Die Lehramtsausbildung ist reformbedürftig – diese Ansicht vertreten neben der GEW auch andere Befürworter:innen der dualen Lehramtsausbildung. Die Zielscheibe der Kritik sind vor allem die vermeintlich fehlenden, fehlplatzierten oder gar demotivierenden Praxisphasen der grundständigen Lehramtsausbildung. Mit dem neusten Reformpaket der KMK setzen sich nun auch die Kultusminister:innen der Länder für Modelle des dualen Lehramtsstudiums ein. Während Fragen zur Umsetzung, Anerkennung und Mobilität dualer Studiengänge im Lehramt noch ungeklärt bleiben, hat sich unter einigen Lehramtsstudierenden wie mir bereits eine Notlösung für mehr Praxiserfahrungen etabliert: ein „Do It Yourself“ – Duales Lehramtsstudium. Vollzeitstudium Lehramt und parallel – ganz freiwillig und selbstorganisiert – Praxiserfahrungen im ehrenamtlichen Engagement mit Kindern und Jugendlichen sammeln. 

Mein Zwischenbericht: Es funktioniert gut – sogar sehr gut – und zeigt, dass die reine Forderung nach mehr Praktika im Studium allein nicht ausreicht, um bereichernde und produktive Praxiserfahrungen im Lehramtsstudium zu sammeln. In meinem Ehrenamt bin ich auf Lehramtsstudierende gestoßen, die sich ebenfalls für das „DIY Studium – Modell Ehrenamt“ entschieden haben. Ich habe mich mit einigen von ihnen ausgetauscht und möchte von unseren Erfahrungen berichten: Auf welche Herausforderungen sind wir in unseren universitären Praxisphasen gestoßen? Welche Praxiserfahrungen haben wir im Ehrenamt gewonnen, die uns in den universitären Praxisphasen gefehlt haben? Und: Welche Schlüsse ziehe ich für neue Modelle der praxisorientierten Lehramtsausbildung aufgrund dieser Erfahrungen? Mit diesen Fragen kam ich mit meinen Kommoliton:innen ins Gespräch. 

13 Jahre ehrenamtliche Vereinsarbeit: Das ist die Zahl der Jahre, die Anja, Lisa, Franca* und ich als Lehramtsstudentinnen im Verein Tabula e. V. insgesamt mitgewirkt haben. Der Verein Tabula ist ein Bildungsverein, der sich seit seiner Gründung im Jahr 2005 für die Bildungsgerechtigkeit von Schüler:innen in Bielefeld einsetzt. Das Programm ist voll und vielfältig: Nachmittagsangebote, Ferienschule, Lesepartnerschaften, Ausflüge, Theaterangebote, Schwimmgruppen und Co. Ein Verein, den es in anderen Formen und Farben sicherlich auch in anderen Städten Deutschlands zu finden gibt. Dass sich hier neben pensionierten (und aktiven!) Lehrer:innen auch Lehramtsstudierende engagieren, ist vielleicht nicht überraschend. Aber was zieht uns junge Studierende eigentlich dorthin, trotz voller Stundenpläne, Praktika und Deadlines, die ständig über uns schweben? 

Praxiserfahrung im Lehramtsstudium: Schulen fehlt es an Zeit und Ressourcen für Praktikant:innen 

Für Anja waren ihre positiven Praxiserfahrungen im Ehrenamt mit Kindern und Jugendlichen ein rettendes Ufer im Praxissemester. Sie berichtet, dass sie sich während ihres Praxissemesters weniger als gleichwertiges Mitglied des Kollegiums, sondern eher als lästiger Zusatzaufwand gefühlt hat. „Warum seid ihr eigentlich so viele und kann man euch Praktikanten eigentlich auch ablehnen?”. Mit diesen Worten begrüßte sie damals eine Lehrkraft in ihrem Praxissemester. Ein ernüchternder Start, der leider charakteristisch für ihr gesamtes Praxissemester war: Mangelnde Aufmerksamkeit, Betreuung und Unterstützung seitens der Lehrkräfte waren keine Seltenheit. 

Diese enttäuschenden Erfahrungen im Praxissemester haben Anja jedoch nicht davon abgehalten, weiter Lehramt zu studieren: „Wäre ich nicht so gefestigt in meinen pädagogischen Fähigkeiten, hätte ich nicht so gut damit umgehen können. Diese Selbstsicherheit habe ich durch mein Ehrenamt gewonnen”. Andere Studierende hätten nach solchen Erfahrungen vielleicht mit dem Gedanken gespielt, das Studium abzubrechen– fatal angesichts des bestehenden Lehrermangels.  

