Dieser Beitrag wurde verfasst von: Stefanie Rother.

Individuelle Förderung, Ganztagsschulausbau, G8, Inklusion, usw. – die Schlagwörter, die für Bildungspolitik und Wissenschaft Ausdruck einer veränderten Lernkultur und besseren Bildungszukunft sind, werden von Lehrkräften zum Teil mit großer Skepsis betrachtet: „Nicht das auch noch…“, „Wie sollen wir das denn alles schaffen?“ „Wir arbeiten doch jetzt schon am Limit…“
Umso größer die politischen Forderungen und der pädagogische Anspruch, umso größer auch der Unmut aufseiten der Lehrkräfte vor Ort – denn obwohl ihre Aufgaben stetig wachsen, bleibt die geforderte Unterstützung seitens der Kultusministerien meistens aus. So beklagen es zumindest der Lehrerverband Bildung und Erziehung (VBE) und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).
Ausgebrannt: Jeder dritte Lehrer leidet an Burn-Out-Symtomen
Diese Berechnung des Uniklinikums Freiburg stammt aus dem Jahr 2009. Sie machte damals auf die Belastung von Pädagogen aufmerksam, die die der Polizisten und Ärzte noch überstieg. Und nicht erst seit diesem Zeitpunkt berichten die Medien von Erschöpfung, Desillusionierung, Resignation und hohen Krankheitsausfällen im Lehrerberuf (siehe z.B. die Debatte um die Rütli-Schule 2006). Das Thema ist ein Dauerbrenner und erhitzt immer wieder die Gemüter – mit den ersten doppelten Abiturjahrgängen, die dieses Jahr betreut werden mussten, erhielten die Klagen neuen Zündstoff.
Ministerien zeigen sich bei der Frage nach Entlastung und zusätzlicher (finanzieller) Zuwendung erfahrungsgemäß zugeknöpft. Im Bereich der Wissenschaft und Schulpraxis  lassen sich dagegen meiner Meinung nach sehr erfreuliche Entwicklungen beobachten: Mittlerweile gibt es einige erfolgversprechende Konzepte und Modelle, auf die beim Thema „Lehrergesundheit“ zurückgegriffen werden kann (siehe z.B. Paulus 2010). Und auch in den Schulen, bei Schulleitungen und Lehrkräften, scheint die Erkenntnis gereift zu sein: Wenn niemand hilft, muss man sich eben selber helfen! Was nützt das Lamento – Eigeninitiative und Improvisationsvermögen sind gefragt, um die Rahmenbedingungen vor Ort angemessen zu gestalten. Alles andere wäre wie Warten auf Godot!
Selbst ist die Schule

Unterrichten im Team
Unterrichten im Team

Immer mehr Schulen nehmen das Ruder selbst in die Hand und suchen nach eigenen Lösungen gegen Stress, Überlastung und Finanznöte… und für einen produktiven Umgang mit der Heterogenität der Schüler. Die Möglichkeiten sind vielfältig und reichen von der Umgestaltung der Zeitstrukturen (Rhythmisierung) im Schulalltag über eine angemessene Raumgestaltung mit Rückzugs-, Arbeits- und Ruhebereichen bis hin zu einer veränderten Wahrnehmung der Lehrerrolle, bei der Lehrkräfte mehr Verantwortung abgeben und sich zunehmend als Begleiter von Lernprozessen und nicht mehr nur als Wissensvermittler verstehen. Diese Veränderungen führen zu einer veränderten Lernkultur in der Schule, die von dem angenehmen Nebeneffekt begleitet werden kann, langfristig die Belastungsfaktoren von Lehrkräften zu minimieren. Finanzielle Zuschüsse sind an dieser Stelle meist gar nicht ausschlaggebend; es bedarf vielmehr der Offenheit für Veränderung, eine vom Kollegium und Schulleitung gemeinsam getragene Schul- und Unterrichtsentwicklung und gerade am Anfang sicherlich auch Maßnahmen, die einfach umgesetzt werden können und rasch zu ersten Erfolgen führen. e.
Erfolgsrezept: Teamarbeit
Ich wage zu behaupten, dass Teamarbeit heute – zumindest als Idee – längst in den meisten Schulen verankert ist. Sie wird als wichtigster Baustein für den informellen Austausch, die präventive Erziehungsarbeit und die erfolgreiche Umsetzung von individueller Förderung angesehen. In der Georg-Christoph-Lichtenberg-Gesamtschule Göttingen – der neuen Schulpreis-Schule 2011 – gehören Teamstrukturen seit den 70er-Jahren zum Alltagsgeschäft. Das Team-Kleingruppen-Modell zeichnet sich dadurch aus, dass in allen schulischen Aufgabenbereichen eigenverantwortliche Teams agieren. Jahrgangsteams (ca. 12-15 Lehrer) verfügen über eigene Teamräume sowie eigene Entscheidungskompetenzen hinsichtlich ihres Stunden- und Vertretungsplans, der Schuljahresgestaltung und der Investitionen. Jeder Jahrgang teilt sich wiederum in sechs Stammgruppen auf, die jeweils von einem Tutorenteam (zwei Lehrer) begleitet werden. Durch die interne Umstrukturierung hat die Schule „überschaubare und beständige“ Strukturen geschaffen. Diese können dazu beitragen, dass Schüler noch intensiver und systematischer Unterstützung im Lernprozess erfahren. Die einzelne Lehrperson kann zudem entlastet werden, da sich durch die gemeinsame Verantwortung eine Vertrauenskultur und ein Netzwerk der Beratung/Supervision aufbauen können.
Ohne Fleiß kein Preis
An dieser Stelle von „Fleiß“ zu sprechen, klingt vermutlich zynisch. Grundlegende Veränderungen in der Schule umzusetzen, kostet enorm viel Kraft und Zeit. Schulen, die diesen Weg eingeschlagen haben, können davon ein Lied singen. Dort, wo Menschen auf eine solch komplexe Art und Weise zusammenarbeiten, entstehen zwangsläufig Konflikte und Widerstände, die einen Schulentwicklungsprozess bremsen und neue Belastungssituationen schaffen können. In ihrer Entwicklungsgeschichte sammeln Schulen dabei aber auch wertvolle Erfahrungen (positive wie negative), die sie durch eine kontinuierliche Netzwerkarbeit an andere Schulen weitergeben können. Auch in der schulübergreifenden Netzwerkarbeit sehe ich eine große Chance, denn nur in der Zusammenarbeit und im gemeinsamen Lernprozess können Probleme identifiziert und angegangen werden. Letztlich sind es die Einzelkämpfer, die im Schulalltag am meisten unter der Belastungssituation zu leiden haben.
Ob nun veränderte Zeitstrukturen, die Einführung von Team- oder Netzwerkarbeit – Lehrkräfte haben im Grunde genommen keine andere Wahl, als den Belastungssituationen im Schulalltag aktiv zu begegnen und die Rahmenbedingungen vor Ort zu ihren Gunsten selbst zu gestalten. Die Georg-Christoph-Lichtenberg-Gesamtschule, aber auch viele andere Schulen haben den Mut gefasst, neue Wege zu gehen. Sie setzen dabei auf Engagement, Flexibilität, Ideenreichtum und Kooperation – das sind die Zutaten, die es braucht, um erfolgreich zu sein,
Stefanie Rother