Die im Jahr 2006 verabschiedete UN-Behindertenrechtskonvention sieht die Inklusion von Menschen mit Handicap als Bürgerrecht und Gesellschaftsaufgabe. Im Bildungsbereich werden erhebliche Anstrengungen unternommen, um das gemeinsame Lernen von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderungen erfolgreich umzusetzen. Dies betrifft die Elementarpädagogik, maßgeblich aber besonders die Primarstufe und die Sekundarstufe I. Die Sekundarstufe II kämpft mit deutlichen Ressourcen- und Strukturproblemen in diesem Aufgabenfeld, steht aber vielerorts inklusiven Settings offen gegenüber.

Als völlig unzureichend ist derzeit das gemeinsame Lernen im Übergang von der Schule in die berufliche Bildung zu bezeichnen. Zwar bieten sich für junge Menschen mit Handicap verschiedene Programme der beruflichen Eingliederung an, die Tür zum ersten Arbeitsmarkt bleibt aber noch überwiegend fest verschlossen. Ob Unsicherheit, Ängste oder wirtschaftliche Aspekte eine Rolle spielen, sei dahingestellt: Es gibt derzeit noch viele Vorbehalte, die Unternehmen davon abhalten, junge Menschen mit Unterstützungsbedarf in eine duale Berufsausbildung aufzunehmen.

Gerade dieser Schritt ist jedoch wichtig, um eine langfristige Abhängigkeit von Sozialsystemen zu vermeiden und eine echte Chance auf Teilhabe an einem selbstbestimmten Leben in unserer Gesellschaft zu erzeugen.

Die Holzmanufaktur als Brückenbauerin

Eben dieser entscheidende Übergang zwischen Abschluss der Allgemeinbildenden Schule und dem Berufsausbildungsmarkt ist der Ausgangspunkt für die Arbeit der Holzmanufaktur Harsewinkel e.V. Der 2019 gegründete Ausbildungsbetrieb (HWK) bietet in seiner Werkstatt die Reha-Ausbildung zum Fachpraktiker für Holzverarbeitung an.

Die Holzmanufaktur fungiert hierbei nicht als Sozialträger, sondern als Brücke zwischen Schule, Sozialträger und Unternehmen aus Handwerk und Industrie. Sie arbeitet mit drei Vorstandsmitgliedern komplett auf ehrenamtlicher Basis. Zum Team gehört zudem eine Tischlermeisterin, die in der Holzmanufaktur die praktische Ausbildung durchführt. Hierzu ist die Holzmanufaktur bei der Handwerkskammer Ostwestfalen als Regiebetrieb zum Zwecke der Ausbildung eingetragen.

Die Werkstatt ist in drei Räumen der Städtischen Gesamtschule Harsewinkel untergebracht. Sie wurde gegründet für junge Menschen, die nach der Schule einerseits keinen Rechtsanspruch auf einen Arbeitsplatz in einer Werkstatt für behinderte Menschen haben, andererseits aber zu lernschwach für eine Stelle im ersten Arbeitsmarkt sind. Die regionalen Unternehmen signalisieren zwar stets die Bereitschaft zur Einstellung von Jugendlichen mit Handicap, trauen sich aber zum Teil nicht die Komplexität der Reha-Ausbildung zu. Hier greift die Holzmanufaktur ein: Die Absolvent:innen der Förderschulen/integrativen Schulen absolvieren das erste Jahr der praktischen Ausbildung in der Holzmanufaktur, erlernen den 8-Stunden-Tag und die Grundlagen der Holzbe- und -verarbeitung. Mit diesem Basiswissen wechseln sie im 2. Ausbildungsjahr in einen Anschlussbetrieb im ersten Arbeitsmarkt, schließen dort ihre Ausbildung ab und verbleiben danach im optimalen Fall in Festanstellug. Träger sind die Kolping- Bildungszentren Ostwestfalen-Lippe gGmbH.

Auf diese Weise kann die Holzmanufaktur bis zu fünf Auszubildende pro Jahr aufnehmen. Darüber hinaus bietet sie Möglichkeiten, Berufseinstiegsqualifizierungen oder Langzeitpraktika zu unterstützen. Junge Leute erhalten so die Möglichkeit, ihre Fähigkeiten trotz Handicap zeigen zu dürfen und Inklusion nach der Schule weiterleben zu können.

Handwerkliche Grundbildung beginnt bereits im Grundschulalter

Die Holzmanufaktur sieht sich außerdem als Brücke für den Weg von der Schule ins Handwerk:

In kostenlosen Möbelbau- und CNC-Kursen im ZDI-Labor der Werkstatt können darüber hinaus über 1000 Schüler:innen der Sekundarstufe I pro Jahr besondere Kenntnisse der Holztechnik erwerben und Begeisterung für technische Zusammenhänge entwickeln.

Vier Aspekte der Nachhaltigkeit

Wichtig ist es der Holzmanufaktur, nachhaltig zu arbeiten: ökologisch durch die Wiederverwertung von Wertstoffen. Auch wird vom obligatorischen „Baum-Euro“, um den als freiwillige Spende bei den Grundschulkindern gebeten wird, die Anpflanzung von Bäumen im städtischen Umfeld finanziert. Ökonomisch agieren wir durch den Eigenbau der Werkstatteinrichtung sowie der Verwendung von Restholz und Materialien von unseren Firmenpartnern. Sozial nachhaltig handeln wir mittels unseres durchgehenden Inklusionskonzepts von Klassenstufe 2 bis 10 zuzüglich der Reha-Ausbildung. Regional wirken wir durch Einbeziehung der Partnerbetriebe, Partnerschulen und kreisweiten Institutionen auf kurzen, öffentlichen Transportwegen.

So weit so gut, oder?

Auch wenn der Betrieb in der Holzmanufaktur derzeit für alle Beteiligten sehr zufriedenstellend läuft und auch die öffentliche Wahrnehmung überaus positiv gespiegelt wird (Nachhaltigkeitspreis der Ostwestfälischen Wirtschaft, AusbildungASS, Fit for Work), so sehen wir nach wie vor erhebliche Hürden beim Übergang vom ersten Reha-Ausbildungsjahr in die Nachfolgebetriebe. Noch immer scheinen wirtschaftliche Zwänge oder Unsicherheiten im Umgang mit Menschen mit Handicap schwer zu wiegen. Die Holzmanufaktur erarbeitet derzeit ein Konzept zum Einsatz digitaler Assistenz in der betrieblichen Berufsausbildung, die Auszubildende mithilfe von Lernvideos, individuellen Arbeitsplänen und Übungsaufgaben zu mehr Selbstständigkeit bei der Planung der eigenen Lernentwicklung unterstützt. Dieses Vorhaben bietet möglicherweise Potenzial, um auch in anderen Institutionen (Berufskolleg, überbetriebliche Ausbildung, Ausbildungsbetriebe) Ausbilder:innen und Auszubildende zu begleiten.

Gern treten wir in diesem Blog in Kommunikation mit interessierten Impulsgebern, um beispielsweise folgende Leitfragen zu diskutieren:

  • Wie vermitteln wir Inklusion in Gesellschaft bzw. Arbeitswelt?
  • Wie können wir Betriebe dabei unterstützen, integrative Ausbildungsplätze zu schaffen und perspektivisch in feste Arbeitsverhältnisse zu übertragen?
  • Welche staatlichen und privatwirtschaftlichen Institutionen sollten an den genannten Prozessen beteiligt werden?