Schule21 im Gespräch mit Christiane Meier und Christian Ebel vom Zentrum für digitale Bildung und Schule (ZdB)

Im Schuljahr 20/21 haben sich elf Schulen unterschiedlicher Schulformen an der Erprobung eines Qualifizierungsangebots beteiligt, das darauf ausgerichtet war, Lehrkräfte dabei zu unterstützen, ihre Kompetenzen und ihren Unterricht in gegenseitigem Austausch weiterzuentwickeln und digitale Medien für die Verbesserung von Lernprozessen der Schüler:innen zu erproben. Das nachfolgende Interview versucht, Hintergründe, Entstehung, Konzept und Erkenntnisse aus der Pilotierung darzustellen.

Sie haben sich vor knapp drei Jahren im Kreis Gütersloh als Kooperationsprojekt auf den Weg gemacht, ein interessantes Angebot zur Unterrichtsentwicklung zu starten. Welches Ziel haben Sie damit verfolgt?

„Schule und digitale Bildung“ ist ein Projekt zur Schul- und Unterrichtsentwicklung. Das heißt, dass wir von Anfang an einen Beitrag dazu leisten wollten, die Qualität des Unterrichts an den Schulen im Kreis Gütersloh zu verbessern. Ziel sollte es sein, dass bei den Kindern und Jugendlichen im Unterricht auch tatsächlich etwas ankommt – das heißt, dass sie in ihrem Lernen unterstützt werden und dabei auch der mögliche Einsatz digitaler Medien mitgedacht wird.

Doch vor fünf Jahren waren an vielen Schulen noch gar nicht die Voraussetzungen geschaffen für ein Lernen mit und über digitale Medien. Es ging damals zunächst einmal um die Frage, wie denn eine lernförderliche IT-Ausstattung an Schulen überhaupt aussieht und wie sie finanziert und implementiert werden kann. Da waren erst einmal einige Zwischenschritte mit allen Beteiligten zur Klärung von Ausstattung und Ähnlichem nötig.

Erst auf dieser Grundlage haben wir vor zwei Jahren das ursprüngliche Ziel wieder aufgegriffen und versucht, gemeinsam mit den Projektpartnern ein Fortbildungsangebot für Unterrichtsentwicklung auf die Beine zu stellen.

Sie haben Ihre Projektpartner erwähnt – mit wem arbeiten Sie denn zusammen?

Das Projekt wird durchgeführt von der Bezirksregierung Detmold, dem Kreis Gütersloh und dem Zentrum für digitale Bildung und Schule, kurz ZdB, das von der Bertelsmann Stiftung und der Reinhard-Mohn-Stiftung getragen wird. Das klingt zunächst einmal etwas abstrakt; konkret bedeutet es, dass durch das Kompetenzteam und das Bildungsbüro des Kreises Gütersloh sowohl landesseitige als auch kommunale personale Ressourcen in das Projekt mit einfließen. Die Geschäftsstelle bildet aber das ZdB.

Sie wollten ja einen Beitrag zur Schul- und Unterrichtsentwicklung leisten und setzen dafür an der Fortbildung an. Was verstehen Sie denn unter wirksamer Lehrkräftefortbildung?

Das ist inzwischen wissenschaftlich gut untersucht: Als besonders wirksam haben sich Maßnahmen herausgestellt, die längerfristig, modular und spiralcurricular angelegt sind, in denen sich Theorie- und Praxisphasen abwechseln und Lehrkräfte gemeinsam in Teams Unterrichtsvorhaben planen, umsetzen und reflektieren. Entscheidend ist, dass sich langfristig möglichst das gesamte Kollegium an der Maßnahme selbst oder wenigstens an der Verarbeitung der Erkenntnisse beteiligt. Derartig angelegte Fortbildungen werden als gemeinsam abgestimmtes Handeln wahrgenommen, das auf das klare Ziel ausgerichtet ist, das Lernen und den Unterricht an der gesamten Schule nachhaltig qualitativ weiterzuentwickeln.

Das klingt sehr komplex. Womit sind Sie denn in ein so großes Vorhaben gestartet?

