verantwortung für die Bildungswege unserer TABULA-Schützlinge geprägt ist.

TABULA ist mehr als ein Ehrenamt – es verbindet Menschen, schafft Perspektiven und bringt Bildungstheorie in die Praxis.

Lernen von und mit den Kindern und Jugendlichen

Kinder und Jugendliche sind bei TABULA nicht nur Teilnehmende – sie gestalten aktiv mit. Mit ihren Ideen und Perspektiven bereichern sie die TABULA-Gemeinschaft und entwickeln unsere Angebote mit. Ob es um das nächste Ausflugsziel oder neue Projekte für die Ferienschulen geht – ihr Feedback und ihre Wünsche fließen direkt in die Gestaltung unserer Programme ein.

Doch ihre Geschichten zeigen auch, warum diese Angebote so wichtig sind. Viele unserer Teilnehmer:innen wachsen mit sozialen Herausforderungen auf, haben Flucht- oder Kriegserfahrungen gemacht oder übernehmen früh Verantwortung für ihre Familien. Trotz all dieser Hürden kommen sie voller Neugier und Freude zu unseren Angeboten, um gemeinsam zu lernen, Neues zu entdecken und einfach Kind zu sein. Ihre Begeisterung erinnert uns daran, warum wir uns engagieren – und warum Bildung über den Schulalltag hinaus gedacht werden muss.

Ein Vermächtnis, das weiterlebt – und die Zukunft von TABULA

Unsere Gründerin und Visionärin, Annemarie von der Groeben, verstarb 2021. Ihr unermüdlicher Einsatz für Bildungsgerechtigkeit prägt und inspiriert uns als Verein bis heute. Sie bleibt die zentrale Kraft und Inspiration für unser Wirken.

Denn die Realität bleibt: Bildungserfahrungen während der Schulzeit und nach Schulschluss – z.B. unterstützt durch unsere Ehrenamtlichen – sind kein Luxus, sondern ein Schlüssel zur Chancengleichheit.

Unsere Vision ist klar: Wir wollen weiterhin ein fester Bestandteil der lokalen Bildungslandschaft bleiben, mehr Kinder erreichen und langfristige strukturelle Unterstützung für schulische und außerschulische Bildungsangebote in Bielefeld sichern.

Denn jedes Kind soll erleben dürfen, dass Bildung mehr ist als Schulnoten – sie ist eine Einladung, die Welt und sich selbst zu entdecken.


Bald folgen noch weitere Beiträge zum Thema Ehrenamt & Mentoring.