Dr. Nina Smidt, Vorständin und Sprecherin, Siemens Stiftung 

Während diesen Sommer die Hochwasserkatastrophe mit Sturzfluten in Deutschland, Belgien, den Niederlanden, Österreich und der Schweiz viele Todesopfer forderte, wüteten zeitgleich Großbrände in der Türkei, Südfrankreich und Griechenland. Noch größer ist das Ausmaß von Waldbränden in Russland, Nord- und Südamerika oder Australien. Lebensräume für Menschen und Tiere werden zerstört, hunderte Millionen Tonnen Kohlendioxid freigesetzt, brandbedingter Feinstaub führt zu Gesundheitsproblemen. Die  Kinderschutzorganisation Unicef hat im August erstmals einen Klima-Risiko-Index für Kinder erstellt; demnach ist fast jedes Kind weltweit von mindestens einer klima- und umweltbedingten Gefahr bedroht. Der Klimawandel ist für SchülerInnen also durchaus kein abstraktes Gebilde, sondern sie werden damit unmittelbar, vor ihrer Haustür konfrontiert.  

Ähnlich wie bei der COVID-19-Pandemie handelt es sich beim Klimawandel um ein Problem mit komplexen, globalen Interdependenzen. Sie erschweren nicht nur das Verstehen der Klimaproblematik, sondern auch die Lösungsfindung. So gestalten sich Klimaveränderungen beispielsweise regional unterschiedlich und Klimafolgen treten nicht nur dort auf, wo sie verursacht worden sind. Zwei weitere Aspekte verkomplizieren die Aufgabenstellung: Die Menschheit muss mit zukünftigen Klimaveränderungen planen, aber bereits in der Gegenwart handeln. Und wie schaffen wir es, das Klima zu schützen und gleichzeitig mit den Folgen des Klimawandels bereits heute umzugehen?  

Wie also kann eine Akzeptanz der Problematik in der Bevölkerung erzielt werden? An dieser Stelle kommt Schulen eine verantwortungsvolle Rolle zu. Als Transformatoren können sie durch Aufklärungsarbeit und Wissensvermittlung Veränderungen langfristig und nachhaltig über die Bildung jüngerer Generationen in die Gesellschaft hineintragen. Entsprechend wird Klimawandelbildung einen entscheidenden Beitrag zur Problemlösung liefern können. Klimawandelbildung wird vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung als einer der sechs „Kippmechanismen“ definiert, die den Klimawandel stoppen können. Doch wie muss gute Klimawandelbildung aussehen? Welche Inhalte sollte sie haben? Wie kann sie mit traditionellen Schulfächern verknüpft werden? Reichen bestehende Methoden aus, um sie zu unterrichten?  

Da die Klimaforschung ebenso wie die Klimawandelbildung eine relativ neue Wissenschaft ist, entschloss sich die Siemens Stiftung, dem Themencluster MINT und Klima innerhalb des Arbeitsgebietes Bildung einen wichtigen Stellenwert einzuräumen. Denn eine naturwissenschaftliche Grundausbildung, die den SchülerInnen in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) vermittelt wird, ermöglicht ihnen, den Klimawandel inhaltlich zu verstehen und birgt somit gleichzeitig die Grundlage zum Erarbeiten von Lösungsstrategien in sich.  

Dabei sind die Herausforderungen der Klimawandelbildung vielfältig. Einerseits ist das Thema Klimawandel für die SchülerInnen durchaus emotional belegt und entsprechend schwierig zu verarbeiten – Zukunftsängste, Sorge vor dem Verlust der Heimat, Ohnmacht und viele andere Gefühle können durch die Auseinandersetzung hervorgerufen werden. Andererseits fordert Klimawandelbildung dazu auf, neben den naturwissenschaftlichen Aspekten auch ethische, wirtschaftliche oder soziale Perspektiven einzubeziehen. Zielkonflikte können entstehen – wie kann zum Beispiel die Freiheit jeder und jedes Einzelnen mit der Verantwortung für den Planeten oder der Solidarität mit Menschen in anderen Erdteilen verbunden werden?  

