Eine veränderte, kindorientierte Lernkultur erfordert eine neue Kultur der Leistungsbewertung und Leistungsrückmeldung. Das Bundesland Bremen hat sich auf den Weg gemacht, die Notengebung an Bremer Grundschulen flächendeckend abzuschaffen und im Jahr 2013/2014 die kompetenzorientierte Leistungsrückmeldung (KompoLei) eingeführt. Was steckt hinter KompoLei und welche Ziele werden damit verfolgt?  

KompoLei umfasst fünf zentrale Elemente der Leistungsbewertung und -rückmeldung und verfolgt das Ziel, Kompetenzentwicklung von Grundschulkindern transparenter zu machen und mehr Sicherheit für Schülerinnen und Schüler, Eltern und Lehrkräfte zu schaffen. KompoLei fördert die Mitspracherechte der Grundschulkinder in der Leistungsbewertung und ermöglicht den Kindern, ihre Leistung selbst mit zu bewerten. Im Vordergrund steht die wertschätzende Haltung gegenüber den Potenzialen der Kinder und der pädagogische Anspruch, Lernfreude und Motivation der Kinder zu stärken. In einer inklusiven Schule hat die traditionelle Leistungsrückmeldung, die Kinder aussondert und nach Leistung selektiert, keine Berechtigung.  

Bevor im Folgenden genauer beschrieben wird, wie sich der Blick auf Leistungsbewertung in Schule durch KompoLei verändern kann, sollen die fünf Elemente der Leistungsrückmeldung mit KompoLei genauer beschrieben werden. 

 

Die fünf Elemente von KompoLei 

KompoLei setzt sich aus fünf unterschiedlichen Elementen zusammen: Portfolio, Entwicklungsübersichten, Leistungsnachweise, Lerngespräche und dem Lernentwicklungsbericht (vgl. Abb. 1). 

Abb. 1. KompoLei und die fünf zentralen Elemente

 

Portfolio: Im Portfolio sammelt jedes Kind wichtige Arbeitsergebnisse, dokumentiert Fortschritte und macht individuelle Interessen deutlich. Jedes Kind führt über die gesamte Grundschulzeit sein Portfolio und sammelt dafür entsprechende außerschulische und schulische Dokumente, wie Urkunden, Zeitungsartikel oder Texte in der eigenen Muttersprache.  

Entwicklungsübersichten (EÜs): EÜs zeigen auf, welche Kompetenzen ein Kind in den Fächern Deutsch und Mathematik vom Beginn der Klasse 1 bis zum Ende der Klasse 4 theoretisch erreichen kann und welche Kompetenzen es bereits erreicht hat. Dabei werden zehn aufeinander aufbauende Fähigkeitsstufen definiert (https://www.lis.bremen.de/sixcms/media.php/13/rz-broschuere-mathe.pdf). Die Stufen beschreiben, was in den Bremer Bildungsplänen und den KMK-Standards festgehalten ist. Zwei- bis dreimal im Schuljahr dokumentiert die Lehrkraft zu selbstgewählten Zeitpunkten den individuellen „Ist-Stand“ der erworbenen Kompetenzen jedes Kindes in der EÜ im Fach Deutsch bzw. Mathematik. EÜs können auch Förderziele hervorheben. Insbesondere wenn ein Team von unterschiedlichen Fachkräften ein Kind gemeinsam begleitet, können die EÜs für Transparenz sorgen und Hilfestellung bieten.  

Leistungsnachweise: Leistungsnachweise, die im Portfolio abgeheftet werde, wählt das Kind gemeinsam mit der Lehrkraft aus. Ein Leistungsnachweis ist ein geeignetes schulisches Dokument, das die Lehrkraft mit dem Kind reflektiert. Die Auswahl der Leistungsnachweise folgt dem Motto: „Rede mit! Wähle aus − Zeige, was du kannst!“. Ausgewählte Arbeiten können beispielsweise schriftliche Überprüfungen, Zeichnungen, schriftliche oder vorgetragene Texte, erstellte Produkte und digitale Medien sein. Leistungsnachweise entstehen nach wie vor auch durch klassische Überprüfungen. Eine Lehrkraft wählt Aufgaben aus und lässt diese von den Kindern zeitgleich oder zu unterschiedlichen Zeitpunkten bearbeiten, um ein Dokument zu erhalten, in dem deutlich wird, was das Kind gelernt hat. 