Meine eigenen Erfahrungen im Praxissemester waren hingegen überraschend positiv. Die Lehrkräfte an meiner Praktikumsschule haben sich viel Zeit genommen und Mühe gemacht, um mir ausführliches Feedback zu geben und meine Unterrichtsstunden zu besprechen – allerdings alles nach dem Unterrichtsende oder in den Pausen zwischen Tür und Angel. Statt Feierabend oder Pausenruhe wurde ich als neue Praktikantin begleitet und ausgebildet. 

Die Qualität der Betreuung und Begleitung von Anja und mir scheint eine Frage des Zufalls gewesen zu sein, denn Zeit und Ressourcen für die vielen Praktikant:innen an Schulen sind knapp. Dass die Begleitung von Praktikant:innen ganz unten auf der Prioritätenliste einiger Lehrkräfte steht, ist ihnen vielleicht gar nicht vorzuwerfen. In Anbetracht dieser Erfahrungen erscheint mir aber die Sorge um die Zusatzbelastung durch aufwendige Begleitung dualer Studenten:innen an Schulen durchaus begründet. Felicitas Thiel, Ko-Vorsitzende der SWK, stellt in einem Interview mit Bildungsjournalist Jan-Martin Wiarda daher treffend die Frage: Wer kann die Betreuung von Lehramtsstudierenden in Zeiten des Lehrermangels übernehmen?  

Kontrastreiche Erfahrungen: Freiheiten und Gestaltungsräume im Ehrenamt vs. Korsett an Vorgaben in universitären Praxisphasen  

Fehler machen zu dürfen, sukzessive mehr Verantwortung zu übernehmen, sich kreativ auszuprobieren, neue Herausforderungen anzunehmen und die eigene pädagogische Grundhaltung kennenzulernen und zu reflektieren – das sind idealerweise Erfahrungen, die Studierende in ihren universitären Praxisphasen des Lehramtsstudiums erleben und erlernen dürfen. Sie sind essenziell, um sich wichtige Soft Skills der Lehrer:innenprofession anzueignen: Flexibilität, Kreativität, Selbstbewusstsein, Offenheit für neue Herausforderungen und Co. Diese Erfahrungen haben Lisa, Anja und ich vor allem in unserer ehrenamtlichen Vereinsarbeit erlebt – weniger in unseren Praxisphasen im Studium. 

Das Praxissemester ist für solche Erfahrungen überladen, meint Lisa. Das Korsett an Vorgaben, Richtlinien und Abgaben ist nämlich eng: wissenschaftliche Studienprojekte (idealerweise mit Datenerhebung und -analyse), Reflexionsprüfungen, Modulprüfungen, Zwischenpräsentationen und ganz nebenbei die Vorbereitung der ersten Unterrichtsbesuche unserer Lehramtsausbildung. Ehe man seine eigene Schulklasse kennengelernt hatte und alle Namen auswendig konnte, waren auch schon die ersten Abgaben und Datenerhebungen dran. Zeit zum kreativen Ausprobieren und Erkunden neuer pädagogischer Angebote und didaktischer Methoden waren für Lisa und mich nicht gegeben. Zuflucht haben wir stattdessen im Ehrenamt gefunden, denn dort bekamen wir die nötigen Frei- und Gestaltungsräume. 

Lehramtsstudierende sind Einzelkämpfer:innen an Schulen und Teamplayer im Ehrenamt  

Begibt man sich à la ethnographische Feldforschung an eine klein- bis mittelgroße Praktikumsschule und beobachtet junge Praktikant:innen, so zeigt sich ein kurioses Phänomen: Angehende Lehrer:innen gehen aufeinander los – eine Art Konkurrenzkampf. Ihre Waffen: schmeichelnde Worte und Geschick. Das Gut: rar gesäte Unterrichtsstunden im Fach X, beim Lehrer Y, weil es an der Schule keine anderen Lehrkräfte mit dem Unterrichtsfach gibt, deren Stunden man begleiten und übernehmen darf. Von Team-Spirit und kollegialer Zusammenarbeit brauchen wir bei solchen Schlagabtauschen um Stunden sicher nicht reden. Ich würde gar meinen, dies wird einem abtrainiert. Lehrer:in sein heißt doch Einzelkämpfer:in werden, oder? Solche absurden Beobachtungen mögen sicher nur Ausnahmen sein, jedoch deuten sie auf ein grundlegendes Merkmal der universitären Praxisphasen hin: Team-Spirit und kollegiale Zusammenarbeit werden selten erlebt oder erprobt. 

