Warum es in einer sich wandelnden Welt so wichtig ist, Kreativität zu entfesseln

Jeden Tag werden wir Zeuge rasanter Veränderungen. Disruptive Technologien wie Automatisierung, künstliche Intelligenz, Robotik und Algorithmen gewinnen immer mehr Einfluss auf unser Leben. Sie werden die Arbeitswelt der Zukunft von Grund auf umgestalten. Unsere Generation steht zudem vor gewaltigen Herausforderungen: Die Auswirkungen von Klimawandel und Ressourcenknappheit erfordern sofortiges Handeln und flexible Anpassung. Als wäre das noch nicht genug – seit Anfang 2020 strapaziert die COVID-19-Pandemie gesellschaftliche Gefüge auf der ganzen Welt, ihre Gesundheitswesen, ihre Volkswirtschaften, ihre politischen wie ihre Bildungssysteme.

Der Blick auf diese Herausforderungen kann überwältigen, er kann Angst einflößen. Gerade deshalb möchte ich mich hier für eine positivere Sicht aussprechen: Gesellschaften und Individuen sind sehr wohl in der Lage, die Herausforderungen anzunehmen und zu bewältigen.

Aber wie?

Für viele Experten liegt die Antwort in der Kreativität. Die Entwicklung (neuer) kreativer Fähigkeiten kann und soll Menschen in die Lage versetzen, sich erfolgreich anzupassen und für sich selbst wie für ihr Umfeld eine nachhaltige Zukunft zu schaffen. Ich bin mir sicher, dass wir unser schöpferisches Denken zu diesem Zweck einsetzen können, als eine Gabe, die uns die Natur mitgegeben hat.

Jeder ist ein Genie

Beim Wort „Genie“ denken wir an berühmte Persönlichkeiten wie Leonardo da Vinci, Picasso oder Mozart. Auch modernere Zeitgenossen zeichnen sich durch besondere Kreativität aus: Elon Musk, Susan Wojcicki oder Sheryl Sandberg verdanken dieser Fähigkeit ihren Erfolg im Tech-Sektor.

Kreativität ist jedoch keinesfalls ein Ausnahmephänomen – sie ist in allen Facetten unseres Alltagslebens zu finden. Sie gibt uns die Möglichkeit, unserer Persönlichkeit Ausdruck zu verleihen und uns voller Energie und Inspiration weiterzuentwickeln. Dabei ist sie nicht nur auf Kunst, Kultur und Musik beschränkt. Wir Menschen können in vielen Bereichen kreativ sein, ob beim Schreiben oder Kochen, ja sogar beim Lösen von mathematischen Aufgaben. Schließlich werden wir kreativ geboren, es ist unsere ureigene menschliche Fähigkeit, neue Ideen hervorzubringen und Neues zu schaffen. Allerdings müssen selbst angeborene Fähigkeiten trainiert und verbessert werden.

Angesichts der Innovationen und Herausforderungen werden kreatives Denken und die Fähigkeit zur Problemlösung in unseren Gesellschaften gefragter sein denn je. Laut einer Studie des Weltwirtschaftsforums (WEF) zur Zukunft der Arbeit gehört Kreativität zu den Top-Skills, die Arbeitgeber bei Job-Kandidaten bis 2025 suchen.

Kreativität ist eine Zukunftskompetenz

Analytisches Denken und Innovation, das Lösen komplexer Probleme und aktives Lernen – diese Skills werden in Zukunft gefordert sein. Und: Sie werden die Fähigkeit zur Durchführung automatisierter, repetitiver Aufgaben zunehmend ersetzen. Personalverantwortliche entscheiden sich bereits jetzt für kreative Talente und Prozesse, mit dem Ziel, die Innovationskraft ihrer Teams zu stärken.

