Nele und Romance engagieren sich seit vielen Jahren in außerschulischen, sozialen und politischen Initiativen. Sie haben im Jahr 2024 ihr Abitur erfolgreich bestanden und blicken auf eine Schulzeit zurück, in der es eine besondere Herausforderung war, ihr außerschulisches Engagement mit den Anforderungen der Schule zu koordinieren und unter einen Hut zu bringen. Aufgrund ihrer Erfahrungen treten sie für eine bessere Vereinbarkeit von Schule und außerschulischen Engagement ein. Sie fordern ganz konkret, dass auch Schüler:innen in Orientierung an dem „Recht auf Bildungsurlaub“, wie es Arbeitnehmer:innen in Anspruch nehmen können, „ein Recht auf Bildungszeit für außerschulisches Engagement“ erhalten. Was steckt hinter dieser Forderung?

Wir haben mit beiden im Anschluss an zwei Kinder- und Jugendkonferenzen „Zukunftsstimmen: Jetzt sind wir gefragt“ gesprochen, die sie gemeinsam mit anderen Jugendlichen des „JEx-Teams“, dem JugendExpert:innenteam der Bertelsmann Stiftung, konzipiert und durchgeführt haben. Für die Vorbereitung und Umsetzung der Konferenzen hat das JEx-Team sehr viel Zeit, insgesamt 3 Wochenenden, zahlreiche Online-Treffen und eine ganze Woche vor Ort investiert.

Liebe Nele, liebe Romance: Warum liegt euch soziales und politisches Engagement im Schulalter so am Herzen?

Nele: Das gesellschaftliche Engagement junger Menschen ist grade heute so wichtig, wie schon lange nicht mehr. Allein deswegen sollte jeder junge Mensch, der Interesse hat, sich für eine demokratische Gesellschaft einzusetzen, auch die Möglichkeit dazu erhalten. Einen besseren Weg der Demokratiebildung wird es meiner Meinung nach auch im Schulalltag nicht geben. Das „Recht auf Bildungszeit für außerschulisches Engagement“ erscheint mir somit aus gesellschaftlicher Perspektive total wichtig.

Und welche Erfahrungen habt ihr persönlich durch euer Engagement gemacht?

Romance: Ich konnte durch mein ehrenamtliches Engagement unfassbar viel ausprobieren und über mich selbst lernen. Zudem lerne ich ganz viel von den Jugendlichen, die an den Jugendkonferenzen in Eisenach und Chemnitz teilgenommen haben. Durch die Zusammenarbeit in den Workshops kann ich in ganz unterschiedliche Lebensrealitäten eintauchen. Es ist mir wieder bewusst geworden, dass so viele Perspektiven von jungen Menschen in der politischen Jugendbeteiligung fehlen. Damit sich das ändert, machen wir ja auch die Jugendkonferenzen. Durch das Erleben der verschiedenen Lebensrealitäten wird auch meine Arbeit bei Salon5 vom Medienhaus „CORRECTIV“ und als Jugendbotschafterin der ONE Campaign beeinflusst.

Nele: Mir geht es da ähnlich! Ich muss ehrlich gestehen, dass ich noch nie ein Mensch war, der wirklich ins Schulsystem gepasst hat. Für mich waren weder die Art und Weise der Wissensvermittlung noch die Dinge, die wir in der Schule lernen sollten, jemals wirklich interessant. Das führte dazu, dass ich sehr ungern zur Schule ging. Da mir mein persönliches Wachstum und auch meine Weiterbildung trotzdem stets wichtig waren, begann ich also mir Alternativen zu suchen. So kam ich zum Ehrenamt und schnell bemerkte ich, dass mir mein Engagement viel mehr gab, als es Schule jemals konnte. Ich begann zu wachsen, weit über meine eigenen Grenzen hinaus, weil sich mir bis dahin immer mehr unbekannte Möglichkeiten eröffneten. Mit 16 war ich Delegierte bei Fridays for Future Hanau, mit 17 wurde ich in den geschäftsführenden Vorstand des SV-Bildungswerks gewählt und mit 18 begann ich beim JugendExpert:innen Team der Bertelsmann Stiftung mitzuwirken. Ich lernte verschiedenste Methoden kennen, um Workshops zu geben, vor Menschen zu sprechen und Diskussionen zu führen, erfuhr viel über Bürokratie, Lobbyarbeit und Gesetze. Ich lernte für mich und meine Werte einzustehen, für das zu kämpfen, was mir wichtig ist. Mein Engagement gab mir eine berufliche Perspektive und die Möglichkeit, viele super inspirierende Menschen zu treffen, viel zu reisen und schöne Erinnerungen zu sammeln – alles Erfahrungen, die ich ohne mein Engagement nicht hätte sammeln können.