Dass aber Teamarbeit und multiprofessionelle Kooperation essenziell für gute pädagogische Arbeit sind, haben Anja und ich in der Vereinsarbeit gelernt. Regelmäßige Treffen und kollegiale Fallgespräche gehören auf die Tagesordnung. Sie helfen uns dabei herauszufinden, welches Wissen und welche Ressourcen wir benötigen, um die Kinder und Jugendlichen des Vereins adäquat zu unterstützen und pädagogische Angebote für sie zu gestalten. Wichtige Entscheidungen werden stets gemeinsam im Team getroffen und bei großen Herausforderungen sind auch immer die pädagogischen Fachkräfte des Vereins für uns erreichbar. „Man lernt im Team zu arbeiten – ganz im Gegensatz zu den Praxisphasen in der Schule … da fühlt man sich eher wie ein Einzelkämpfer“, meint Anja.  

Solche Teamgespräche finden in den Praxisphasen des Lehramtsstudiums vergleichsweise selten statt. Auch Franca merkt an, dass es während ihres Praxissemesters selten die Gelegenheit gab, gemeinsam mit den Lehrkräften pädagogische oder didaktisch-methodische Entscheidungen zu besprechen und zu diskutieren. „Ich habe dann oft so unterrichtet, wie es von mir verlangt war, obwohl ich das eigentlich ganz anders machen wollte. […] Die Gesprächsräume waren überhaupt nicht da, um dann gemeinsam zu reflektieren und Entscheidungen zu besprechen”, beklagt Franca. Solche Erfahrungen sind ernüchternd, vor allem, wenn die Bedeutung von Teamarbeit und multiprofessioneller Kooperation vorab an der Hochschule stets betont wurde – die Praxis sah dann aber leider ganz anders aus (dazu passend folgender Blogbeitrag: Hochschulen müssen auf Teamarbeit besser vorbereiten! – Schule-Lernen-Bildung im 21. Jahrhundert (schule21.blog)). 

Ehrenamt als bereichernde Ergänzung statt Notlösung für demotivierende Praxiserfahrungen  

Gemeinnützige Bildungsvereine können weder die Begleitung oder Professionalisierung angehender Lehrer:innen übernehmen noch für frustrierende Praktikumserfahrungen von Lehramtsstudierenden aufkommen. Das ist nicht ihre Aufgabe. Unsere Flucht ins Ehrenamt zeigt aber, was wir uns von den Praxisphasen im Lehramtsstudium eigentlich erhoffen: adäquate Betreuung, Zeit und Ressourcen für unsere Begleitung und Räume für gemeinsame Reflexion und Zusammenarbeit. Bislang bleibt dies aber noch zu häufig aus. Stattdessen musste das Ehrenamt als Notlösung für uns aufkommen.  

Mit Blick auf neue praxisorientierte Modelle der Lehramtsausbildung eröffnen sich aus meiner Sicht aber Möglichkeiten, diese Baustellen gezielt anzugehen. Statt das Ehrenamt als Notlösung zu betrachten, könnte außeruniversitäres Engagement eine bereichernde Ergänzung zu den universitären Praxisphasen im Studium darstellen. Hierfür braucht es aber mehr Wertschätzung und Anerkennung seitens der Hochschule, wenn sich Studierende entscheiden, zusätzliche Praxiserfahrungen im Ehrenamt mit Kindern und Jugendlichen zu sammeln. Solch eine Anerkennung und Einbindung unserer Erfahrungen kann z. B. in Seminaren geschehen, in denen wir unser informelles Wissen aus dem Ehrenamt mit unseren Kommiliton:innen und Dozierenden wissenschaftlich reflektieren können und für den Lehrberuf greifbarer machen. Bislang führen wir solche Reflexionen nur in Eigenregie. Es bleibt daher zu hoffen, dass das Klagelied für eine bessere Praxisgestaltung des Lehramtsstudiums in den kommenden Jahren – zumindest durch die Erprobung einiger neuer Modelle – ein wenig leiser wird.  

*Vermerk: Die Namen der Lehramtsstudentinnen wurden pseudonymisiert 


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