Dabei sollte durchaus hinterfragt werden, was den Trend zur Kreativität in der Geschäftswelt eigentlich antreibt. Geht es darum, mit Innovationen und technischen Lösungen an der Spitze zu stehen oder darum, die drängenden Probleme unserer Zeit zu lösen? Ich bin überzeugt, dass die Menschheitsaufgabe einer nachhaltigen gesellschaftlichen Entwicklung – und die damit verbundene Transformation – unsere Vorstellungskraft braucht, und dass wir unsere gemeinsame Lebenswelt damit für die Zukunft sichern können.

Das Ziel der Nachhaltigkeit bringt komplexe Probleme mit sich. Nachhaltigkeit erfordert eine unvoreingenommene Denkweise, Offenheit für neue Ideen und die Fähigkeit, Unklarheiten und Widersprüche – wie beispielsweise bei den Nachhaltigkeitszielen der UN – auszuhalten und aufzulösen. Die Ressourcen unseres Planeten sind begrenzt, genau deshalb brauchen wir dringend innovative Ideen, ja revolutionäre Konzepte.

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: To-Go-Becher oder Fast Fashion zu recyceln, batteriebetriebene E-Autos zu fahren und unsere Urlaubsflüge mit Baumspenden zu kompensieren – all das ist wichtig. Notwendig sind aber bisher undenkbare, radikal innovative Lösungen für Bereiche wie Gesundheitsversorgung und Klimaschutz, neue Technologien in der Agrarwirtschaft, neue Konzepte für Mobilität und Wohnen, den Abbau von sozialen Ungleichheiten, eine bessere Vereinbarkeit von Ökonomie und Ökologie. Kurzum: neue Wege des Zusammenlebens.

Und genau hier ist unsere Kreativität gefragt, unser Einfallsreichtum und visionäres Denken – damit der Wandel hin zu einer nachhaltigeren Gesellschaft, zu einer Welt gelingt, in der auch künftige Generationen gut leben können.

Kreativität als klares Lernziel

Obwohl unsere Schaffenskraft künftig so wichtig sein wird, ermutigen wir unsere Kinder nicht von klein auf zu kreativem Denken und Handeln. Ganz im Gegenteil: Unser Bildungswesen legt traditionell großen Wert auf Abschlüsse und akademische Errungenschaften, weniger auf kreative Herangehensweisen oder die Fähigkeit, Probleme neu zu definieren und zu lösen.

Warum sollten unsere Schulen nicht als physisches, soziales und pädagogisches Umfeld dienen, in dem unsere Kinder ihr kreatives Potenzial entfalten können? Lehrkräfte sollten über den Freiraum, die Instrumente, Methoden und das Selbstvertrauen verfügen, Kreativität bei ihren Schüler:innen zu fördern und als klares Lernziel vorzugeben.

Um dies zu erreichen, müssen kreative Prozesse in neuen Zusammenhängen gedacht werden. Was einst auf den Kunstunterricht beschränkt war, muss nun auch in den Naturwissenschaften relevant sein. Dabei versteht sich von selbst, dass Lesen, Schreiben, Rechnen und andere Kompetenzen wie digitale Skills auch weiterhin vermittelt werden. Eine solide und hochwertige Bildung ist Voraussetzung, um Zusammenhänge zu verstehen und informierte Entscheidungen treffen zu können. Zugleich muss jedoch klar sein, dass Kreativität eines der wertvollsten Assets ist, das wir fördern können.

Die Zukunft unserer Kinder hängt davon ab, ob sie etwas tun und leisten können, das nicht von Robotern ersetzbar ist. Wir müssen ihnen dabei helfen, eine neue Denkweise, einen neuen Möglichkeitsraum für eine sich verändernde Welt zu entwickeln, die neben dem individuellen und kollektiven Wohlergehen auch den Prinzipien der gesellschaftlichen und ökologischen Gerechtigkeit verpflichtet sind.

Wir sind zweifellos von zahlreichen Herausforderungen umgeben. Aber diese Herausforderungen können zu echten Chancen werden, wenn wir unseren Kindern und uns selbst den Zugang zu unserer wertvollsten erneuerbaren Ressource eröffnen: unserem einfallsreichen und kreativen Geist. Wo könnten Sie sich als kreatives Genie erweisen?