Dieser Beitrag wurde verfasst von: Christina Bauer.

Zum sechzehnten Mal lud die Didacta nun schon zu Europas größten internationalen Bildungsmesse ein. Gerne folgten wir ihrem Ruf in ihre Hallen nach Hannover und waren gespannt auf die aktuellen Trends im Bereich Bildung und Digitalisierung. Es gab viel zu hören und zu sehen- ein grundlegendes Konzept vom didaktischen Mehrwert digitaler Medien ließ sich leider aber noch nicht erkennen.
Ob mit Online-Übungen, diagnostischen Tools oder digitalisierten Schulbüchern – jeder Verlag, der einen Namen zu verlieren hat, springt auf den Zug digitale Medien – auch, wenn damit bislang noch kein Plus in den Kassen der Anbieter zu verzeichnen ist. Die Hoffnung der Bildungsverlage bleibt, dass sich die Investition auf lange Sicht lohnt und die Euphorie für Digitalisierung, die in den Messehallen schon seit einiger Zeit zu verspüren ist, ihren Weg auch in die Schulgebäude findet. Wie dieser Weg genau aussieht und auf welchem Fundament er gebaut ist, wollten wir uns nun genauer anschauen. Auf der Suche nach dem Sinn der digitalen Medien durchstöberten wir die Hallen der Messe. Die Bandbreite an digitalen Tools und Medien und deren unterschiedliche Ausgestaltung ist hoch, aber doch lässt sich Vieles auf drei Grundgedanken zurückführen, die sich in einem „motivieren, adaptieren, integrieren!“-Mantra formulieren lassen. Im Einzelnen bedeutet das:
Motivieren: Sofortiges Feedback, unterschiedliche Modalitäten und bewegte Bilder sollen die Lernenden am Ball- oder zumindest am Gerät halten.
Adaptieren: Individuelle Förderung soll durch Anpassung von Schwierigkeitsgraden und anderen Parametern ermöglicht werden – abgestimmt auf den Benutzer, ganz im Sinne unserer individualisierten Generation Y.
Integrieren: Viele verschiedene Funktionen in einer Anwendung und viele Anwendungen für nahezu unendlich viele Unterrichtsstunden sollen praktisch „to go“ in einem Gerät verpackt werden.
Diese Grundgedanken haben an einigen Stellen Potenzial. Schon lange ist beispielsweise klar, dass Konzepte individueller Förderung und die Beanspruchung unterschiedlicher Sinneskanäle beim Lernen hilfreich und wichtig sind. Auch wenn vieles davon natürlich auch analog geleistet werden kann, haben digitale Medien durchaus Potenzial, diese Konzepte weiter voran- und in den Unterricht zu tragen. In der Umsetzung werden diese Potenziale aber noch nicht ausgeschöpft. Anstatt zum Beispiel die Möglichkeit zu nutzen, verschiedene Lernmodalitäten zu beanspruchen, setzen viele digitale Anwendungen auf die angeblich motivierende Wirkung digitaler Medien an sich. Dabei bleibt fraglich, inwieweit ein leuchtender Bildschirm statt eines analogen Schulbuchs per se die Motivation aufrechterhalten kann, wenn der Neuartigkeits-Bonus mit der Zeit schwindet und nicht mehr dahintersteckt.