Was habt ihr von euren Erfahrungen und Kompetenzen in die Schule einbringen können?

Romance: Vieles von meinem Engagement konnte ich mit in die Schule nehmen, Wissen, das ich mir angeeignet habe und im Unterricht verwenden konnte, oder Erfahrungen im Projektmanagement, die in meiner Rolle als Schülersprecherin und im Abi-Komitee hilfreich waren. Da wäre bestimmt auch noch mehr möglich gewesen, wenn sich die Schule für meine Aktivitäten mehr interessiert hätte. Mir ist wichtig, dass das außerschulische Engagement mehr Anerkennung in der Schule findet und gewürdigt wird.

Nele: Klar, ein gutes politisches Allgemeinwissen hat mir zu guten Noten in Politikwissenschaft oder zu selbstbewussterem Auftreten bei Vorträgen verholfen. Insgesamt wäre aber auch an meiner Schule wäre – ähnlich wie bei Romance – mehr möglich gewesen, wenn mehr Interesse von Kollegium und der Schulleitung bestanden hätte. Ab und an haben wir versucht, für uns wichtige politische Themen in den Schulalltag zu tragen. Mit Unterstützung einer wirklich tollen Lehrkraft haben wir ein „queercafe“ organisiert oder am Tag gegen Gewalt an Frauen eine Gedenkaktion in der Pausenhalle durchgeführt.

Einige Jugendliche aus dem JEx-Team haben für die Konferenzen keine Schulbefreiung erhalten. Was sind eure Erfahrungen aus der Zeit, als ihr noch zur Schule gegangenen seid?

Nele: Hinter jeder Konferenz steckt super viel Organisationsaufwand. Für die Planung investieren wir viel freie Zeit, treffen uns am Wochenende irgendwo in Deutschland oder sitzen auch abends nach der Schule online zusammen. Wir stecken sehr viel Herzblut und Arbeitsaufwand in unsere Projekte. Dann nicht teilnehmen zu können, ist wirklich sehr unbefriedigend und für alle Beteiligten nervig.

Romance: Zu meiner Schulzeit war es für mich immer sehr schwer einzuschätzen, ob man für eine Veranstaltung frei bekommt oder nicht. Das war kaum planbar. Viele Veranstaltungen oder Konferenzen werden schon sehr früh angekündigt, wenn diese aber nicht in den Ferien lagen, wurde es manchmal schwierig. Frei habe ich nur bekommen, wenn wir zu dem Zeitpunkt keine Klausur geschrieben haben.  Aber die Termine von Klausuren werden im Vergleich zur Planung der Konferenzen eher kurzfristig festgelegt oder festgelegte Klausurtage im Nachhinein geändert. Das zentrale Problem ist also die Bereitschaft der Schule, da es vor allem von der Schulleitung abhängt, ob Schüler:innen freigestellt werden. Jetzt, nach meinem Abitur hat sich das extrem verändert. Ich bin bei viel mehr Veranstaltungen dabei, kann langfristig planen und direkt verbindlich zusagen.