Klimawandelbildung besteht zunächst einmal aus vier Teilbereichen. Grundlage bildet die „Climate Change Literacy“ – das Lehren und Lernen über den Klimawandel. Was passiert? Was können Menschen tun, um ihm vorzubeugen? Der Klimaschutz (Mitigation) – also beispielsweise die Vermeidung und Verminderung von CO² Emissionen sowie die Anpassung an die Folgen des Klimawandels (Adaption) – wie können lokale Gesellschaften darauf vorbereitet werden, mit den nicht umkehrbaren Folgen umzugehen? – sind weitere Elemente. In diesen Bereich fallen Bildungsaspekte wie Bewusstseinsbildung, Resilienzförderung oder auch die Erarbeitung von Kreativitätstechniken, die bislang im Bildungswesen eher wenig Aufmerksamkeit erhielten. Zur Klimawandelbildung gehört ebenso die Beschäftigung mit „Climate Action“. Wie werden wir aktiv, nachdem wir herausgefunden haben, wie das Klima stabilisiert werden kann? Dabei ist wichtig zu beachten, dass Klimawandelbildung ganzheitlich betrachtet werden muss; alle Teilbereiche sind zu integrieren, denn sie greifen ineinander, bedingen und unterstützen sich.  

Ob Klimawandelbildung im Unterricht gelehrt wird, sollte jedoch nicht im Ermessensspielraum einzelner Schulen liegen. Für eine erfolgreiche Bekämpfung des Klimawandels ist es essentiell, dass Klimawandelbildung in die nationalen Lehrpläne aufgenommen wird. Es wird allerdings nicht reichen, dort allein die Thematik festzuschreiben – Klimawandelbildung kann nur erfolgreich vermittelt werden, wenn gleichzeitig neue, problem- und lösungsorientierte Unterrichtsmethoden eingeführt werden, die den Menschen, die SchülerInnen in den Mittelpunkt stellen. Da Wissensvermittlung bei der Bewältigung des Klimawandels allein nicht genügt, müssen menschliche Qualitäten wie Neugierde, Schaffenskraft und Kreativität bei den Kindern und Jugendlichen geweckt und mit der Bearbeitung des Themas verbunden werden – so können Antworten auf Fragen gefunden werden, die jenseits des bisherigen Wissens liegen. 

Diese Anforderungen erfüllt die Methode des Design Thinking. Sie ist ein kreativer Ansatz zur schrittweisen Erarbeitung von Lösungen für komplexe Probleme. In Gruppenarbeit entwickeln SchülerInnen Ideen, bauen Prototypen, „begreifen“ die Problemstellung auf diese Weise. Sie testen die Wirkung der Prototypen, beginnen den Prozess erneut, um letztlich eine zufriedenstellende Lösung für die NutzerInnen zu finden, deren Bedürfnisse im Mittelpunkt stehen. Die Methode erzwingt, komplexe Probleme auf konkrete Kontexte zu beziehen, ist multiperspektivisch und bezieht sich somit genau auf die Herausforderungen des Klimawandels. Sie fördert Neugier, Kreativität, Engagement, Empathie und Innovationsfähigkeit und wird der Suche nach dem bislang noch unbekannten Wissen, der Suche nach neuen Lösungswegen zur Bewältigung der Klimaproblematik gerecht. 

Die Verantwortung für den Lernprozess mit dieser Methode wird vom Lehrenden an die SchülerInnen übertragen – nicht die LehrerInnen agieren, sondern die Jugendlichen. Die Rolle der Lehrkraft wandelt sich vom aktiven Unterrichtsgestalter zum Lernbegleiter, der lediglich einen Raum öffnet und hält, in dem die SchülerInnen selbständig arbeiten. Design Thinking stellt somit einen Denkanstoß dar, wie LehrerInnen die Schülerschaft befähigen können, eigenständig Lösungen zu finden und sich Kompetenzen wie Selbstwirksamkeit und Selbstverantwortung anzueignen.  

Dabei entstehen alle Bildungsprojekte der Siemens Stiftung in enger Zusammenarbeit mit internationalen und lokalen Partnerinnen und Partnern und sind langfristig angelegt. Denn Bildung dauert. Sie erfordert interdisziplinäre Kooperation, wissenschaftliche Begleitung und lokale Verwurzelung.  

Wir sind überzeugt davon, dass wir nur ko-konstruktiv die großen Krisen und Herausforderungen unserer Zeit meistern können. Nur so kann nachhaltige Entwicklung gelingen – für uns, für unsere Nächsten, für unsere Welt.