Dieser Beitrag wurde verfasst von: Katharina Korves.
Die Kultusminister fordern im Beschluss der Kultusministerkonferenz (KMK) zur „Stärkung der Demokratieerziehung“ vom 06.03.2009 „(…) die Verantwortungsübernahme der Schülerinnen und Schüler sowohl zu fördern und sie damit zugleich beim Aufbau persönlicher und sozialer Kompetenz zu unterstützen[1].
Engagement lernen
Engagement lernen

Aus obigem Zitat schließe ich: „Verantwortungsübernahme“ ist wichtig und hat viel Potenzial. Es scheint ein Schlüssel zu sein, der auf ein Leben in der Gesellschaft in besonderer Weise vorbereitet. Dabei ist Verantwortung bzw. Verantwortungsübernahme auch gesamtgesellschaftlich ein Thema von hoher Brisanz. Meine Überlegungen und Recherchen hierzu zeichnen ein deutliches Bild: man kommt weder in der Tages- oder Wochenpresse, noch in den Beiträgen der audio-visuellen Medien um dieses Stichwort herum. Mit fällt auf, dass es seit einigen Jahren zunehmend und in vielerlei Weise präsent ist:

  • etwa im Bereich Politik: man denke nicht nur an das politische Tagesgeschäft, sondern auch z.B. an die Guttenberg- oder Wulff-Debatten,
  • im Bereich Bürgerengagement: man denke an die Occupy-Bewegung/en, die Initiative von Stuttgart 21 oder auch an die Mediale Präsenz des Themas Ehrenamtliches Engagement, wie etwa 2009 in der ARD Themenwoche,
  • im Bereich der Ökonomie bzw. unternehmerischen Verantwortungsübernahme: populär diskutiert im Zusammenhang mit dem Begriff Corporate Social Responsibility (CSR) oder
  • im Bereich Ökologie: man denke z.B. an die Inhalte der Agenda 21.

Für mich ist klar: Verantwortung hat viele Gesichter
Einprägsam portraitiert Alois Glück (2001) das Thema „Verantwortung übernehmen“ im gleichnamigen Buch und es wird deutlich, dass verantwortliches Verhalten die zentrale Bedingung für ein menschliches und zukunftsorientiertes Miteinander darstellt.
Es ist angesichts dieser Aspekte und Beispiele nur logisch, dass sich in der Schule, die ja ein Spiegel der Gesellschaft ist, seit einigen Jahren ein zunehmendes Engagement für mehr Verantwortungsübernahme abzeichnet. Plakativ wird dies am obigen Beschluss der KMK 2009 deutlich. Hier wird es ganz konkret als Bildungsziel formuliert. Die Förderung der Verantwortungsübernahme wird hier als Schlüssel für die Entwicklung persönlicher und sozialer Kompetenzen aufgefasst. Es geht also um überfachliche, grundlegende Potenziale und Perspektiven  zum Zweck eines positiven Zurechtkommens in der Welt. Der „Wert“ dieses Anliegens ist hoch und durch die gesellschaftliche Allgegenwärtigkeit vermeintlich zugänglich.
Was so eingehend daher kommt, ist jedoch bei genaueren Überlegungen gar nicht so eindeutig.
So stellt sich mir die Frage: Was heißt und bedeutet es eigentlich konkret „die Verantwortung der Schülerinnen und Schüler sowohl zu fördern und die damit zugleich beim Aufbau persönlicher und sozialer Kompetenz zu unterstützen“? Zwar gibt die KMK im genannten Beschluss hierfür konkrete Vorschläge, z.B. „Förderung einer verstärkten Auseinandersetzung mit der Geschichte, (…) “, „Förderung von unterrichtsnahen Vorhaben zur Verantwortungsübernahme von Kindern und Jugendlichen für ihr unmittelbares Lebensumfeld“ oder auch „Motivierung von Schülerinnen und Schülern, bestehende Mitwirkungsmöglichkeiten tatsächlich wahrzunehmen, (…)“. Diese Vorschläge sind zwar plausibel, jedoch auch recht pauschal formuliert, was aus der Komplexität und Dehnbarkeit des Verantwortungsbegriffs resultieren mag. Führt man sich zudem die eingangs genannten unterschiedlichen Wirkungsbereiche vor Augen, die mit Verantwortungsübernahme zusammen hängen, so erhält man einen Eindruck von der thematischen Diffusivität. In dieser Weise betrachtet ist das vermeintlich „auf der Hand liegende“ Thema im Kontext Schule gar nicht mehr so greifbar.
Dabei ist das Anliegen, zur Verantwortung zu erziehen oder Verantwortung zu lernen insbesondere in Anbetracht der deutschen Vergangenheit keineswegs neu.
Man denke z.B. an Herbart, seine Theorie zur Charakterbildung und seine Überlegungen, im und durch Unterricht zur Verantwortung zu erziehen (u. a. Herbart 1806). Bedeutsam auch John Dewey und seine Ausführungen zum Thema „Demokratie und Erziehung“ aus dem Jahre 1949 oder Hartmut von Hentigs pädagogische Ansichten für die „Laborschule Bielefeld“ (u.a. dargelegt in von Hentig 2008). Die Förderung der Verantwortungsübernahme scheint also ein Daueranliegen zu sein. Die Gründe hierfür mögen sicherlich in gesellschaftlichen Zusammenhängen eine Erklärung finden: als Verantwortung für und im Sinne einer zukunftsfähigen, demokratischen Gesellschaft.
So ist es nicht verwunderlich, dass auch in den letzten Jahren intensiv an konzeptionellen Möglichkeiten zur Umsetzung der Verantwortungsförderung entwickelt wurde, …

