UWE steht für „Umwelt, Wohlbefinden und Entwicklung“. Das Projekt will jungen Menschen eine Stimme geben und handlungsrelevantes Wissen für die kommunale Verantwortungsgemeinschaft liefern: für Kommunen, Sozialräume, Schulen. Der Verein Familiengerechte Kommune übernimmt seit 2022 die Durchführung von UWE in Städten und Schulen. UWE ist eine Adaption des kanadischen „Middle Years Development Index“ der Universität British Columbia. In einer vom Forschungsinstitut für gesellschaftliche Weiterentwicklung (FGW) geförderten Pilotstudie des Zentrums für interdisziplinäre Regionalforschung an der Ruhr-Universität Bochum (ZEFIR) und der Stadt Herne wurde er für den deutschen Kontext adaptiert und erprobt. Die Bertelsmann Stiftung unterstützte das Vorhaben von 10/2018 bis 03/2021.

Schule21 hat fünf Fragen zum Beteiligungsprozess UWE „Umwelt, Wohlbefinden und Entwicklung“ an Isabel Schwandt vom Verein Familiengerechte Kommune und Dr. Regina von Görtz von der Bertelsmann Stiftung gestellt.

 

UWE steht für „Umwelt, Wohlbefinden und Entwicklung von Kindern und Jugendlichen“. Was ist UWE und welche Ziele verfolgt das Projekt?

Isabel Schwandt:

UWE ist ein Beteiligungsprozess, der das Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen in der Schule und im Stadtgebiet verbessern will. Durch die Befragung aller Schüler:innen der vierten, siebten und neunten Klasse einer Stadt sollen Ressourcen, wie z. B. Beziehungen zu Erwachsenen oder guter Schlaf, identifiziert werden, die es zu stärken gilt. Um das Wohlbefinden und die Ressourcen messen zu können, umfasst die UWE-Befragung fünf thematische Dimensionen (siehe Abbildung 1). UWE ist ein stadtweiter Prozess, zu dem sich Schulen und Stadt gemeinsam entscheiden. Eltern, Schulen und kommunale Akteure werden dabei zusammengebracht, um gemeinsam Ideen zu entwickeln und Maßnahmen umzusetzen, die das Wohlbefinden und die Ressourcen von Kindern und Jugendlichen verbessern. Der Fokus liegt auf der Schul- und Stadtentwicklung, um konkrete Handlungsziele zu erreichen. Durch UWE lernen Kinder und Jugendliche, dass ihre Meinung zählt und dass sie ihr Umfeld mitgestalten können. Alle Beteiligten entwickeln gemeinsam Ideen und können Kooperationen aufbauen. Das fördert gelebte Demokratie und ein aktives Miteinander in der Stadt.

Regina von Görtz:

Für uns als Stiftung war einer der Hauptgründe, das Projekt UWE zu unterstützen, die Möglichkeit, Kinder und Jugendliche selbst in den Mittelpunkt zu stellen. UWE lädt dazu ein, Schule und kommunale Angebote vom Kind aus zu denken. Wir wollen, dass es allen Kindern und Jugendlichen gut geht, dass sie sich wohl fühlen, dass alle die Möglichkeit haben, sich bestmöglich zu entwickeln, zu lernen und dass ihnen alle Chancen offenstehen. UWE kann ein Einstieg sein, Kinder und Jugendliche stärker zu beteiligen und ihnen auf Augenhöhe zu begegnen. Die Beteiligung junger Menschen an und in ihren Lebenswelten ist uns als Stiftung ein besonderes Anliegen.

 

Was kommt auf die Schulen zu, die sich am Projekt UWE beteiligen?

Isabel Schwandt:

UWE wird mit einem kompletten Jahrgang einer Stadt durchgeführt, die Befragung erfolgt im Klassenverbund. Daher ist die Mitarbeit der Schulen für das Gelingen des Beteiligungsprozesses zentral. Selbstverständlich ist UWE zunächst mit zusätzlicher Arbeit verbunden, trotzdem ist es gerade in Zeiten multipler Krisen wichtig, ein solches Projekt auf den Weg zu bringen. Dabei liegt die Verantwortung nicht allein bei einer Schule, sondern bei allen Schulen und der Stadt gemeinsam.

