Der Schulabschluss ist für junge Menschen ein wichtiger, wenn nicht DER Meilenstein auf dem Weg ins Berufsleben. Und er ist ein Meilenstein, den jedes Jahr zehntausende Schüler:innen nicht erreichen. Sie verlassen die Schule nach der Pflichtschulzeit ohne einen Ersten Abschluss. Das Fehlen des Schulabschlusses bedeutet für diese jungen Menschen gleichzeitig eine unsichere berufliche Zukunft. Selbst für Absolvent:innen mit Hauptschulabschluss wird es immer schwieriger, einen Ausbildungsplatz zu finden. Das zeigt auch der „Monitor Ausbildungschancen 2023“. So verbleiben viele der jungen Menschen, die keinen Schulabschluss haben, ohne Ausbildung. Die logische Konsequenz aus diesen Befunden lässt sich im Berufsbildungsbericht 2022 nachlesen: Die Arbeitslosenquote ist bei Personen ohne Berufsausbildung fast sechsmal so hoch wie die entsprechende Quote von Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung. Deutlich wird darüber hinaus aber auch, dass es eine Schieflage in der Debatte in Deutschland gibt: Während wir auf der einen Seite über einen massiven Fachkräftemangel und wachsende Herausforderungen bei der Besetzung von Ausbildungsplätzen diskutieren – entlassen wir auf der anderen Seite jährlich viel zu viele Schüler:innen nach ihrer Schulzeit in eine Perspektivlosigkeit.   

Erschwerend hinzu kommt, dass sich die Quote der Jugendlichen ohne Hauptschulabschluss deutschlandweit in den letzten zehn Jahren nicht verringert hat – das zeigt die aktuelle bildungsstatistische Analyse von Bildungsforscher Klaus Klemm. Den Statistiken zu Folge haben im Jahr 2021 deutschlandweit rund 47.500 Schüler:innen die Schule ohne Hauptschulabschluss verlassen, obwohl sie die Schulpflicht von neun bzw. zehn Jahren erfüllt haben. Das entspricht einem Anteil von 6,2 Prozent an der Altersgruppe. Schon im Jahr 2011 lag dieser Anteil bei 6,1 Prozent. Dabei muss – wie in eigentlich allen bildungsbezogenen Fragen – genauer hingeschaut werden: Hinter diesem Durchschnittswert verbergen sich sehr unterschiedliche Quoten in den einzelnen Bundesländern. So verließen in Bayern im Jahr 2021 5,1 Prozent aller Schüler:innen die Schule ohne Abschluss, in Bremen waren es mit 10 Prozent fast doppelt so viele. Wie unüberschaubar die Situation in den Bundesländern ist, zeigt der Blick in die Zeitreihe: In einigen Ländern ist die Quote der jungen Erwachsenen ohne Schulabschluss im Vergleich zu 2011 gestiegen (Bremen +2 Prozentpunkte, Rheinland-Pfalz +1,6, Saarland +1,8), in anderen gesunken (Berlin -3,0 Prozentpunkte, Brandenburg -2,1, Sachsen-Anhalt -2,5, Mecklenburg-Vorpommern -5,2). Während also einzelne Bundesländer Erfolge verzeichnen konnten und in der Lage waren, den Anteil der Jugendlichen ohne Hauptschulabschluss über die vergangenen Jahre zu senken, ist dies in anderen Bundesländern nicht der Fall. Besonders interessant: Klemm betrachtet in seiner Analyse zusätzlich die Leistungen der Neuntklässler:innen im Rahmen des bundesweiten IQB-Bildungstrends und vergleicht diese mit dem Anteil der Jugendlichen ohne Schulabschluss. Dabei zeigt sich, dass die Quoten der Schüler:innen ohne Hauptschulabschluss und die Quoten derer, die die Mindeststandards in den IQB-Tests für Mathematik bzw. Lesen verfehlten, in den Bundesländern nicht systematisch zusammenhängen. Ob der Hauptschulabschluss als Indikator, etwa für die Ausbildungsreife, taugt, muss daher bezweifelt werden.  

Was also tun, um Jugendlichen bessere Zukunftschancen zu ermöglichen? Sicher ist, dass es den einen Lösungsansatz nicht gibt. Vielmehr muss es bei der Verringerung des Anteils von Schüler:innen ohne Abschluss und der Verbesserung von Anschlussperspektiven um ein Bündel an Maßnahmen auf verschiedenen Ebenen gehen. So ist auf Ebene der Schulen eine konsequente Diagnostik und individuelle Förderung in Schule vor allem mit Blick auf die leistungsschwachen Schüler:innen unverzichtbar. Dennoch fehlt es vielerorts an einer systematischen, formativen Lern- und Leistungsdiagnostik. Dies erschwert es, ein Unterstützungssystem im Unterricht und am Lernort Schule insbesondere für diejenigen Jugendlichen zu etablieren, die davon bedroht sind, die Schule ohne Abschluss verlassen zu müssen. Es fehlt aber auch an einem breiteren Kompetenzverständnis, das auf Ebene der Prüfungen und Zertifikate sichtbar wird. So erwerben alle Jugendlichen – auch diejenigen, die keinen Schulabschluss erreichen – im Laufe ihrer Pflichtschulzeit eine Vielzahl an fachlichen und überfachlichen (Teil-)Fähigkeiten. Diese bieten wichtige Anknüpfungspunkte für die berufliche Zukunft junger Menschen. Bislang werden sie allerdings im Rahmen von Prüfungen und Zertifikaten kaum in den Blick genommen. Perspektivisch muss es darum gehen, jenseits formaler Abschlüsse auch fachliche und überfachliche (Teil-)Kompetenzen zu dokumentieren, die aktuell überhaupt nicht sichtbar sind – für die Jugendlichen selbst und als Brücke zum Ausbildungsmarkt. 

