Schule21 im Gespräch mit Jacob Chammon

Die Kultusministerkonferenz (KMK) hat im Dezember 2021 die „Ergänzende Empfehlung zur Strategie ‚Bildung in der digitalen Welt‘ “ herausgegeben. Damit hat sie ihre Perspektive verändert „vom Lehren und Lernen mit digitalen Medien und Werkzeugen hin zum Lernen und Lehren in einer sich stetig verändernden digitalen Realität“. Wir haben Jacob Chammon, geschäftsführender Vorstand des Forum Bildung Digitalisierung e.V., gefragt, wie er die ergänzenden Empfehlungen der KMK bewertet.

Welches sind für das Forum Bildung Digitalisierung die wichtigsten Aspekte in den ergänzenden Empfehlungen der KMK?

Zunächst einmal finde ich es sehr wichtig, dass die Ergänzung überhaupt gekommen ist und auf Länderebene formuliert wurde, dass wir in den Schulen nicht um die Kultur der Digitalität herumkommen. Ich spreche hier bewusst von einer Kultur der Digitalität, denn es geht nicht um die Ausstattung der Schulen mit ausreichend interaktiven Whiteboards und Tablets, sondern um die Neugestaltung von Lehr-Lernsettings, eine neue Lernkultur, eine veränderte Rolle der Pädagogen und allem weiteren, was damit verbunden ist.

Zum zweiten finde ich es wichtig, dass die KMK-Empfehlungen das Thema Digital Leadership ansprechen, denn Schulleitungen haben die Aufgabe, die mit der Kultur der Digitalität verbundenen Transformationprozesse einzuleiten und zu steuern. Das können sie nicht allein leisten. Hier brauchen sie Unterstützung, insbesondere von der Schulaufsicht und den Schulträgern.

Und der dritte Aspekt, der mich sehr freut, ist die Empfehlung der KMK, die Prüfungskultur zu verändern. Wenn wir über einen veränderten Unterricht reden, dann brauchen wir auch eine andere Aufgaben- und Prüfungskultur. Die Lehrkräfte müssen weg vom „We teach for the test“, die Schüler:innen weg vom „We learn for the test“. Das schaffen sie nur, wenn Prüfungsformate einen ganz anderen Rahmen bekommen als wir alle es aus unserer Schulzeit kennen, weg vom einfachen Wissen replizieren, hin zu mehr Kreativität, Kollaboration und Reflexion, die sich auch in Prüfungssituationen zeigen können.

 

Wenn wir auf den ersten von Ihnen genannten Aspekt, das nun vorliegende gemeinsame Zielbild der Länder, schauen. Wie schätzen Sie dieses Zielbild aus der Perspektive des Forum Bildung Digitalisierung ein?

Die Länder haben mit den ergänzenden Empfehlungen ihre Vision und ihr Zielbild formuliert. Im Moment ist das die Absichtserklärung der KMK: Da wollen wir hin. Diese Absichtserklärung muss nun gefüllt werden mit Maßnahmen und Strukturen und Unterstützungsangeboten, die dabei helfen, das Ziel zu erreichen. Hier sehe ich auch eine Aufgabe für das Forum Bildung Digitalisierung. Wir können Maßnahmen unterstützen, zum Beispiel durch Qualifizierungsangebote für Schulleitungen und Schulverwaltung oder offene Formate für die Bildungscommunity. Die Länder setzen aber die Prioritäten und müssen für sich einen Weg definieren, wie sie das gesetzte Zielbild erreichen wollen.

Ich finde es ausgesprochen spannend, dass die KMK in ihren Empfehlungen auch begründet, warum ihr eine Kultur der Digitalität so wichtig ist, dass alle zentralen Stichworte der letzten Jahre, wie produkt- und projektorientiertes Lernen, Kreativität, Feedback-Kultur, kritisches Denken sowie eine Verbindung von Lernorten, in der Absichtserklärung auftauchen. Alle, die sich mit der zukunftsorientierten Weiterentwicklung unseres Bildungssystems befassen, auch das Forum Bildung Digitalisierung, arbeiten schon lange mit diesen Begriffen, wenn wir über Unterrichts- und Schulentwicklung reden. Ich freue mich sehr, dass dieser Diskurs gefruchtet hat und von der KMK aufgegriffen wurde.

Auch die Empfehlung der KMK, dass wir eine Kultur der Digitalität bereits in den Grundschulen brauchen, freut mich sehr. Denn wenn es ein neues Zielbild für schulisches Lernen gibt, dann müssen wir natürlich vom ersten Schultag an daran arbeiten, dieses Zielbild auch zu erreichen. Ich möchte noch einmal unterstreichen, dass damit nicht gemeint ist, schon die Grundschüler:innen einfach vor ein Tablet zu setzen und sie Aufgaben lösen zu lassen, wie sie es sonst auf dem Papier gemacht hätten. Es geht in der Kultur der Digitalität um eine sinnvolle Verknüpfung des Erwerbs von fachlichen und überfachlichen Kompetenzen im Unterricht und um den Einsatz von digitalen Medien dort, wo sie diesen breiten Kompetenzerwerb sinnvoll unterstützen können.

Last but not least: Ich finde super, dass das KMK-Papier auch explizit das Potenzial der Kultur der Digitalität für die Inklusion aufgreift. Dadurch wird mehr Barrierefreiheit ermöglicht und in der Folge auch mehr gesellschaftliche Teilhabe.