Den Startpunkt gab es eigentlich nicht. Nach vielen Vorüberlegungen entstand eine Projekt- und Angebotsstruktur, die uns abschätzen ließ, was wann wie und durch wen umgesetzt werden könnte. Einiges ergab sich aber auch erst im laufenden Prozess. Rückblickend war die Informations- und Prüfveranstaltung im Oktober 2020, zu der wir alle interessierten Schulen aus dem Kreis Gütersloh eingeladen hatten, der nach außen sichtbare Beginn des Projekts. Dieser Einladung folgten damals 39 Schulen unterschiedlicher Schulformen. Dort wurde das Angebot „UEdigital“ vorgestellt. Die Schulen sollten prüfen, ob dieses Format zu diesem Zeitpunkt in ihre Schul- und Unterrichtsentwicklungsplanungen passte. Voraussetzung für die Projektteilnahme war, dass jede Schule zwei Gruppen bildet, die eineinhalb Jahre lang an den Bausteinen und Modulen teilnehmen und das Gelernte in der Praxis umsetzen. Das erforderte neben den Ressourcen auch eine hohe Verbindlichkeit und Ausdauer von den Schulen – und das in Zeiten von Corona!

Mit all diesen Informationen über die Themen und Inhalte, die Ziele, die Voraussetzungen und erforderlichen Ressourcen sind die Schulleitungen in ihre Schulen zurückgekehrt. Hinter dem Beschluss zur Teilnahme an einem solchen Projekt müssen nach Möglichkeit alle an Schule Beteiligten stehen. Das bedurfte einiger Bedenkzeit und auch vieler gemeinsamer Gespräche und Überlegungen in den Kollegien. Aus den 23 eingegangenen Bewerbungen haben wir zunächst elf Schulen ausgelost, die dann an der Pilotierung von „UEdigital“ teilgenommen haben.

Wie haben Sie es geschafft, so ein Angebot für die interessierten Schulen nicht nur zu konzeptionieren, sondern auch umzusetzen?

Wir waren schon damals relativ gut vernetzt und kannten bundesweit Expert:innen, die mit uns zusammen überlegt haben, was an Themen und Inhalten in so ein Angebot zur Unterrichtsentwicklung hinein muss. Abgestimmt auf die verschiedenen Vorgaben des Landes, wie zum Bespiel den Orientierungsrahmen für Lehrerausbildung und Lehrerfortbildung in NRW oder den Medienkompetenzrahmen haben wir vier Module und fünf Bausteine entwickelt, die inhaltlich aufeinander abgestimmt sind. Aus unserer Sicht enthalten sie die wichtigsten Elemente zur Unterrichtsentwicklung in der Kultur der Digitalität.

Auch bei der Umsetzung waren wir auf externe Unterstützung angewiesen, denn es war schnell klar, dass die Übernahme der Moderation des Angebots und der Begleitung der Schulen nicht nur sehr anspruchsvoll, sondern auch für einen längeren Zeitraum sehr ressourcenbindend sein würde. Mit einem Team aus Hamburg, das aus professionellen Schulentwicklungsberater:innen besteht, haben wir einen Partner gefunden, der nicht nur die Vorüberlegungen und entwickelten Materialien aufgegriffen hat, sondern der auch in der Lage ist, das komplette Angebot zu stemmen. Somit liegt das Unterstützungsangebot in einer Hand.

Beschreiben Sie doch bitte einmal die Struktur des Angebots!

Um den zuvor genannten Ansprüchen an wirksame Fortbildungen gerecht zu werden, erfolgte bei UEdigital eine Begleitung und Unterstützung der Schulen auf drei Ebenen: Zum einen erwarben Lehrkräfte in Professionellen Lerngemeinschaften (PLGs) neues Wissen, das sie in ihrem Unterricht zur Anwendung bringen und die Wirkungen gemeinsam reflektieren konnten. Zum anderen wurde eine schulische Projektentwicklungsgruppe (PEG) dahingehend qualifiziert, eine Zielperspektive für die Schule zu entwickeln, die Steuerung des Gesamtprozesses vor Ort zu übernehmen und das Kollegium zu beteiligen. Zudem wurden beide Gruppen im Umsetzungsprozess von erfahrenen Schulentwicklungsbegleiter:innen (SEB) unterstützt (siehe Abb. 1).

