Wie viele andere Bundesländer steht Schleswig-Holstein vor einem akuten Mangel an Lehrkräften – in der Sonderpädagogik sind besonders die Schwerpunkte „Lernen“ und „emotional-soziale Entwicklung“ betroffen. Als Reaktion darauf wurde in Kooperation von der Europa-Universität Flensburg (EUF) und dem Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-Holstein (IQSH) ein innovatives Ausbildungsmodell entwickelt, das zusätzliche Lehrkräfte für Sonderpädagogik qualifiziert: Der Duale Masterstudiengang Sonderpädagogik.

Seit dem Herbstsemester 2021/22 bietet dieser Studiengang eine spannende Alternative zu klassischen Lehramtsstudiengängen und kombiniert wissenschaftliche Ausbildung mit praktischer Erfahrung. Doch was macht dieses Modell so besonders? Ein Blick hinter die Kulissen zeigt, wie Theorie und Praxis hier Hand in Hand gehen – und welche Herausforderungen dabei gemeistert werden müssen.

Ein Novum in der Lehrkräftebildung

Der Duale Masterstudiengang Sonderpädagogik ist deutschlandweit bislang einzigartig. Das Studienangebot richtet sich an Personen mit mindestens einem Bachelorabschluss in einer der Sonderpädagogik nahen Disziplin, z. B. Heilpädagogik, Sozialpädagogik, Psychologie, und mindestens einjähriger Berufserfahrung. Ziel ist es, diese Fachkräfte innerhalb von drei Jahren in einem dualen System aus wissenschaftlicher Ausbildung und praktischem Vorbereitungsdienst für das Lehramt weiterzuqualifizieren. Diese Zugangsvoraussetzungen stellen sicher, dass die Bewerber:innen bereits über grundlegende pädagogische Kompetenzen verfügen und somit eine solide Basis für die anspruchsvolle Ausbildung mitbringen. Gleichzeitig wird durch die gezielte Ansprache von Quereinsteiger:innen aus affinen Berufsfeldern eine neue Zielgruppe erschlossen, die bisher nicht im Fokus der Lehrkräftebildung stand.

Jährlich stehen 30 Studienplätze zur Verfügung. Die Kombination aus Studium und Berufspraxis macht das Modell besonders attraktiv für Personen, die sich beruflich weiterentwickeln möchten.

Attraktivität und Herausforderungen

Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass das Studienangebot auf großes Interesse stößt. In den ersten 2 Kohorten kamen auf 60 Studienplätze 112 Bewerbungen, von denen 57 Personen zugelassen wurden. Die Studienabbruchquote liegt mit unter 12 Prozent deutlich unter der von grundständigen Lehramtsstudiengängen, bei denen die Abbruchtendenz im Bereich Sonderpädagogik bei etwa 30 Prozent liegt. Dies spricht für die Attraktivität und die Durchführbarkeit des dualen Modells.

Das Programm brachte in der Entwicklung nicht nur Chancen, sondern auch Herausforderungen mit sich. Im Laufe der Zeit konnten durch praktische Erfahrungen und gezielte Anpassungen tragfähige Lösungen entwickelt werden. Die ersten Jahrgänge machten deutlich, dass die zeitlichen Belastungen erheblich waren, verursacht durch die Vielzahl an Anforderungen, die parallel von Universität, dem für den Vorbereitungsdienst zuständigen IQSH sowie den Schulen gestellt wurden. Die enge Taktung und die fehlende Abstimmung zwischen den beteiligten Institutionen führten dabei zunächst zu einer Überforderung der angehenden Lehrkräfte. Doch durch eine verbesserte Verzahnung der beteiligten Institutionen und die Nutzung von Synergien ist es inzwischen gelungen, die Arbeitsbelastung der Lehramtsanwärter:innen zu senken. Der Workload konnte so um rund ein Viertel reduziert werden – ein spürbarer Fortschritt für nachfolgende Jahrgänge.

Theorie trifft Praxis: Die Struktur des Studiengangs

Das Duale Masterstudium Sonderpädagogik ist durch eine enge Verzahnung von Theorie und Praxis geprägt. Die Studierenden verbringen Zeit an der Europa-Universität Flensburg, an den Förderzentren und deren Kooperationsschulen sowie am IQSH. Die Ausbildung umfasst die sonderpädagogischen Schwerpunkte wie Lernen und emotionale-soziale Entwicklung sowie die Unterrichtsfächer Deutsch und Mathematik. Auch Blockpraktika und eigenverantwortlicher Unterricht sind feste Bestandteile des Programms.

Die praktische Ausbildung erfolgt unter vertraglicher Bindung an das Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur Schleswig-Holstein (MBWFK). Die Vergütung entspricht der Bezahlung von regulären Lehrkräften im Vorbereitungsdienst. Die Studierenden sind während des gesamten Vorbereitungsdienstes an Förderzentren und Kooperationsschulen tätig, wo sie sowohl in der Prävention als auch in der Inklusion wertvolle Erfahrungen sammeln. Diese Theorie-Praxis-Verknüpfung ist ein zentraler Bestandteil des Studiengangs und soll sicherstellen, dass die Absolvent:innen optimal auf die Herausforderungen des Lehrberufs vorbereitet sind.

Ein Modell für die Zukunft?

Die Evaluation des Studiengangs zeigt, dass die Studierenden im Verlauf des Studiums ein stabiles, positiv ausgerichtetes Verhältnis zur schulischen Inklusion entwickeln.

Während sich das bei vielen Studierenden schon gut ausgeprägte allgemeine bildungswissenschaftliche Wissen erwartungsgemäß nur leicht verbessert, zeigt der deutliche Wissenszuwachs im sonderpädagogisch-inklusionsorientierten Bereich einen klaren Mehrwert des Programms: Es gelingt, zentrale professionsbezogene Kompetenzen gezielt und wirksam zu fördern – ein entscheidender Vorteil für den späteren Schulalltag. Besonders im ländlichen Raum Schleswig-Holsteins trägt das Programm dazu bei, die Schieflage im Lehrkräftebedarf zu bereinigen. Die Studierenden verteilen sich vor allem auf Regionen mit besonders ausgeprägtem Lehrkräftemangel. Ein großer Teil der Absolvent:innen wird voraussichtlich auch nach der Ausbildung an einer wohnortnahen Schule bleiben wollen – ein klarer Vorteil, der dazu beitragen kann, die regionale Ungleichverteilung von Lehrkräften nachhaltig zu verringern.

Fazit: Ein Modell mit Potenzial

Der Duale Masterstudiengang Sonderpädagogik ist ein innovativer Ansatz, der nicht nur den akuten Lehrkräftemangel adressiert, sondern auch neue Wege in der Lehrkräftebildung aufzeigt. Das Programm bietet eine qualitativ hochwertige Ausbildung und könnte als Vorbild für andere Bundesländer dienen. Mit den vorgenommenen Anpassungen, insbesondere hinsichtlich der Workload-Problematik, könnte dieses Modell langfristig eine echte Erfolgsgeschichte werden.

Falls Sie sich für den Dualen Masterstudiengang Sonderpädagogik interessieren, können Sie sich auf der Studienganghomepage über die Inhalte und den Ablauf der Ausbildung genauer informieren.

 


Und jetzt sind Sie gefragt: Könnte ein solches duales Studienmodell auch in Ihrem Bundesland oder Ihrer Fachrichtung Anwendung finden? Welche Gedanken haben Sie für die Ausgestaltung dualer Studiengänge? Teilen Sie Ihre Gedanken – vielleicht gestalten wir gemeinsam die Zukunft der Lehrkräfte.

 

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