Dieser Beitrag wurde verfasst von: Leonie Dargiewicz und Dr. Ulrich Schmid.

Ein Viertel aller Schüler in Deutschland verfehlt laut KMK die Mindeststandards in Mathematik und Naturwissenschaften. Könnten sie von digitalen Angeboten profitieren?

Die Ergebnisse des kürzlich erschienenen IQB-Bildungsbericht könnten kaum alarmierender sein: Der Anteil der  Neuntklässler, die hierzulande in Mathematik unterhalb des „Mindeststandards“ bleiben – die also nach der Grundschule nichts dazugelernt haben und dadurch in ihrem weiteren Berufsleben als besonders gefährdet gelten –, liegt im Bundesdurchschnitt bei knapp einem Viertel. In einzelnen Bundesländern sogar noch deutlich darüber: z. B. in Bremen (40,6 Prozent), in Berlin (33,9 Prozent) oder im Saarland (31,2 Prozent). In Sachsen hingegen bleiben nur 14 Prozent unterhalb des Mindeststandards, und in Bayern sind es ebenfalls „nur“ 19,5 Prozent. In diesen beiden Ländern erreichen jeweils mehr als die Hälfte aller Schüler immerhin den Mathematik-„Regelstandard“ entspricht.

Zu denken gibt auch, dass sich die Anzahl der Schüler, die wenigstens diesen Regelstandard erreichen oder sogar besser abgeschnitten haben („Regelstandard plus“ oder „Optimalstandard“), in den vergangenen sechs Jahren kaum nennenswert gestiegen ist (nur um 0,5 Prozentpunkte von 44,3 auf 44,8 Prozent). Dementsprechend kann das IQB für kein einziges Bundesland „signifikant positive Veränderungen im Fach Mathematik“ feststellen. Mit Blick auf die wachsende Vielfalt im Klassenzimmer bewerten die Kultusminister diese Konstanz zwar als Erfolg. Unzweifelhaft problematisch ist aber die Lage an den Gymnasien: Hier zeigen sich laut IQB in Deutschland in nahezu allen betrachteten MINT-Kompetenzbereichen „ungünstige Entwicklungen“, die allerdings innerhalb der Länder unterschiedlich stark ausfallen.[1]

In den Naturwissenschaften insgesamt ist übrigens der Anteil der Schüler mit Ergebnissen unter dem Mindeststandard deutlich geringer als in Mathematik. In Biologie sind es bundesweit beispielsweise nur 5,4 Prozent. Aber auch hier zeigt sich ein ähnliches regionales Muster: Die Stadtstaaten haben besondere Probleme. Bayern, Sachsen und Thüringen liegen vorn. Laut FAZ ist dieses Studienergebnis „ein niederschmetternder Befund, zumal in den vergangenen Jahren viel über Unterrichtsqualität in Mathematik geforscht wurde“.

Tatsächlich sind belastbare Gründe für diesen schlechten Befund schwer auszumachen – das IQB selbst gibt sich auffallend zurückhaltend. Zwar lasse sich feststellen, dass der Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund ebenso wie die Heterogenität der Schülerschaft insgesamt zugenommen habe, jedoch traten, so das IQB, die „Veränderungen in der Heterogenität der Schülerschaft nicht verstärkt in den Ländern auf, in denen besonders ungünstige Entwicklungen in den erreichten Kompetenzen zu beobachten sind“. Dennoch legt die Pressemitteilung des IQB gezielte Fortbildungen der Lehrkräfte für den Umgang mit heterogenen Schulklassen sowie für die gezielte Förderung von Jungen und Mädchen nahe.

Auch die Bremer Bildungssenatorin Claudia Bogedan sieht den Grund für das schlechte Abschneiden ihres Bundeslandes vor allem in dem weiter gestiegenen Anteil von Schülern mit Zuwanderungshintergrund und unzureichenden Deutsch-Kenntnissen.

Der Philologenverband weist in seiner Stellungnahme vor allem darauf hin, dass die Gymnasialempfehlung wie z. B. in Baden-Württemberg, nicht mehr verbindlich sei, und daher zu viele leistungsschwache Schüler an die Gymnasien kämen. „Bildungspolitisch“, so der Verband in seiner Pressemitteilung, „gilt es, von Bayern und Sachsen lernen: Diese Länder sind mit ihren Schulsystemen dauerhaft erfolgreich! Sie haben ein stark gegliedertes Schulsystem! Sie haben eine verbindliche Grundschulempfehlung!“. Das an der Dortmunder Universität angesiedelte Institut IFS beklagt hingegen vor allem den unzureichenden Grundschulunterricht, fehlende Lese- und Sprachkompetenzen und die mangelnde Förderung von Mädchen in den MINT-Fächern.

Erste Bundesländer haben inzwischen Gegen-Maßnahmen angekündigt. So sollen beispielsweise in Hamburg alle Bildungspläne analysiert und überarbeitet werden und vermehrt examinierte Mathematikpädagogen zum Einsatz kommen. Für Bremen sind auf Empfehlung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW)  kleine Klassen, mehr Fachkräfte sowie neu definierte Arbeitszeiten für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Schulen im Gespräch.

