Dieser Beitrag wurde verfasst von: Stefanie Rother.

„Dem Kind gehört der erste Platz, und der Lehrer folgt ihm und unterstützt es. Er muss auf seine eigene Aktivität zugunsten des Kindes verzichten. Er muss passiv werden, damit das Kind aktiv werden kann.“

Mit diesen Worten hält Maria Montessori die Grundgedanken ihrer Pädagogik fest. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts setzte die Reformpädagogin auf Eigenständigkeit beim Lernen. Ende des 20. Jahrhundert wird diese Forderung von vielen Pädagogen wiederentdeckt und  ganz oben auf der Agenda des „guten Unterrichts“ geschrieben. Meines Erachtens steht das Merkmal dort völlig zu recht, denn „guter Unterricht ist ein Unterricht, in dem mehr gelernt als gelehrt wird“ (Franz E. Weinert, 1998).

Individuell und eigenständig – was uns die Wissenschaft lehrt

Lernen ist individuell – diese Erkenntnis aus der Hirnforschung dürfte mittlerweile die Runde gemacht haben. Bereits vor einem Jahrzehnt haben Forscher, wie z.B. die Gruppe um Manfred Spitzer in Ulm, darauf hingewiesen, dass Wissen nicht übertragbar ist, sondern in jedem Kopf neu erschaffen werden muss. Dies geschieht am besten durch eigenes Handeln.
Gleiches Gedankengut findet sich in der Subjektiven Didaktik (nach Edmund Kösel) wieder, die dem Prinzip der Selbststeuerung und Selbstorganisation folgt. Die Subjektive Didaktik räumt mit dem Glauben auf, dass didaktischen Maßnahmen des Lehrenden direkten und linearen Einfluss auf das Lernverhalten eines jeden Schülers haben. Das genaue Gegenteil ist nicht selten der Fall. Ultimatives Ziel des Unterrichts sollte es darum sein, die Lernenden in ihren individuellen Zugriffen auf den Gegenstand zu stärken und ihre Eigenständigkeit zu unterstützen, damit sie sich letztlich zu autonomen Persönlichkeiten entwickeln können.
Soweit die Theorie.

Leichter gesagt als getan

In der Praxis sieht es oft anders aus. Mir waren die theoretischen Hintergründe völlig klar und einleuchtend als ich das erste Mal vor einer Klasse von Schülern stand. Und doch fiel es mir weit schwerer mich zurückzunehmen und geduldig zu sein als z.B. eine Bastelanleitung bis ins kleinste Detail zu erläutern, vorzuführen und den Schülern zur Hand zu gehen. So scheint es vielen Lehrkräften zu gehen. Immer wieder wird davon berichtet, dass der Redeanteil von Lehrern im Unterricht ein angemessenes Maß weit übersteigt (vgl. zentrale Befunde der DESI-Studie). Unabhängig davon, ob dies  aus Gründen der Gewohnheit, vielleicht auch der Unsicherheit (was passiert nur, wenn ich im Unterricht das Ruder aus der Hand gebe?) oder einfach nur aufgrund einer tief verinnerlichten hierarchischen Rollenverständnisses geschieht – die Leidtragenden sind letztlich die Schüler (auch wenn es diese meist nicht wahr haben wollen). Sie lehnen sich als passive Zuhörer des Unterrichtsgeschehens auf ihren Stühlen zurück und lassen sich berieseln. Dass sich hierbei kaum ein nachhaltiger Lernprozess vollziehen wird, brauche ich an dieser Stelle wohl nicht zu näher auszuführen.

Wissensvermittler oder Lerncoach?
Wissensvermittler oder Lerncoach?

Für Lehrer muss es zur Regel werden, sich immer wieder selbst den Spiegel vorzuhalten und den eigenen Unterricht auf Schülerorientierung und -aktivierung hin zu überprüfen. Aber – und auch das kann ich aus eigener Erfahrung sagen – man selber nimmt seine starke Präsenz im Unterrichtgeschehen kaum wahr. Ich wurde von einem Kollegen, der meinen Unterricht besuchte, auf meine viel zu aktive Rolle aufmerksam gemacht. „Na, dein Redefluss ist ja  unerschöpflich“, bemerkte er beiläufig. Und es stimmte; ich hatte immer eine Antwort und viele Erläuterungen parat, stand mitten im Geschehen anstelle von „beratend zur Seite“. Diese kleine Bemerkung, die mir ehrlich gesagt zunächst überhaupt nicht passte, brachte einen Stein ins rollen.
Rückkopplungen und Feedback sind (auch weit über das Referendariat hinaus) für Lehrkräfte absolut wichtig und unverzichtbar, wenn sie ihren Unterricht und ihr Handeln weiterentwickeln, verfeinern oder einfach nur reflektieren möchten. Voraussetzung dafür ist lediglich die Bereitschaft, die eigene Tätigkeit transparent zu machen und ggf. auch zu hinterfragen. Und auch wenn Veränderungen, gleich welcher Art, beschwerlich und zum Teil beängstigend sein können, sie tragen dazu bei, dass man selber und der eigenen Unterricht in Bewegung bleiben. Und Bewegung kann nie schaden!
Zweifelsohne und völlig zu Recht wird man im Kontext der Diskussionen über die „neue Lernkultur“ immer wieder auf die Lehrerrolle zu sprechen kommen. Die Lehrkraft trägt mit ihrem Handeln im Unterricht maßgeblich zum Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler bei. Fraglich ist nur, was es hilft, tagtäglich in Büchern und Fachzeitschriften (oder in diesem Blog) von der neuen Lehrerrolle und der neuen Lernkultur zu predigen. Lehrkräfte und Schüler müssen ihre neuen Rollen vor Ort finden und davon überzeugt werden, dass sie mit dieser neuen Rolle nur gewinnen können.
Stefanie Rother