Nele: Für mich war es ab einem gewissen Zeitpunkt sehr schwer, Schulbefreiungen zu bekommen, weil meine Fehlzeiten zu hoch waren. Das endete irgendwann sogar in einer Attestpflicht. Aber sind wir jetzt mal ganz ehrlich, das hat mich auch nicht davon abgehalten, an Veranstaltungen, die mich interessiert haben, teilzunehmen. Ich habe irgendwann einfach damit begonnen meine eigenen Prioritäten zu setzen. Im Nachhinein betrachtet würde ich sagen, dass die Entscheidungen, die ich damals getroffen habe, für mich und meinen Lebensweg GENAU SO richtig waren! Trotz der Bedenken meiner Lehrer:innen habe ich mein Abitur ohne Probleme bestanden. Für mich war das nie eine „Entweder-oder“-Entscheidung. Mir war immer klar, dass ich beides gleichzeitig schaffen möchte und kann. Ich finde generell, dass Lehrer:innen jungen Menschen viel mehr zutrauen sollten, selbstständig Entscheidungen treffen zu können. Verbote allerdings beeinträchtigen in erster Linie die Selbstständigkeit der jungen Menschen.

Romance: Im Zusammenhang mit der Planungsunsicherheit ist mir noch folgender Punkt besonders wichtig: Bei der Schulbefreiung. Es gibt es sehr große Unterschiede von Schule zu Schule. Und diese Unterschiede sind das zentrale Problem. Ich habe Jugendliche auf Veranstaltungen getroffen, die trotz Klausur freigestellt wurden und diese dann nachholen konnten. Ein Jugendlicher hat mir sogar erzählt, dass für ihn Klausurpläne umgestellt wurden, damit er an der Veranstaltung teilnehmen kann. Diese Unterschiede bei der Schulbefreiung halte ich für sehr unfair, da sie Chancenungleichheit bedingen. Denn in unserer heutigen Zeit entscheidet das Engagement von Jugendlichen oftmals darüber, ob man bspw. ein Stipendium erhält oder nicht. Damit jede:r Schüler:in mit Interesse an außerschulischem Engagement daran teilnehmen kann, sind wir überzeugt, dass es verbindliche Regelungen für alle Schüler:innen braucht, die eine „Bildungszeit für Engagement“ für alle jungen Menschen im Schulalter ermöglicht.

Was schlagt ihr der Schulpolitik konkret vor?

Romance: Wir fordern grundsätzlich, dass allen Schüler:innen ein verbindliches Kontingent an Unterrichtszeit, mind. 40 Stunden pro Schuljahr, als Bildungszeit für außerschulisches Engagement zur Verfügung. Dadurch wird Planungssicherheit für alle Beteiligten gewährleistet.

Nele: Die Freistellung sollte nicht vom Leistungsstand des/der einzelnen Schüler:in abhängig gemacht werden. Im Sinne einer Laufbahnberatung sollten Lehrer:innen Empfehlungen aussprechen und auch anmerken können, wenn sie Bedenken haben. Es geht dann vor allem um individuelle Lösungen, die eine Vereinbarkeit der verschiedenen Anforderungen ermöglichen.

Romance: Zudem muss das außerschulische Engagement mehr Anerkennung in Schule finden. Im Jahreszeugnis wird die Bildungszeit für außerschulisches Engagement gewürdigt und nicht wie bisher, als (entschuldigte) Unterrichtsversäumnisse ausgewiesen. Schulen sollten zudem Interesse zeigen und daran haben, dass die Schüler:innen ihre Erfahrungen und Kompetenzen ins Schulleben einbringen und als Multiplikator:innen an interessierte Schüler:innen weitergeben.

Gibt es auch Bedingungen, an die ihr die Bildungszeit für außerschulisches Engagement knüpfen würdet – und wenn ja, welche?

Nele: Voraussetzung ist, dass zur Beantragung der Schulbefreiung der/die Veranstalter:in ein Informationsschreiben anfertigt, mit dem der/die Schüler:in ihre Bildungszeit beantragt. Neben dem zeitlichen Umfang müssen vor allem die Aufgaben der Jugendlichen und die sozialen und pädagogischen Ziele des Engagements skizziert sein. Ein Veto durch die Schule sollte nur dann möglich sein, wenn das Engagement nicht den Werten einer offenen und demokratischen Gesellschaft entsprechen.

Romance: Wir halten es in diesen Zeiten für besonders wichtig, dass das außerschulische Bildungsangebot, bei dem sich Schüler:innen engagieren, bestimmte Bedingungen einer demokratischen und offenen Gesellschaft erfüllt. Hier sollte die Schule achtsam sein.

Vielen Dank für das Gespräch!