Dazu ein kleiner Exkurs: Unter den, in den bundesweiten Statistiken als „Schülerinnen und Schüler ohne allgemeinen Schulabschluss“ bezeichneten Jugendlichen sind sowohl Schülerinnen und Schüler, die aus verschiedenen Gründen die Abschlussprüfungen nicht bestehen als auch Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Den Analysen von Klaus Klemm zu Folge kam 2020 jeder zweite Jugendliche ohne Abschluss aus einer Förderschule.  Je nach Bundesland erhalten diejenigen Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf, die in zieldifferenten Bildungsgängen (z. B. „Lernen“ oder „geistige Entwicklung“) lernen und keinen Hauptschulabschluss erwerben, am Ende ihrer Schulzeit eine Art Abschlussformular. Mit diesem „Förderschulabschluss“ können sich Jugendliche oft ebenso auf Ausbildungen und weiterführende Schulen bewerben wie Schüler von anderen Schulen auch. Allerdings hängt das vom Bundesland und dem Förderstatus ab. Hier hat der Verband der Sonderpädagogen eine klare Position, in der es um eine einheitliche Regelung und Anerkennung von Kompetenzen geht. Zudem ist insbesondere die Datenlage über die Zugangs- und Anschlusswege von Jugendlichen mit Behinderungen nach der allgemeinbildenden Schule sehr lückenhaft, dabei wären diese Daten wichtig für eine gezielte Verbesserung der Anschlüsse zwischen inklusiver Schule und einer inklusiven Berufsbildung. 

Für junge Menschen ohne eine konkrete berufliche Anschlussperspektive ist der Übergang zwischen Schule und Beruf besonders wichtig. Allerdings gelingen Berufsberatung und systematische aktive Kontaktaufnahme während und nach der Schulzeit noch nicht reibungslos. Auch hier ein kurzer Exkurs: In Deutschland liegt die Zuständigkeit für die Berufsberatung am Übergang von Schule in den Beruf in den Händen der Bundesagentur für Arbeit (kurz: BA). Der § 31a SGB III regelt die Weitergabe von Schülerdaten vom Land bzw. von den Schulen zur BA und zurück. Eine technisch sichere sowie datenschutzkonforme Möglichkeit zum Austausch der Schülerdaten nach § 31a SGB III wurde 2020 mit der Übertragungslösung Schülerdatennorm (SDN) geschaffen. Mehr noch: Der § 31a SGB III „beauftragt die BA zur aktiven Kontaktaufnahme mit den jungen Menschen, denen eine konkrete berufliche Anschlussperspektive bei Beendigung der Schule (oder einer vergleichbaren Ersatzmaßnahme) fehlt. Die BA erhebt die Daten, sofern die Länder die landesrechtlichen Voraussetzungen geschaffen haben, der BA diese Daten zu übermitteln. Zusätzlich zu den freiwilligen Angeboten der Berufsberatung gemäß § 29 SGB III sollen mit der Informationsverpflichtung nach § 31a SGB III auch die jungen Menschen erreicht werden, die diese Angebote der Berufsberatung bislang nicht in Anspruch genommen haben. Nimmt der junge Mensch nach einer Kontaktaufnahme das Angebot der Agentur für Arbeit nicht in Anspruch, sind die Sozialdaten – sofern die entsprechenden landesrechtlichen Regelungen vorliegen – gemäß Abs. 2 an die nach Landesrecht bestimmten Stellen zu übermitteln.“ (Weisung 202212005 vom 06.12.2022 – Datenübermittlung im Rahmen des § 31a SGB III (arbeitsagentur.de), Stand 01.03.2023).  

Die Umsetzung des § 31a SGB III würde also eine wichtige Lücke am Übergang von der Schule in den Beruf schließen – denn die Jobcenter werden in die Lage versetzt, die Jugendlichen ohne Anschlussperspektive leichter zu erreichen und gezielt beim Übergang in eine Berufsausbildung zu unterstützen. Bislang tauschen allerdings nur die Stadtstaaten Hamburg und Bremen entsprechende Daten vollumfänglich mit den Jobcentern aus, in den übrigen Bundesländern sind die landesrechtlichen Rahmenbedingungen nur in Teilen oder noch nicht geschaffen. Und schließlich ist auch die von der Bundesregierung im Koalitionsvertrag festgeschriebene Ausbildungsgarantie ein wichtiger Hebel, damit Jugendliche ohne Abschluss eine Perspektive für ihre berufliche Zukunft erhalten. Voraussetzung ist dabei natürlich, dass die Pläne der Bundesregierung zur Ausbildungsgarantie auch so ausgestaltet werden, dass die Ausbildungsgarantie allen Jugendlichen eine echte Chance auf einen solchen überbetrieblichen Einstieg in eine Ausbildung eröffnet. Dies wäre sichergestellt, wenn allen Jugendlichen, die keine Lehrstelle gefunden haben – auch jenen ohne ersten Schulabschluss – eine überbetriebliche Ausbildung angeboten würde. Damit verknüpft sein sollte dann eine sichere Perspektive, beispielsweise das Angebot, dass sie nach einem Jahr in eine reguläre Ausbildungsstelle in der Wirtschaft wechseln oder dass sie am Ende der überbetrieblichen Ausbildung einen vollwertigen Abschluss erhalten (https://ausbildungsgarantie.de/).  

Die Studie „Jugendliche ohne Hauptschulabschluss. Demographische Verknappung und qualifikatorische Vergeudung“ von Prof. Dr. Klaus Klemm steht zum Download auf den Seiten der Bertelsmann Stiftung bereit.