Die coronabedingten Herausforderungen an unser Schulsystem haben die Qualitäten vieler Schulen und ihrer Kollegien deutlich gemacht, aber auch die vorhandenen Schwächen aufgezeigt: unzureichende digitale Infrastruktur und sehr unterschiedlich ausgeprägte digitale Kompetenzen bei den Lehrkräften.

Auch einer breiten Öffentlichkeit ist dadurch bewusst geworden, wie wichtig und systemrelevant nicht nur Schulen und Lehrkräfte sind, sondern auch deren Professionalität: Wie sie darauf vorbereitet sind, mit neuen und schwierigen Situationen umzugehen, wie sie miteinander kooperieren, ob sie mit digitalen Medien einzeln und im Kollektiv souverän umgehen können. Aber auch, wie sie es schaffen, das Viertel der Schülerinnen und Schüler besser zu fördern, dass nach dem im Oktober veröffentlichten IQB-Bildungstrend 2021 nicht einmal die Minimalstandards erreicht – und dazu noch die 300.000 aus der Ukraine geflüchteten Schülerinnen und Schüler in unser Schulsystem zu integrieren. 

Damit gewinnt ein Thema an Bedeutung, das bisher in der Öffentlichkeit und der Bildungspolitik im Schatten stand: das Lernen der Lehrerinnen und Lehrer, genauer die organisierte und berufslange Qualifizierung der 800.000 Lehrkräfte. Sie ist bedeutsam für die Berufsbiographie, die Professions- und Schulentwicklung, letztlich auch für das Lernen der Schülerinnen und Schüler. 

Empirisch belegt ist, dass der Unterrichtserfolg – gemessen in Schülerleistungen – bei gut qualifizierten Lehrkräften drei- bis viermal so hoch ist wie bei schlechter qualifizierten und dass sich bei Fortbildungen in bestimmten Formen und Formaten relativ hohe Effekte nachweisen lassen (vgl. Steffens, Ulrich & Höfer, Dieter (2016), S. 68). Deshalb empfiehlt auch John Hattie dringend, stärker in die Primärprozesse zu investieren, d.h. in die Qualität des Unterrichts, des Lehrkräftehandelns und der Voraussetzungen dafür (vgl. Hattie, John (2013), S. 131ff).

 

Bestandsaufnahme der Lehrkräftefortbildung

Wie steht es nun um die dritte Phase der Lehrerbildung, die Lehrerfortbildung (LFB), die das kontinuierliche Weiterlernen im Beruf organisiert?

Im Rahmen eines von der Robert Bosch Stiftung geförderten Projekts des Deutschen Vereins zur Förderung der Lehrerinnen- und Lehrerfortbildung e. V. (DVLfB) wurden erstmals in Deutschland zentrale Felder der Lehrerfortbildung (LFB) einer intensiven Bestandsaufnahme unterzogen (vgl. Daschner, Peter & Hanisch, Rolf (Hrsg.) (2019)). Aufgefallen ist der Autorengruppe dabei durchgehend, wie schwierig es auf diesem Feld ist, zu gesicherten und vergleichbaren Informationen zu gelangen. Dabei müsste das föderale Bildungssystem eigentlich auf Transparenz, Vergleichbarkeit und Kooperation – nach dem Motto ‚voneinander lernen‘ – angelegt sein. Bildungspolitik dagegen agiert großenteils nach dem Black-Box-Prinzip, schottet sich ab oder lässt Ergebnisse in der Schublade. 

  

Die wichtigsten Befunde  

Die Auswertung aller einschlägigen Gesetze, Erlasse und Verwaltungsvorschriften der 16 Bundesländer, der Bildungs- und Geschäftsberichte, der parlamentarischen Anfragen, der Länderhaushalte und der Bildungsfinanzberichte sowie aller jüngeren wissenschaftlichen Studien, dazu der Austausch zwischen den Akteurinnen und Akteuren der LFB haben zu folgenden Ergebnissen geführt, die in der o.a. Publikation ausführlich belegt und erläutert werden:

