Unterschiedliche Sozialformen im Unterricht

Der Begriff ist recht neu. Insofern verwundert es nicht, wenn er ab und zu missverstanden wird – von Eltern, aber auch von anderen Akteuren im Bildungswesen. Gerade deswegen ist es wichtig, zu klären, was mit der Forderung nach mehr individueller Förderung an Schulen überhaupt gemeint ist. Hierbei geht es nämlich weder um Einzelförderung noch um spezielle Förderbedarfe. Sondern vielmehr um das Recht jedes Schülers, nach seinen ganz eigenen Stärken und Neigungen gefördert und gefordert zu werden.
Die öffentliche Debatte zeigt immer wieder, dass beide Bestandteile des Begriffs „Individuelle Förderung“ mehrdeutig sind und der Klärung bedürfen. Vielfach werden unter „Förderung“ z. B. zusätzliche Fördermaßnahmen für leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler (oder für Hochbegabte) verstanden – anstatt Förderung als allgemein gültiges pädagogisches Prinzip zu sehen, von dem im Unterricht alle Schülerinnen und Schüler profitieren.
Auch das Adjektiv „individuell“ ist augenscheinlich missverständlich und wird zuweilen so interpretiert, dass Kinder nicht mehr gemeinsam mit anderen in der Gruppe oder im Klassenverband lernen, sondern dass jedes Kind in einem „individualisierten Unterricht“ allein an eigens entwickelten Aufgaben arbeitet.
Ein derartiges Verständnis von individueller Förderung führt bei vielen Kolleginnen und Kollegen zu Irritationen und nicht selten zu einer Abwehrhaltung. Darum ist es wichtig, dass in jedem Kollegium und an jeder Schule ein Klärungsprozess darüber stattfindet, was individuelle Förderung konkret ausmacht und welchen Stellenwert sie im Unterricht erhalten soll.
Dabei hilft u. a. die kritische Reflexion aktueller wissenschaftlicher Definitionen von individueller Förderung. Hier meine Lieblingsdefinition: „Alle Handlungen von Lehrerinnen und Lehrern und Schülerinnen und Schülern, die mit der Intention erfolgen bzw. die Wirkung haben, das Lernen des einzelnen Schülers / der einzelnen Schülerin unter Berücksichtigung seiner / ihrer spezifischen Lernvoraussetzungen, -bedürfnisse, -wege, -ziele und -möglichkeiten zu unterstützen.“ (Kunze 2009)
In diesem Sinne verstanden sollte individuelle Förderung ein bestimmendes Grundprinzip des Unterrichts an allen Schulformen und für alle Schülerinnen und Schüler sein: Gefördert und gefordert werden sollen die Leistungsstarken ebenso wie die Leistungsschwächeren – und auch alle anderen, die von ihrem Leistungsvermögen irgendwo dazwischen liegen.
Und es geht auch nicht darum, dass für jeden einzelnen Schüler in einer Klasse Unterricht individuell geplant wird – es geht vielmehr darum, die Abläufe in Lerngruppen so zu gestalten und zu steuern, dass sie sich stärker an den Lernprozessen der Kinder und Jugendlichen orientieren. Entsprechend dem Lerngegenstand, der Lernphase und dem Lernziel kann dies beinhalten, dass unterschiedliche Schülerinnen und Schüler in unterschiedlichen Sozialformen (Gruppen-, Partner-, Einzelarbeit…) arbeiten und dass einzelne oder mehrere Schülerinnen und Schüler zusätzliche Erklärungen erhalten.