Doch die Frage muss erlaubt sein: Reicht es tatsächlich aus, mit solchen Maßnahmen-„Klassikern“ auf die offenbar seit Jahren unverändert hohen Mathematik-Defizite vieler Schüler hierzulande zu reagieren? Gerade in diesem Unterrichtsfach ist die Spreizung zwischen leistungsschwachen und starken Schülern seit jeher groß – und wer einmal abgehängt ist, z.B. im Bruchrechnen oder bei den Binomischen Formeln, tut sich schwer, später wieder den Anschluß zu finden. Die Problematik, den Mathematikunterricht so zu gestalten, dass sich einerseits die „Cracks“ nicht langweilen und andererseits die weniger Begabten nicht dauerhaft zurückfallen, kennen die meisten Mathematiklehrerinnen und -lehrer nur zu gut.

Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass es gerade für Mathe und Physik inzwischen eine große Bandbreite digitaler Lernangebote gibt – sei es bei YouTube, als Lernprogramm, interaktives Schulbuch oder auch als App fürs Smartphone: in keinem anderen Fach ist die Auswahl breiter. Diese Angebote werden hierzulande zwar sehr intensiv und häufig genutzt, allerdings bislang vor allem am Nachmittag von den Schülerinnen und Schülern selbst.[2] Im Unterricht hingegen spielen sie kaum eine Rolle. Selbst ein sowohl international wie auch in Deutschland bereits erprobtes System wie Bettermarks, das ähnlich wie die gemeinnützig US-Organisation New Classrooms personalisierten Mathematikunterricht ermöglicht, indem ein Algorithmus aus 100.000 Übungen genau die individuell passenden auswählt, und dadurch den Lernerfolg und Lernspaß nachweislich steigert, stößt im Mathematikunterricht hierzulande bisher nur auf geringe Resonanz.[3]

Im Folgenden haben wir eine kleine Auswahl an deutschsprachigen digitalen Mathematik-Angeboten zusammengestellt – mit ganz unterschiedlichen didaktischen Ansätzen und Nutzungskonzepten (selbstverständlich ohne Anspruch auf Vollständigkeit und Qualitätsprüfung):

Bettermarks

Umfassendes und adaptives Mathematik-Lernprogramm, das auch im Schulunterricht eingesetzt werden kann und sich KI-gestützt an den jeweiligen Bedarf und Kompetenzstand der Schülerinnen und Schüler anpasst. Bei Schwierigkeiten gibt das System gezielte Lösungstipps und Hinweise. Individuelle Fehler werden analysiert und mit Lern- bzw. Übungshinweisen zurückgemeldet. In Deutschland gibt es bereits rund hundert Schulen, die Bettermarks verwenden, so z.B. die Werner-von-Siemens-Gesamtschule Königsborn in Unna, das Ganztagsgymnasium und Internat Louisenlund und die Evangelische Schule in Berlin-Steglitz.

Westermann Gruppe: Zahlenzorro

Das Angebot des Westermann Verlags richtet sich an Grundschulkinder und umfasst Aufgaben zum Wettrechnen, Einmaleins-, Plus-und-minus, Uhrzeit-Training sowie Knobelaufgaben. Es zielt damit auf alle grundlegenden Mathematik -Kompetenzbereiche. Überdies wird eine Vorlesefunktion sowie statistische Auswertungen für LehrerInnen für eine bessere individuellen Förderung angeboten. Bei richtiger Antwort werden die Schüler mit Stickern oder Auszeichnungen belohnt.

flipptheclassroom

Das Mathematik-Nachhilfeangebot des Klett Verlags orientiert sich an der Buchreihe „Lambacher Schweizer“. Hier werden Erkärvideos zur Verfügung gestellt, in denen mathematische Themen didaktisch aufbereitet und nahegebracht werden. Begleitend hierzu gibt es auch eine App mit einem persönlichem Nachhilfelehrer.

Math42

Die von zwei Schülern entwickelte Lern-App richtet sich an Schülerinnen und Schüler der 5. bis 12. Klasse. Die Nachhilfe-App bietet intelligente Lösungsvorschläge, Schritt-für-Schritt Lösungen sowie einen Trainings- sowie Test-Modus und verspricht ihren Nutzern bessere Noten in Mathematik.

Cornelsen Mathe Trainer

Die Mathematik-Trainer App des Cornelsen-Verlags umfasst Matheaufgaben der Klassen 5 bis 10 und macht diese als Karteikarten verfügbar. Zu jeder Aufgabe werden Lösung und Rechenwege dargestellt. Der eigene Lernstand wird in einer übersichtlichen Statistik aufbereitet.

Meister Cody – Talasia

König der Mathematik Junior

Mathetiger App

Miner Birds

Verschiedene spielerische Lern- und Übungs-Apps für Vor- und Grundschulkinder.

Mathegym

Diese Lernplattform richtet sich an Schülerinnen und Schüler aus Gymnasien und Realschulen. Je nach dem, wie die gestellten Matheaufgaben bearbeitet bzw. gelöst werden, kontrolliert und analysiert das Lernprogramm die Ergebnisse und gibt entsprechende Hilfestellungen, u.a. auch durch Erklärvideos.