 

Sie haben die Bedeutung des Digital Leadership betont. Was ist notwendig, damit der Transformationsprozess an Schulen erfolgreich gesteuert werden kann?

Leadership bedeutet Führung und die hat in der Schule die Schulleitung. Sie ist dafür verantwortlich, dass Unterricht an ihrer Schule weiterentwickelt wird, dass sie im Endeffekt das Zielbild der KMK erreicht. Und: Schulentwicklung ist Teamaufgabe. Die Schulleitung muss also ihr Kollegium bei der Transformation mitnehmen. Um diesen Prozess gut steuern zu können, brauchen die Schulleitungen Unterstützung. Sie benötigen regionale und überregionale Netzwerke mit anderen Schulen, um voneinander lernen zu können.

Vor allem brauchen Schulleitungen aber Unterstützung von der Schulaufsicht. Sie ist in Deutschland häufig noch zu wenig für die neuen Anforderungen qualifiziert, um den Transformationsprozess in Schulen gut begleiten zu können. Die Schulaufsicht muss in der Lage sein, den Schulen einen Rahmen oder sogar Empfehlungen zu geben, zum Beispiel bei neuen curricularen Schwerpunkten, dem Ausprobieren von neuen Lernformaten, für Aufgaben- und Prüfungsformate mit digitalen Anteilen oder schlichtweg auch bei der Auswahl von digitalen Tools.

Im Forum Bildung Digitalisierung haben wir aus unseren Qualifizierungsangeboten für Schulleitungen und Schulträger gelernt, dass es in Transformationsprozessen besonders auf die Haltung und den Mut der Verantwortlichen ankommt. Auch reicht es nicht, allein die Schulleitungen zu qualifizieren. Wir haben 2020 damit begonnen, auch Schulträger in unserem LabBD für die Transformationprozesse zu qualifizieren. Seit 2021 bieten wir gemeinsame Programme für Schulträger und Schulleitungen an. Jetzt, in 2022, werden wir auch Vertreter:innen der Schulaufsichten mit einladen, damit die drei Akteursgruppen gemeinsam eine Strategie für sich erarbeiten können, wie sie besser zusammenarbeiten und in der Folge Schüler:innen am meisten von gutem zeitgemäßen Unterricht profitieren können. Diese Form der Vernetzung und gemeinsamen Strategieentwicklung unterschiedlicher Strukturen des Bildungssystems halten wir für absolut notwendig für eine erfolgreiche Transformation.

 

Sie haben auch die Prüfungskultur als einen Ihnen wichtig erscheinenden Aspekt erwähnt. Warum schauen Sie da genau hin?

Kinder und Jugendliche verbringen unendlich viel ihrer Zeit im Unterricht, berechtigterweise bisher mit dem Fokus, die anschließenden Prüfungen zu bestehen. Das passt einfach nicht mehr in die Zeit und ist auch nicht das, was Schüler:innen motiviert. Die Gesellschaft braucht gut ausgebildete Schüler:innen, die zukünftigen Anforderungen, die wir ja vermutlich noch gar nicht alle kennen, gewachsen sind. Darauf muss Unterricht heute ausgerichtet sein. Und wenn er wirkungsvoll sein soll, müssen sich auch die Prüfungen verändern. Wie anfangs schon erwähnt, wir brauchen ein sinnvolles Miteinander von analogen und digitalen Methoden. Diesbezüglich muss auch die Fachdidaktik für Lehrkräfte erweitert werden. Es geht um eine Verzahnung von analog und digital, wo auch das Lesen eines Buches oder handwerkliche Fähigkeiten noch ihren Raum finden, um weniger Lernen in Fächern und mehr Lernen in Projekten. Und all das muss sich in neuen Prüfungsformaten abbilden, damit die Schüler:innen es annehmen können. Mit der Veränderung der Prüfungsformate können sie die Rolle der reinen „Wissenskonsumenten“ verlassen und zu aktiven „Produzenten“ von Projekt- oder Lernergebnissen werden. In Prüfungssituationen können sie dann reflektieren, welchen Weg sie bis zu ihrem „Lernprodukt“ gegangen sind und erlernen dadurch, die erworbenen Erfahrungen für andere Anforderungen zu nutzen. Ich finde es deshalb zentral, dass die KMK die Aufgaben- und Prüfungskultur weiterentwickeln möchte.

 

Abschließend: Was wünschen Sie sich als nächste Schritte auf dem Weg zur Umsetzung des KMK-Papiers in die Praxis?

Nach der Absichtserklärung und dem Aufspannen des Zielbildes in den ergänzenden Empfehlungen der KMK wissen die Schulen und alle anderen Strukturelemente im Bildungssystem, wo es für sie hingehen muss. Ich wünsche mir, dass alle Länder nun schnellstens für sich Meilensteine definieren, wie Schulen innerhalb der nächsten 5 Jahre, das in den ergänzenden Empfehlungen skizzierte Zielbild erreichen können. Wir als Forum Bildung Digitalisierung unterstützen alle Akteure weiterhin gerne auf dem Weg der Transformation des Bildungssystems.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

 

Link zu den KMK-Empfehlungen: 2021_12_09-Lehren-und-Lernen-Digi.pdf (kmk.org)
Und hier geht es zum Forum Bildung Digitalisierung: https://www.forumbd.de/