Prof. Dr. Niels Pinkwart ist Professor für Informatik an der Humboldt-Universität zu Berlin und seit November 2019 Wissenschaftlicher Direktor der Forschungsgruppe Educational Technology Lab im DFKI-Projektbüro Berlin.

Pinkwart studierte von 1995 bis 1999 Informatik und Mathematik an der Universität Duisburg. Hier promovierte er im Jahr 2005 mit einer Dissertation über kollaborative Lerntechnologien. Nach einer Postdoc-Stelle am Human-Computer Interaction Institute der Carnegie Mellon University (2005/2006) war er an der Technischen Universität Clausthal tätig. Im Jahr 2013 wechselte er an die Humboldt-Universität zu Berlin, wo er den Lehrstuhl für „Didaktik der Informatik / Informatik und Gesellschaft“ und das Zentrum für technologiegestütztes Lernen an der Professional School of Education leitet.

Ulrich Schmid hat für digitalisierung-bildung.de mit Niels Pinkwart gesprochen.

Niels Pinkwart, Foto: Jan Kopankiewicz

Unsere erste Frage an Sie als KI-Forscher: Sehen Sie in modernen, KI-basierten Lernsystemen eine wirklich radikale Innovation oder vielleicht sogar ein disruptives Potenzial für Bildung – zumindest in bestimmten Bereichen, wenn es zum Beispiel um Sprachen-Lernen oder den Mathematik-Unterricht in der Schule geht?   

Tatsächlich sind KI-basierte Lernsysteme bereits seit Jahrzehnten ein recht gut erforschtes Thema und damit gar nicht so radikal oder disruptiv, wie oft suggeriert wird. Sie werden auch in vielen Ländern mit Erfolg eingesetzt – in Deutschland fristeten sie aber bislang eher ein Mauerblümchendasein. Dies ändert sich nun zunehmend, und in der Tat können KI-Elemente in Lernsystemen viel zum Lernerfolg der Nutzer:innen beitragen.

 

Sind avancierte adaptive Lernsysteme heute schon in der Lage, persönliche Lern-Schwächen und -Stärken oder auch individuelle kognitive Profile ebenso gut zu analysieren – und entsprechend darauf zu reagieren –, wie dies eine gute Lehrerin bzw. ein guter Lehrer kann? 

In Teilen sogar besser: Lernsoftware ist ja in der Lage, jede Nutzer-Antwort zu analysieren und darauf aufbauend automatisiert detaillierte Profile zu erstellen, die dann für die Personalisierung von Aufgaben oder Rückmeldungen verwendbar sind. Das kann eine einzelne Lehrkraft für eine ganze Gruppe nie leisten. Andererseits gibt es viele Facetten menschlichen Lernens und Handelns, auf die Computer bis heute nicht gut reagieren können – zum Beispiel Kreativität.

 

Inzwischen gibt es einfache Tools und Apps (etwa von Google), die es auch Laien erlauben, einen Computer zu trainieren und „intelligente“ Anwendungen zu entwickeln. Sollten Lehrende in der Schule davon Gebrauch machen? Welche Art von Digital- oder KI-Unterricht würden Sie sich an den Schulen wünschen?   

Ich würde es mir wünschen, dass deutlich mehr Bildung zu KI und Digitalisierung in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen verankert wird – und zwar sowohl hinsichtlich technischer Gestaltungsmöglichkeiten als auch bezüglich Anwendungs- und Beurteilungskompetenz. Andere Länder sind da deutlich mutiger. Welche Tools oder Apps dann eingesetzt werden, ist letztlich zweitrangig – mittlerweile gibt es viele gut nutzbare davon.

 

Wenn es generell um KI geht, schauen wir immer zuerst in die USA oder nach China, wo Sie kürzlich erst waren. Muss man aus Ihrer Sicht tatsächlich von einer Innovationsführerschaft dieser beiden Wirtschaftsregionen ausgehen – und wie sieht das speziell für EdTecs und KI aus? Kennen Sie ein führendes KI-basiertes Bildungsunternehmen aus Deutschland oder Europa? 

Tatsächlich liegt die Markt- und Innovationsführerschaft im Bereich KI und EdTec derzeit nicht in Deutschland, sondern in den USA und in China. Dies hat sicher auch damit zu tun, dass die Relevanz und das Potenzial von KI für die Bildung hier recht lange nicht gesehen wurden. In Deutschland und Europa gibt es aber eine ganze Reihe von innovativen EdTec-Start-ups, bei denen KI regelmäßig eine große Rolle spielt. Zusammen mit der bestehenden guten Forschungslandschaft und der zunehmenden öffentlichen Wahrnehmung sehe ich gute Chancen, dass auch auf dem hiesigen Markt stärkere Player entstehen werden.

 

Abschließend eine Frage nach Ihren persönlichen Perspektiven im DFKI: Das DFKI hat mit Prof. Dr. Antonio Krüger gerade einen neuen Chef bekommen und auch Sie sind noch recht frisch in der Organisation: Wo liegen Ihre Forschungs- und Tätigkeitsschwerpunkte? Werden Sie, wird sich das EdTec-Lab am DFKI künftig noch stärker öffnen für den ganzen – auch unternehmerisch-kommerziellen – Anwendungsbereich, das heißt würden Sie auch entsprechende Beratung im Sinne von „Consulting“ als Aufgabe des DFKI verstehen?     

Das DFKI ist im Kern ein Forschungszentrum und keine Beratungsagentur. Aber natürlich sind für das DFKI (und auch für den Forschungsbereich EdTec) industrielle Kooperationen sehr wichtig und für den Forschungstransfer notwendig. Von diesen Kooperationen und gemeinsamen Projekten profitieren dann auch die Unternehmen im von Ihnen angedeuteten Sinn. Das EdTec-Lab wird sich einem breiten Spektrum an Themen widmen, die KI und Bildung miteinander verbinden – zum Beispiel KI als Bildungsinhalt, Bildungsteilhabe und Inklusion via KI oder auch KI-gestützte adaptive/personalisierbare Bildungslösungen für Unternehmen oder Hochschulen.


Lieber Herr Professor Pinkwart, wir danken herzlich für das Interview!