Die Problematik eines fehlenden (didaktischen) Konzepts zum Mehrwert digitaler Medien findet sich aber nicht nur auf der Seite der Technologie-Entwickler, sondern zusätzlich auch noch einmal in der praktischen Umsetzung wieder. Die Möglichkeiten, die in manchen Tools schon angelegt sind, werden in der Schule oft nicht ausgeschöpft. Dies lässt sich besonders gut am Beispiel von Whiteboards zeigen: Einige Schulen haben zigtausende von Euro in die Ausstattung ihrer Klassenzimmer mit diesen digitalisierten „Tafeln der Zukunft“ investiert. Diese bieten grundsätzlich die Möglichkeit, verschiedene Quellen zu integrieren und kollaborativ zu bearbeiten. So könnten Schüler zum Beispiel im Fach Mathematik eine Funktion mit einem entsprechenden Programm erstellen und auf dem Whiteboard weiter verändern. Oder das Whiteboard wird genutzt, um die Hausaufgabe eines Schülers als Best Practice Beispiel zu zeigen und gemeinsam weiter zu bearbeiten, bevor man das Ergebnis abspeichert und per Email an die gesamte Klasse schickt. Allzu oft bleiben diese Potentiale aber ungenutzt und das teure Whiteboard fristet ein Dasein als einfacher Tafel-Ersatz. Der Lehrer schreibt an das Board, die Schüler schreiben ab. Wie immer – nur, dass die Tafel jetzt leuchtet und manchmal nicht richtig funktioniert…
Natürlich braucht es eine Eingewöhnungsphase. Lehrer, die 30 Jahre lang mit einer normalen Tafel gearbeitet haben und auch sonst nicht sehr Technologie-affin sind, können nicht von heute auf morgen ihren Unterricht umstellen. Dafür braucht es Zeit, aber vor allem auch Unterstützung. Workshops, Trainings und Plattformen zum Austausch mit anderen Lehrern könnten hier verstärkt eingesetzt werden, um sicherzustellen, dass die Potenziale digitaler Medien genutzt werden und sich eine Investition auch lohnt. Und es geht auch nicht darum, das Ende der Kreidezeit auszurufen. Analog und digital sind kein Widerspruch; vielmehr geht es um einen ausgewogenen Medien- und Methodenmix, abhängig von den Zielen der jeweiligen Unterrichtsstunde. Und hier sind die didaktischen Vorüberlegungen entscheidend.
Insgesamt wird beim Messebesuch klar: Es mangelt vielerorts an einem grundlegenden Konzept für den didaktischen Mehrwert digitaler Medien- sowohl bei den Technologie-Anbietern in der Entwicklung als auch bei den Schulen in der Praxis. Man scheint vielerorts eben noch nicht so genau zu wissen, was die ganze Digitalisierung denn so ganz genau soll. „Wir stellen eben das her, was der Nachfrage entspricht. Und die Leute wollen digitale Medien!“, erklärt eine Verlagsvertreterin, als sie auf die Frage nach dem didaktischen Mehrwert digitaler Medien nach Antworten ringt. Didaktische Überlegungen scheinen oft hinter den leuchtenden Symbolen der Tablets und Smart-Phones zu verschwinden.
Dieser Eindruck verfestigt sich auch in der Podiumsdiskussion Digitale Bildung in der Schule. Bezeichnender Weise stellt gerade der Geschäftsführer eines namenhaften Verlags heraus, dass es bislang an einer Nutzenorientierung digitaler Medien fehlt. Viel mehr als bisher müssten Tools aus den Fächern heraus entwickelt werden um mehr als nur eine nette Verpackung sein zu können. Das bedeute auch, dass die Konzepte zur Entwicklung didaktisch sinnvoller Tools unter Einbeziehung von Lehrern und Pädagogen geschehen müsse, die bislang – und so auch bei dieser Podiumsdiskussion – nicht zu Wort kommen.
Letztendlich räumt auch der Vertreter eines Elektronikkonzerns ein, dass die Technologie-Anbieter keine Antwort haben auf die Frage, wie Bildung mit digitalen Medien didaktisch sinnvoll gestaltet werden könne. Vielmehr sehe er ihre Rolle darin, Angebote zum Ausprobieren zu schaffen.
Aber sollte ein Konzept nicht vor der Umsetzung stehen? Die Erfindung eines Produkts nach dessen Zweck man erst suchen muss, erscheint mir befremdlich. Müsste es nicht auch im Interesse der Anbieter liegen, gezielt Produkte zu entwickeln – abgestimmt auf die Bedürfnisse der Verbraucher?
Digitale Medien können durchaus Potential für die Verbesserung des Unterrichts haben, wenn sie richtig konzipiert und eingesetzt werden. Dieses „richtig“ muss nun noch klarer definiert werden, so dass eine „richtige“ Konzeption von digitalen Tools erst möglich wird. Aus einem Mehrwert für die Verbraucher könnte sich dann auch ein Mehrwert für die Anbieter geben.
Vorerst – und hoffentlich auch zuerst – geht die Suche nach den Potenzialen digitaler Medien also weiter.
Christina Bauer