Die Schulteams werden über einen Online-Workshop auf die Befragung vorbereitet. Die Befragung selbst ist anonym und wird von den Kindern und Jugendlichen über Tablets ausgefüllt. Hier unterstützt die Stadt die Schulen bei der Bereitstellung von Tablets und WLAN. Einige Wochen nach der Befragung erhalten die Schulen jeweils einen Ergebnisbericht, der anschließend in einem Schulworkshop besprochen wird. Im Rahmen des Schulworkshops werden Akteure, die zur Gestaltung der Umwelt der Kinder beitragen, eingeladen und unter Moderation des Vereins werden gemeinsam Maßnahmen für Schule, Eltern und Stadt entwickelt. Dann erhält die Stadt einen Bericht mit den Ergebnissen aller befragten Kinder und Jugendlichen in der Stadt. Über diesen Bericht werden die Anregungen der Schulen an die Stadt weitergegeben. Einen Schwerpunkt im Bericht stellt selbstverständlich die Betrachtung der Ergebnisse für die Gesamtstadt dar sowie vertiefend die Beobachtung von Unterschieden zwischen Schulen (ohne diese identifizieren zu können) und Wohnorten. In einem abschließenden Strategieworkshop werden allen am Prozess Beteiligten (und darüber hinaus) die stadtweiten Ergebnisse vorgestellt und daraus wiederum Handlungsoptionen für Verwaltung und Politik abgeleitet. Dann geht es in die Umsetzung der Ergebnisse.

Abbildung 1: Fünf Dimensionen der Befragung in UWE (Familiengerechte Kommune e. V.)

 

Was motiviert Schulen und Kommunen, sich zu beteiligen? Was erhoffen Sie sich und was nehmen sie aus dem Prozess mit? Warum ist der kommunale Ansatz relevant?

Isabel Schwandt:

Erwachsene erkennen zunehmend die Bedeutung der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen. Studien wie  der Kinderreport Deutschland 2022 vom Deutschen Kinderhilfswerk e.V. zeigen, dass sie oft nicht gehört und gesehen werden, deshalb ist es wichtig, Bedarfe zu erkennen und effektiv zu handeln. Diese Erkenntnisse sind relevant für die Schul– und Stadtentwicklung, Sozial-, Bildungs- und Jugendhilfe sowie Politik. 

Dabei werden Kooperationen zwischen verschiedenen Institutionen einer Region immer wichtiger. Ein Beispiel: In einer Schule zeigt sich anhand der Befragungsergebnisse, dass nur wenige Kinder Mannschaftssport betreiben. Im Schulworkshop stellt sich heraus, dass es keinen Sportverein in der Nähe gibt und der Weg zum Sportverein im benachbarten Stadtteil unsicher ist. UWE fördert den Austausch zwischen Verantwortlichen (Vereine, Stadtentwicklung) über bekannte Strukturen hinaus. Je nach Stadtteil, in denen die Kinder leben, haben sie unterschiedliche Lebenswelten und Rahmenbedingungen, z. B. im Hinblick auf Angebote für Kinder oder Mobilität. Je mehr Akteure im Prozess beteiligt sind, desto mehr kann bewegt werden. UWE unterstützt die Schulen hier praxis- und bedarfsorientiert sowie zielgenau.

Regina von Görtz:
UWE lädt Schulen und Kommunen ein, Kindern und Jugendlichen auf eine ganz andere Art und Weise zu begegnen. Die prägendste Erfahrung im Rahmen des Projekts waren für mich die Reaktionen der Schüler:innen selbst. Die Kinder und Jugendlichen schätzen UWE als eine Möglichkeit, sich Gehör zu verschaffen. Ich habe einige Zitate von Schüler:innen aus einer der ersten Befragung mitgebracht, die mich sehr bewegt haben:

„Es hat mir sehr geholfen und hat Spaß gemacht! Danke!“

„Es ist gut das ihr sowas macht weil dann haben Kinder sozusagen Leute die sie verstehen.“

„Ich finde es gut das ihr sowas macht! echt fresh. Eigentlich interessieren sich die meisten gar nicht wie es uns in der Schule oder zu Hause geht.“

„Ich bedanke mich für diese umfangreiche Umfrage und hoffe, das die Stadt […] bald zu einem besseren Ort wird.“

„Ich finde es echt gut, dass diese Organisation nach unseren Wohlbefinden fragt. Danke!“

„Es hat mega Spaß gemacht und würde gerne auch nächstes Jahr teilnehmen! DANKE!“

„Ich finde es sehr gut, dass es endlich so eine Umfrage zum Wohlbefinden der Schüler gibt. Danke schön.“

„Gut das ihr da wart!“

 

Ich denke, wenn man solche Rückmeldungen von den Schüler:innen bekommt, dann weiß man, dass es sich lohnt und man auf dem richtigen Weg ist.