Prof. Dr. Edelstein
Prof. Dr. Edelstein

…besonders reichhaltig in demokratiepädagogischen Zusammenhängen. Dies dokumentieren die zahlreichen entsprechenden Veröffentlichungen und Initiativen wie etwa „Demokratie lernen und leben“ (Bund-Länder-Kommision für Bildungsplanung und Forschungsförderung, kurz BLK, 2001), der „Wettbewerb Demokratisch handeln“ (Beutel u. Fauser, seit 1990) und das Programm „Service Learning“ (Sliwka 2002/Seifer u. Zentner 2010), um nur eine kleine Auswahl zu nennen. Und trotzdem greift die Umsetzung des unbestreitbar wichtigen Anliegens Verantwortungslernen bzw. Verantwortungserziehung in der Schule nur vereinzelt. Obwohl das Engagement um die richtige Strategie bzw. Konzeption der Verantwortungsförderung früher wie heute deutlich ist und es gegenwärtig viele durchdachte Ansätze gibt, bleibt die Nachhaltigkeit in der breiten Schullandschaft aus. Das Umdenken in Richtung „mehr Verantwortung“ (insbesondere im demokratiepädagogischen Zusammenhang) wird also vielfältig initiiert, aber es verläuft sich allzu oft im „Getriebe“ der konkreten Einzelschule oder findet eher unbewusst und damit auch ungezielt statt. Diese Auffassung stützt auch Prof. Dr. Edelstein, renommierter Experte auf dem Gebiet der Demokratiepädagogik und des Verantwortungslernens:
„Es ist immer noch nicht alltäglich in den Schulen, über Demokratiepädagogik und Verantwortungslernen nachzudenken. Doch gerade die Schulen wären dazu berufen darüber nachzudenken, wie wir die Übernahme von Verantwortung im Alltag der Schulen systematisch verbessern können. Das ist immer noch eine eher seltene Pionierleistung in pädagogisch aktiven Kollegien mit fortschrittlichen Schulleitungen.“ [2]
Mich interessiert daher: Was verhindert eigentlich die nachhaltige Verantwortungsförderung in der Schule? Wo oder was sind die Grenzen? Wahrscheinlich gibt es hier klare Argumente.
Auf der anderen Seite finde ich spannend: Was unternehmen Lehrkräfte ganz konkret, damit ihre Schüler Verantwortungsübernahme lernen. Diese Frage richtet sich auf die Potenziale, die Möglichkeiten, die Ressourcen. Ich glaube stark, da gibt es trotz allem bereits viele individuelle Engagements, die vielleicht einfach nur mal „ausgegraben“ werden müssen…

Katharina Korves


[2] Einführungsvortrag „Erziehung zu Demokratie und Verantwortung“ zum Workshop „Demokratische Schule – Schule in der Demokratie“, Heinrich-Böll- Stiftung, Berlin, 5. Dezember 2007