Lerngespräch (LEG): Das Lerngespräch zwischen Kind und Lehrkraft ist fest terminiert und hat zum Ziel, die bisherige Arbeit des Kindes zu würdigen, zukünftige Ziele zu konkretisieren und dies in Form einer Vereinbarung schriftlich festzuhalten. Das Portfolio stellt die Gesprächsgrundlage dar. Die Vereinbarungen werden im Portfolio abgeheftet. Im Lerngespräch mit den Eltern helfen die Entwicklungsübersichten Aussagen dazu zu treffen, welche Kompetenzen das Kind am Schuljahresanfang hatte, wie es sich bis zum Zeitpunkt des Gesprächs weiterentwickelt hat, welche Mindeststandards die Lehrkraft in den Blick nimmt, ob das Kind diese erreicht oder nicht erreicht hat oder ob das Kind an Inhalten arbeitet, die über das Jahrgangsziel hinausgehen (vgl. Gruben 2016).  

Lernentwicklungsbericht (LEB): Der LEB bzw. das Zeugnis ist zum Ende eines jeden Schuljahres und zum Ende des ersten Halbjahres des 4. Jahrgangs zu erstellen. Die Markierung in den EÜs sind ausschlaggebend für den LEB. Die Lehrkraft überträgt die höchste markierte Fähigkeitsstufe der EÜ des Kindes in den LEB. Die Lehrperson setzt dafür ein Kreuz in das entsprechende Kästchen im digitalen Zeugnisformular. Pro Kompetenzbereich ist ein Kreuz im LEB zu setzen. 

 

Wie KompoLei hilft, den Blick auf schulische Leistung zu verändern 

KompoLei setzt einen besonderen Fokus auf stärker selbstgesteuertes Lernen bei Kindern. Vor allem die Elemente Portfolio, Lernnachweise und Lerngespräche können bewirken, dass sich das Kind als aktiver Gestalter des Lernens und kompetenter Gesprächspartner bei der Leistungsrückmeldung wahrnimmt. Lernende erfahren durch die Arbeit mit dem Portfolio und durch die Lerngespräche, was sie bereits können und was ihre nächsten Ziele und Schritte sind. Jedes Kind kann zunehmend auf das Gelungene blicken und zielgerichtet geeignete Aufgaben und Materialien für sich auswählen. 

Das Kind kann mit Hilfe eines Referenzrahmens, wie beispielsweise einer Lernlandkarte (Gruben, 2013) oder einer Checkliste, die eigenen Leistungen in Bezug zu den erwarteten Anforderungen setzen (Leitfaden zum Bremer Grundschulportfolio, 2015). Das Kind lernt dadurch zunehmend über das eigene Lernen zu sprechen. Die Eltern blicken im Lerngespräch, geleitet durch das Portfolio, mehr als zuvor auf die Dinge, die dem Kind gut gelungen sind und erleben, wie die Lehrkraft das Portfolio wertschätzt.   

KompoLei bietet auch wichtige Ausgangspunkte für die Unterrichtsvorbereitung: „Die EÜs sind für mich der rote Faden der Unterrichtsplanung! Ich habe alle Standards von Anfang an im Blick!“ Diese Aussage einer Lehrkraft zeigt, dass die Darstellung der Kompetenzbereiche in den EÜs für sie eine Entlastung und eine Fokussierung aller Aktivitäten im Fachunterricht ermöglicht. Das Markieren der Entwicklungsübersichten kann im Unterricht stattfinden.  