  • Die Auftragslage ist klar, Transparenz dagegen fehlt.
    In den Schulgesetzen aller Bundesländer wird die Bedeutung der LFB hervorgehoben und ist die Verpflichtung dazu für alle Lehrkräfte verankert – aber quantifiziert ist sie nur in Bayern, Bremen und Hamburg. Es gibt allerdings keine regelmäßige, öffentliche und auf vereinbarten Kriterien beruhende Berichterstattung über Angebote, Nachfragen, Teilnehmende, Formate, Kosten und Effekte der LFB. Vergleiche sind daher nur schwer möglich. Eine „empirische Wende“ hat bisher im System der LFB nicht stattgefunden.
  • Es gibt keine systematische Erfassung des Fortbildungsbedarfs.
    Das hat zur Folge, dass einerseits viele Kurse ausfallen (in Baden-Württemberg 30 Prozent, wie eine Studie im Auftrag der GEW ergeben hat) und andererseits für stark nachgefragte Themen die Angebote häufig nicht ausreichen.
  • Die Qualität der Lehrkräftefortbildung steht nicht im Fokus der Bildungsadministration.
    Es fehlen für die LFB in Deutschland sowohl eine Inputsteuerung durch gemeinsame Qualitätsstandards wie auch eine Outputsteuerung durch Monitoring, Evaluation und Berichterstattung. Es gibt nur wenige Wirkungsanalysen mit Blick auf den Transfer in den Unterricht. Noch zu wenige Fortbildungsformate entsprechen den Kriterien nachhaltiger Qualifizierung mit einer Verbindung von Input-, Erprobungs- und Reflexionsphasen und der Zielgruppe Fach- bzw. Jahrgangsteam oder Kollegium. Nach wie vor dominieren kurze Einzelveranstaltungen, die sich an einzelne Lehrkräfte verschiedener Schulen richten.
  • Die Lehrkräftefortbildung in Deutschland ist unterfinanziert.
    Es gibt dabei große Dunkelfelder in der Berichterstattung und häufig fehlende bzw. nicht vergleichbare, z.T. auch falsche Angaben im jährlichen Bildungsfinanzbericht. Danach gibt es zwischen den Bundesländern große Unterschiede bei den Pro-Kopf-Ausgaben für LFB: von 123 bis 578 Euro in 2019, der Länderdurchschnitt beträgt 205 Euro. In anderen Ländern wird deutlich mehr pro Lehrkraftstelle investiert. Betriebliche Ausgaben für die Weiterqualifizierung vergleichbaren Personals betragen im Durchschnitt das Dreifache, ihr Anteil an den Personalkosten ist etwa fünfmal so hoch wie im Schulbereich.

 

Empfehlungen an Kultusministerien und KMK 

Auf Basis dieser Befundlage hat der DVLfB Handlungsempfehlungen formuliert, denen sich die großen Lehrerverbände angeschlossen haben (vgl. gemeinsame Presseerklärung von GEW, VBE und DVLfB): 

  • Herstellung von Transparenz und Vergleichbarkeit durch regelhafte Berichterstattung nach definierten Kriterien 
  • Aufnahme der LFB in die Gesamtstrategie der KMK zum Bildungsmonitoring  
  • Länderübergreifende Kooperation, z.B. bei der Entwicklung nachhaltiger Formate und aussagekräftiger Evaluationsverfahren  
  • Systematische Erfassung des Fortbildungsbedarfs durch gezielte Befragung der Lehrerschaft und Nutzung vorhandener Daten wie der schulischen Fortbildungspläne sowie der Ergebnisse von Schulinspektionen
  • Maßnahmen zur Qualitätsentwicklung 
    • gemeinsame Standards für die LFB 
    • Umsteuerung bei den Formaten: Entwicklung und verstärkter Einsatz wirksamer Angebote mit Input-, Erprobungs- und Reflexionsphasen
    • Professionalisierung des Fortbildungspersonals durch spezifische Qualifizierung 
    • definierte Zeitgefäße für die LFB zur Ermöglichung wirksamer Formate und zur Vermeidung von Unterrichtsausfall
  • Ressourcenabbau stoppen 
    • Angleichung an die Entwicklung der Ausgaben für das staatliche Schulwesen
    • Offenlegung der tatsächlich für die LFB eingesetzten Mittel 
    • Einigung auf Kostenkriterien 

 

Positive Signale 

In den letzten beiden Jahren lässt sich im Bereich der Lehrkräftefortbildung durchaus Bewegung erkennen – in Fachpublikationen, bei Fachtagungen von Lehrerverbänden und Stiftungen, in der Bildungsforschung sowie bei den Einrichtungen der LFB selbst und den sie beauftragenden Ministerien. Im geltenden Koalitionsprogramm von SPD, Grünen und FDP gibt es erstmals ein Kapitel „Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern“. Auch aus der KMK gibt es positive Signale: Im letzten Jahr haben sich die Kultusminister:innen erstmals mit dem Thema LFB befasst und „Ländergemeinsame Eckpunkte zur Fortbildung von Lehrkräften“ verabschiedet. Aus all dem muss nun bundesländerübergreifend eine Agenda zur Weiterentwicklung der LFB formuliert und schrittweise umgesetzt werden – selbstverständlich in der Verantwortung der zuständigen Landeseinrichtungen. Aber Kulturhoheit bedeutet ja nicht ein Kooperationsverbot!  

Der Stellenwert der Qualifizierung und Professionalisierung im Lehrkräfteberuf muss konsequent gestärkt werden – auch in Zeiten des Lehrkräftemangels. Wer an der beruflichen Qualifizierung der Lehrkräfte spart, missachtet den vielfach nachgewiesenen Grundsatz: „Teacher matters“ – auf die Lehrerin, auf den Lehrer kommt es an. 

 


Literaturhinweise:

Daschner, Peter & Hanisch, Rolf (Hrsg.) (2019): Lehrkräftefortbildung in Deutschland. Bestandsaufnahme und Orientierung. Weinheim, Basel: Beltz Juventa 

GEW, VBE und DVLfB (2018): Höhere Investitionen in die Fortbildung von Lehrkräften überfällig. Gemeinsame Presseerklärung. Download: https://www.vbe.de/presse/pressedienste-2018/gew-und-vbe-hoehere-investitionen-in-die-fortbildung-von-lehrkraeften-ueberfaellig/ (10.12.2020) 

Hattie, John (2013): Lernen sichtbar machen. Hohengehren: Baltmannsweiler 

Steffens, Ulrich & Höfer, Dieter (2016): Lernen nach Hattie. Wie gelingt guter Unterricht? Weinheim und Basel: Beltz