 

Das Projekt setzt einen besonderen Schwerpunkt auf die Sichtweise der Schüler:innen, zum Beispiel auf „Schule“. Warum ist es dem Projekt ein besonderes Anliegen, die Perspektive der Schüler:innen besser zu verstehen und zu erfragen?

Regina von Görtz:

Schüler:innen verbringen einen Großteil ihrer Zeit in der Schule, ihr Wohlbefinden beeinflusst ihre Leistung und Interaktionen. Es geht also darum, Bedingungen zu schaffen, unter denen erfolgreiches Lernen überhaupt erst möglich wird. Schulische Leistungen sind in vielen Schulen wichtiger als das Wohlbefinden der Schüler:innen und es wird angenommen, dass gute Leistungen automatisch zu einem guten Wohlbefinden führen.

Schulen sind oft der Ansicht, dass sie nicht über ausreichende Ressourcen verfügen, um sich um das Wohlbefinden ihrer Schüler:innen zu kümmern. Dies ist jedoch für den Lernprozess der Schüler:innen von großer Bedeutung. Durch die Wertschätzung der Meinungen und Erfahrungen der jungen Menschen kann eine Gemeinschaft entstehen, die sich positiv auf das Wohlbefinden aller auswirkt.

Isabel Schwandt:

Gute Bildung will die Entwicklung von Handlungskompetenzen unterstützen, damit Schüler:innen lernen, selbstständig und eigenverantwortlich zu handeln und ihre Umwelt aktiv mitzugestalten. Dafür ist es elementar, die Perspektiven der Schüler:innen wahr und ernst zu nehmen. Deshalb reicht es nicht aus, die Schüler:innen einmal zu befragen – aus diesem Grund ist UWE ein Monitoringinstrument, das idealerweise regelmäßig, im Abstand von zwei bis drei Jahren, angewendet wird.

 

Gibt es Dinge, die Schulen auch unabhängig vom Projekt UWE schon jetzt tun können, um die Lebenswelt von jungen Menschen besser zu erschließen, oder dem Wohlbefinden von Schüler:innen in Schule mehr Gewicht zu verleihen?

Regina von Görtz:

Schulen können regelmäßig Schüler:innenbefragungen, wie z.B. mit UWE, durchführen, um Rückmeldungen der Schüler:innen über ihre Erfahrungen in der Schule und ihr Wohlbefinden zu erhalten. Dies kann helfen, das Bewusstsein für die Bedürfnisse und Wünsche der Schüler:innen zu schärfen und gezielte Maßnahmen zu ergreifen, um diesen Bedürfnissen gerecht zu werden.

Besonders wichtig ist die Schaffung eines offenen und unterstützenden Schulklimas: Dies kann z.B. durch die Beteiligung von Schüler:innen an Entscheidungen, die sie betreffen, verbessert werden. Lehrkräfte sollten Schüler:innen ermutigen, eigene Ansichten zu entwickeln und versuchen, eine Beziehung auf Augenhöhe zu ihnen aufzubauen. Darüber hinaus können Peer-to-Peer-Ansätze wie Tutoring oder Mentoring Schüler:innen helfen, sich gegenseitig zu unterstützen und eine stärkere Gemeinschaft zu bilden.

Daneben sollten Schulen den Aufbau eines breiten Unterstützungsnetzwerks für Kinder und Jugendliche fördern. Dazu gehört beispielsweise die Zusammenarbeit mit kommunalen Akteuren, außerschulischen Bildungsträgern, Vereinen, Musikschulen etc. Auch der Kontakt zu Eltern und Familien sollte gefördert werden.

Isabel Schwandt:

Darüber hinaus können Schulen durch den Einsatz von Schulsozialarbeit und multiprofessionellen Teams zur Förderung des Wohlbefindens von Schüler:innen beitragen. Außerdem können sie die Förderung von ausgewogener Ernährung, Sport und Bewegung sowie kultureller Bildung in den Schulalltag integrieren. Durch diese Maßnahmen können Schüler:innen nicht nur fachlich, sondern auch persönlich gestärkt und ihr Wohlbefinden gesteigert werden.

 


Weitere Links: In unserem Video haben wir einen Jugendlichen, einen Lehrer und die Leitung eines regionalen Bildungsbüros gefragt, was sie von UWE halten: https://youtu.be/9SaVNiD6eLk

 


Ähnliche Beiträge auf diesem Blog:

Wie die AfD auf TikTok politisiert und weshalb Demokratiebildung in Schulen immer wichtiger wird