Abbildung 1: Überblick Unterrichtsentwicklung digital

Es gibt also zwei wesentliche Strukturelemente des Projekts, die in den Schulen verankert sind. Mit welchen Inhalten und Themen haben sich die Professionellen Lerngemeinschaften auseinander gesetzt?

Das erste Modul des Qualifizierungsangebots für die Lehrkräfte zielte darauf ab, die Grundlagen für die Zusammenarbeit in den Professionellen Lerngemeinschaften (PLG) zu erarbeiten. Ein weiterer Schwerpunkt lag auf der Einführung in die kooperative Unterrichtsentwicklung mit der Methode Lesson Study.

Im Zentrum des Moduls 2 standen Ausprägungsformen einer „neuen“ Lernkultur, mit der individuelle, kooperative/kollaborative und produktiv-gestalterische Lernprozesse angeregt und gefördert werden können.

Im Modul 3 erfuhren die Teilnehmenden, inwiefern man digitale und nicht digitale Instrumente zur Diagnose nutzen kann und welche Erkenntnisse zur individuellen Förderung einzelner Schüler:innen daraus abgeleitet werden können.

Und im vierten Modul ging es um die Frage, inwiefern mit komplexeren Lernsettings, d. h. durch offenere Lernprozesse mit längeren Phasen selbständigen Arbeitens und Lernens, die Kompetenzen des 4 K-Modells entwickelt werden können.

Und für welche Aufgaben haben Sie die Projektentwicklungsgruppe vorbereitet?

Es braucht Verantwortliche in der Schule, die die pädagogische Zielrichtung der Unterrichtsentwicklung festlegen, die die Erprobungs- und Reflexionsphasen koordinieren und steuern können, die die Kommunikation aufrechterhalten, Informationen zur Verfügung stellen und Unterstützung organisieren. Diese Steuerungsfunktion hat in der Pilotierung die Projektentwicklungsgruppe (PEG) übernommen.

Damit die PEG diese Aufgaben stemmen konnte, hat sie im Rahmen der Pilotierung ebenfalls ein Qualifizierungsangebot erhalten, dessen Schwerpunkt auf der Strategieentwicklung lag, ergänzt um die Beteiligung des Kollegiums, kohärentes Leitungshandeln und die Steuerung des Gesamtprozesses.

Welche Rolle spielte darüber hinaus die Schulentwicklungsbegleitung?

Jede an UEdigital teilnehmende Schule hatte die Möglichkeit, zwischen den Qualifizierungsmodulen und -bausteinen eine Beratung vor Ort durch eine erfahrene Schulentwicklungsbegleitung in Anspruch zu nehmen. Diese Begleitung konnte sich zum einen auf Fragen der strategischen Steuerung und deren Gelingen und dementsprechend auf die Unterstützung der Schulleitung und der Projektentwicklungsgruppe richten. Zum anderen konnten sich auch die PLGs bei der Auswertung von Erprobungen unterrichtlicher Neuerungen sowie deren Reflexion begleiten und beraten lassen. Ausgangspunkt der Beratung war dabei immer der von der Schule benannte Bedarf.

Hat bei all der Komplexität dieses Praxisprojekts denn in der Umsetzung alles so geklappt wie geplant?

Nein, ganz im Gegenteil. Der Start mitten in der Coronazeit war sehr turbulent, weil wir nicht wie geplant in Präsenz mit den Schulen arbeiten konnten, sondern für die Kommunikation und Zusammenarbeit auf Videokonferenzen und unsere moodle-Plattform ausweichen mussten. Das hat anfangs nur mäßig gut funktioniert.

Zudem wollten wir von Projektseite aus mit den ersten beiden Teilmodulen zunächst die Grundlage für gelingende Kooperation und Teamarbeit in den teilnehmenden Schulen schaffen und den Kolleg:innen zudem die Methode Lesson Study nahebringen, mit der sie dann gemeinsam Unterricht planen, durchführen, beobachten und reflektieren könnten. Dieses „Lernen auf Vorrat“ hat sich aus heutiger Sicht nicht bewährt. Denn auch wenn die Rückmeldungen zu den einzelnen Fortbildungstagen positiv waren, wurde doch eine Unzufriedenheit mit dem Angebot spürbar, weil der Wunsch nach digitalen Tools nicht bedient wurde und der unmittelbare Nutzen für den eigenen Unterricht zu diesem Zeitpunkt für die Teilnehmenden nicht erkennbar war.