Mathenatur

Eine weitere Mathemathik-Lernplattform, die es ermöglicht, Aufgaben strukturiert nach bestimmten Themen oder Klassenstufen auszuwählen. Die Übungen können online bearbeitet und die Arbeitsblätter auch ausgedruckt werden. Das Programm bietet gezielte Hilfestellung bei Problemen bereits während der Bearbeitung.

Matheheld

Eine Mathe-Lernplattform begleitend zu Schulbüchern. Hier können die Aufgaben aus dem Buch im eigenen Lerntempo online bearbeitet werden, überdies sind Lernvideos verfügbar, die den Rechenwerg erklären.

MIO

Die Lernplattform bietet Online-Matheaufgaben sortiert nach dem Lehrplan der verschiedenen Bundesländer für die fünfte bis zehnte Klasse. Die Aufgaben orientieren sich auch am jeweiligen Leistungsstand des Schülers. Daneben gibt es eine App für Lehrkräfte, die den gesamten Schulstoff für das jeweilige Schuljahr verfügbar macht und es ermöglicht, den Schülerinnen und Schülern bestimmte Lernziele und Aufgaben individuell zuzuweisen.

Matheaufgaben.net

Sehr umfangreiches Online-Matheaufgeben-Portal für die erste bis achte Klasse mit Übungs- und Aufgabenblättern zum Ausdrucken. Der Schwierigkeitsgrad kann selbstständig eingestellt werden.

Mathe.org

Kostenlose und umfassende Mathematik Lern- und Trainingsplattform mit Lernvideos, Aufgaben und Übungsblättern für Schülerinnen und Schüler der ersten bis sechsten Klasse.

Diverse YouTube-Kanäle

Ca. 20 bis 25 Prozent aller YouTube-Bildungskanäle lassen sich laut einer Recherche des mmb Instituts aus 2019[4] dem Bereich Mathematik und MINT zuordnen. Die bekannteren Kanäle verzeichnen bis zu 500.000 Abonnenten und Zugriffszahlen im Millionenbereich. Auch die häufig sehr positiven Nutzerfeedbacks und Kommentare belegen das große Interesse an didaktisch und fachlich überzeugenden Mathematik-Lernangeboten. Hier eine kleine Auswahl:

TheSimpleClub/ Mathe
TheSimpleClub ist vor allem ein YouTube Lernvideo-Kanal, der Nachhilfe in fast allen Schulfächern – allerdings mit Schwerpunkt auf Mathematik und MINT-Fächern – anbietet. Neben der fachlich-didaktischen Qualität liegt die hohe Attraktivität und Reichweite des Angebots möglicherweise auch an der jugendlichen Authentizität der beiden passionierten EduTuber Alexander Giesecke und Nicolai Schork. Inzwischen gibt es neben den kostenlosen Videos auch eine zusätzliche App mit individuellen Lernplänen, Arbeitsblättern und weitere Services, allerdings kostenpflichtig.

Mathe by Daniel Jung
Mathe-Lehrer Daniel Jung steht im klassischen Unterrichts-Setting vor einer an der Tafel und erklärt das jeweilige Thema – allerdings auf eine sehr überzeugende, engagierte, nachvollziehbare und einfache Art.

DorFuchs
Hinter DorFuchs steckt Johann Carl Beurich. Er behandelt auf seinem Kanal ausschließlich mathematische Themen in vorwiegend musikalischer Form. Bekannt wurde Beurich durch seinen Ohrwurm-Song zu Binomischen Formeln, der auch in viele Mathestunden Einzug gehalten hat.

Lehrerschmidt
Rund 1500 überwiegend sehr gut nachvollziehbare Lernvideos zu vielen Themen aus Mathematik und Physik.

100Sekunden Physik
Nach dem Motto Albert Einsteins „So einfach wie möglich. Aber nicht einfacher!“ werden mathematische und physikalische Zusammenhänge plausibel dargestellt und Fragen beantwortet.

Mathe einfach erklärt – Flip the Classroom
Zwei Oberstufenlehrer erklären den Schulstoff in Mathe auf Abiturniveau.

 

[1] Wenn Sie selbst einmal testen möchten, ob Sie mit den Neuntklässlern mithalten können: Die SZ bietet hier einen Test an.

[2] Vergleiche dazu die Befunde zur Diskrepanz zwischen Lernmediennutzung am Vor- und Nachmittag im „Monitor Digitale Bildung – Die Schulen im digitalen Zeitalter“ (2017, S. 27f)

[3] Vgl. hierzu auch die Ausführungen von Jörg Dräger und Ralf Müller-Eiselt in Ihrem jüngst erschienenen Buch (2019): „Wir und die intelligenten Maschinen: Wie Algorithmen unser Leben bestimmen und wir sie für uns nutzen können“ (S. 76ff)

[4] Lernen ohne Schule: Wie YouTube und Co die Bildungswelt verändern. Körber Stiftung 2019.