Der OER-Bewegung ist es mittlerweile gelungen, eine immer breitere Basis in Gesellschaft und Bildungsinstitutionen aufzubauen. An der einen oder anderen Stelle hat aber auch Ernüchterung oder Konsolidierung eingesetzt. Das muss der Bewegung und der Entwicklung nicht schaden, sollte aber bei der Beurteilung des realistisch Machbaren im Blick behalten werden.

Das ist mein Fazit der gemeinsamen Veranstaltung OER goes Europevon Wikimedia DE und dem Internet und Gesellschaft Collaboratory Anfang April in Berlin. Meine Kollegin Monika Fischer und ich haben die Gelegenheit genutzt und uns die zwei Vorträge von Jöran Muuß-Merholz sowie Professor Fred Mulder angehört.

Der Vortrag von Jöran, dessen aus meiner Sicht wichtigsten Punkte ich unten kurz nenne, galt der Vorstellung des aktualisierten Whitepapers „OER für Schulen in Deutschland 2014„, welches er gemeinsam mit Felix Schaumburg im Auftrag des Collabs verfasst hatte. Gleichzeitig wurde die Plattform www.open-educational-resources.de gelauncht, die es zur Aufgabe hat, die relative Unübersichtlichkeit der deutschen OER-Landschaft etwas zu strukturieren und so als Orientierungspunkt für OER-Interessierte zu dienen.

Diffuse Materie

Der Begriff der OER ist nach wie vor sehr diffus und zudem auch noch nicht adäquat ins Deutsche übersetzt worden. Diese Diffusität ist ein Indikator dafür, dass nach wie vor kein besseres konsensuales Verständnis der Materie vorliegt, obgleich das Thema inzwischen nicht mehr neu ist. Diese Unübersichtlichkeit ist zu einem gewissen Teil den vielen Perspektiven der unterschiedlichen Stakeholder geschuldet, deren Bandbreite vom Lehrer an der dörflichen Grundschule bis hin zu multinationalen Versuchen, aus OER eine tragfähige Social Business Modell zu entwickeln, reicht.

Rollenverteilung der Stakeholder

Die Rollenverteilung der verschiedenen Stakeholder ist nach wie vor nicht geklärt. Zudem fehlt die Beantwortung der Frage nach der Relevanz determinierender Rahmenbedingungen; ist der Staat selbst ein Stakeholder oder sollte er sich auf die Formulierung geeigneter Entwicklungsbedingungen konzentrieren und damit OER als Graswurzel-Bewegung betrachten? Jöran zeichnete an dieser Stelle das interessante Bild des „Rollrasens“; der Staat sollte für die flächige Bereitstellung von Bedingungen sorgen, die das Gedeihen der OER-Graswurzel-Bewegung befördern könnten.

Determinanten der weiteren Entwicklung

Die Autoren stellten die Determinanten einer weiteren positiven wie auch negativen Entwicklung in einer sehr strukturierten dichothomen Übersicht dar. Befördernde Faktoren der weiteren Entwicklung seien:

·    ein kompliziertes Urheberrecht, das die Tendenz zur CC-Lizensierung stärken könnte,

·    enge Kopierregeln, so dass Lehrer in OER mehr Flexibilität bei der Gestaltung ihrer Unterrichtsmaterialien erhalten könnten,

·    einfach anzuwendende CC-Regeln für den OER-Content,

·    gute digitale Infrastrukturen in den Bildungsinstitutionen, damit die Inhalte vor Ort angewendet werden können,

·    eine BYOD-Politik, die den Anwendern mehr Freiheit in der Anwendung lässt,

·    eine schlechte finanzielle Ausstattung der Schulen, die die Suche nach alternativen Wegen der Content-Nutzung verstärken kann,

·    schlechte analoge Materialien, die den Bedarf an aktualisierten Inhalten steigern können,

·    ein hoher Autonomiegrad der Schule, um Experimente durchführen zu können,

·    eine moderne Projektorientierung im Unterricht, die die Notwendigkeit der Suche nach alternativen Inhalten offenbar werden lässt sowie

·    eine relativ lockere Zulassungspolitik von Inhalten für den Unterricht.

Ernüchterung oder Fokussierung auf Stärken?

Am Ende der Debatte des Vortrags von Jöran stand dann die nicht ausgesprochene Frage im Raum, ob die teilweise erkennbare Ernüchterung – das Wiki füllt sich halt am Ende doch nicht von allein – als frustrierend empfundene Ernüchterung oder aber als Fokussierung auf wesentliche Methodenfragen bei der Produktion und Bereitstellung von OER zu sehen ist.

Ich persönlich betrachte die Entwicklung der OER seit dem Jahr 2001 eher als das Sammeln von Erfahrungen beim kollaborativen Erarbeiten von Inhalten. Dass am Ende das Erstellen mühsamer als gedacht oder aber auch gesteuerter als erwartet verlaufen muss, ist für mich keine Enttäuschung, sondern deutet eher in die Richtung, in die OER-Protagonisten in Zukunft agieren sollten. Vielleicht können ja Koalitionen zwischen dem „Rollrasen“ und den „angestellten Gärtnern“ erreicht werden, die letztlich beiden Seiten einen Mehrwert verschaffen; dem Rollrasen könnte endlich ausreichend Raum zur Entwicklung angeboten werden, um damit dem Nischendasein zu entfliehen, den Gärtnern könnte die hegende Rolle zukommen, so dass sie nicht das Gefühl hätten, als angestammte Autoritäten ihrer Funktion beraubt zu werden. Es geht am Ende nur miteinander.

Fotos: Ole Wintermann
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