 

KompoLei bietet mehr Verlässlichkeit und Transparenz – ist aber kein Selbstläufer 

Lehrkräfte können sich seit der Einführung von KompoLei darauf verlassen, dass der LEB und die EÜs in allen Bremer Grundschulen verwendet werden. Der Austausch über die Leistungsrückmeldung, über Standards und über erwartete Kompetenzen kann über Klassen- und Schulgrenzen hinweg leichter gelingen. Kinder, die innerhalb von Bremen die Grundschule wechseln, werden auf das bekannte Instrument stoßen. Das Kind kann das Portfolio mit den Lernnachweisen und Vereinbarungen mitnehmen. Die neuen Lernbegleiter:innen können das Portfolio und die EÜs direkt nutzen, weil sie die Form und die Systematik kennen.    

Im Jahr 2015 wurde KompoLei an allen Bremer Grundschulen eingeführt. Seit dem Zeitpunkt waren alle Bremer Grundschulen verpflichtet, den neuen LEB auszuteilen. Allerdings stieß die Verpflichtung die LEBs zu nutzen zum Teil auf Widerstand. Schulen mit selbstentwickelten Instrumenten zur Leistungsrückmeldung mussten sich von ihrer gewohnten Praxis verabschieden, denn selbstentwickelte bewährte Kompetenzraster oder LEBs in Form eines Briefes an das Kind waren seit der Einführung von KompoLei nicht mehr erlaubt. Zudem erschien die Nutzung der EÜs vielen Lehrkräften ein wenig wirkungsvoller Zeitfresser zu sein. Die Vielzahl der Items in den EÜs schienen zu differenziert zu sein. Bei der Festlegung auf 10 Kompetenzstufen kamen und kommen bis heute viele Fragen auf, wie z. B.: Sind alle Items einer Stufe gleich wichtig? Was bedeutet ein bestimmtes Item genau? Was passiert, wenn ein Item der Stufe 5 vor einem Item der Stufe 4 erreicht wird? (siehe FAQ, 2017). Die Lehrkräfte sind bis heute gefordert, Eltern, Erziehungsberechtigten, neuen Kolleg:innen, sowie den Kindern die 10-stufige Skala zu erklären. Das nimmt viel Zeit in Anspruch. Es wird kritisiert, dass EÜs bislang nur für die Fächer Deutsch und Mathematik vorliegen, was den Eindruck erwecken könnte, dass andere Fächer eher unwichtig seien. Fachkräfte, die Kinder aus dem Förderbereich Wahrnehmung und Entwicklung begleiten, berichten ebenfalls von Schwierigkeiten, denn diese Kinder erleben seltener, dass sie eine nächste Kompetenzstufe erreichen. Ihre Entwicklung lässt sich besser durch individuelle Texte darstellen. Diese Alternative ist erlaubt und erwünscht. 

Das Unterstützungsangebot zu KompoLei durch das Landesinstitut für Schule wird nur im geringen Maße angefragt. Angebote zu Einordnung der Items, zur Gewichtung der Bausteine und Angebote zur Durchführung von Elternabenden werden kaum genutzt. 

Insbesondere Angebote, die die Lernfreude und Vielfalt der Kinder in den Blick nehmen, wie z. B. schulinterne Fortbildungen zur Implementierung der Portfolioarbeit, zur Erstellung von Leistungsnachweisen, die nicht auf die Defizite, sondern auf die Potenziale der Kinder blicken, für eine Umsetzung von Kindersprechtagen werden kaum angefragt. Bisweilen wird in der Schulpraxis sichtbar, dass die Elemente Portfolioarbeit, Lernnachweise und Lerngespräche in den Hintergrund gerückt sind. Andere Themen drängen in den Vordergrund. Es zeichnet sich ab: Ohne die Umsetzung der Portfolioarbeit mit individuellen Lernnachweisen und der verbindlichen Lerngespräche mit dem Kind bleibt die angestrebte positive Wirkung von KompoLei aus. Die Steigerung von Motivation und Lernfreude durch mehr Selbststeuerung und Mitspracherecht erfordern die Umsetzung aller 5 Elemente von KompoLei.  

 


Zum Literaturverzeichnis.