Das hat sich erst mit dem zweiten Modul „Neue Lernkultur“ geändert, in dem es um personalisiertes, kooperatives und kreativ-gestaltendes Lernen ging und dementsprechend erste Unterrichtsvorhaben geplant und dann auch in den Schulen umgesetzt werden konnten.

Wie sind Sie mit den veränderten Rahmenbedingungen und der Kritik der Teilnehmenden umgegangen?

Sehr offen. Wir haben uns von Anfang an als lernendes Projekt verstanden und es war allen Beteiligten klar, dass es sich um eine Erprobung eines Angebots handeln würde, das viele schlaue Menschen mit bestem Wissen und Gewissen für die teilnehmenden Schulen konzipiert haben. Das haben wir auch den teilnehmenden Schulen gegenüber kommuniziert. Durch diese Offenheit und das gemeinsame Reflektieren innerhalb des Teams und mit den Schulen ist es uns mehr und mehr gelungen, die entscheidenden Stellen zu identifizieren, an denen wir nachjustieren und umbauen mussten. Wir haben alle Rückmeldungen immer als äußerst konstruktiv wahrgenommen. Und nein, wir hatten auch nicht immer sofort eine Lösung parat. Das war ein Ausprobieren, das allen ein hohes Maß an Flexibilität abverlangt hat. Aber auch wir sind mit unseren Aufgaben gewachsen – dank der Hilfe und Unterstützung der teilnehmenden Schulen und der Offenheit und Expertise aller am Projekt Beteiligten.

Nun haben Sie den ersten Durchgang abgeschlossen. Wenn Sie ein Resümee ziehen sollen: Was sind die zentralen Erkenntnisse daraus?

Eine Erkenntnis, die wir auch in späteren Durchgängen dieser Qualifizierung direkt umsetzen werden, ist, dass es einen schnelleren Einstieg in die Praxis der Unterrichtsentwicklung und des Einsatzes digitaler Instrumente geben muss. Wir können zukünftig auch viel früher im Modulverlauf deutlich machen, dass der Fokus auf dem Variieren und Reflektieren von Unterricht und der Gestaltung von Lernprozessen liegt. Ausgewählte digitale Tools werden in diesem Kontext sicherlich auch genutzt, allerdings funktional zur Unterstützung didaktischer Schlüsselstellen – und nicht mit dem Anspruch, dass immer alles digital erfolgen muss.

Des Weiteren möchten wir in kommenden Durchgängen die Leitungsverantwortung und strategisches Leitungshandeln in den teilnehmenden Schulen noch mehr stärken. Statt einer Projektentwicklungsgruppe werden wir zukünftig mit der erweiterten Schulleitung bzw. einer Leitungsgruppe arbeiten. Wichtig ist uns den Schulen deutlich zu machen, dass es sich bei UEdigital nicht um ein Projekt neben anderen handelt, sondern um Unterrichtsentwicklung, die die Schule als Ganzes betrifft.

Wir können und vorstellen, dass Sie das Interesse vieler Schulen geweckt haben. Wie geht es nun weiter?

Wir arbeiten derzeit an einem Angebot, das in den kommenden Jahren allen interessierten Schulen im Kreis Gütersloh zugänglich gemacht werden soll. Es basiert grundsätzlich auf unserem Konzept zu „UEdigital“, aber natürlich haben wir es entsprechend unserer Erfahrungen und Erkenntnisse noch einmal überarbeitet und an die derzeitigen Bedingungen angepasst. Wir sind uns darüber im Klaren, dass wir weiter lernen und dieses Konzept mit jedem weiteren Durchgang weiterentwickeln werden. Aber das schreckt uns nicht ab, das macht auch großen Spaß.

Eine Info-Veranstaltung für den zweiten Durchgang hat bereits stattgefunden. Das Interesse der Schulen im Kreisgebiet ist weiterhin groß, worüber wir uns freuen. Wir hoffen, im neuen Schuljahr mit zehn bis zwölf weiteren Schulen starten zu können. Aber mit der Offenheit für Anpassungen wird UEdigital auch immer ein bisschen ein Pilotprojekt bleiben – und das ist auch gut so!