Bildung ist mein Lieblingsthema. Als Mutter kämpfe ich mich durch den Schulalltag. Als Engagierte interessieren mich die Chancen der Anderen. Daher schaue ich schon genau hin, was in meiner Stadt passiert. Sehr aktuell:
Die Kommunen sollen es richten, was Bildungspolitik angeht. Das zeigt einmal mehr der in NRW vollzogene „Schulfriede“. Was auf Landesebene politische Ruhe bringt, trägt nun aber die Notwendigkeit zum Handeln in die Städte und Gemeinden. Obwohl –  der Druck war ja schon längst da. Nur das Tempo, dieses heiße Eisen vor Ort auch anzufassen, ist unterschiedlich. Gütersloh ist eine Stadt von vielen, die sich zaghaft auf den Weg macht:
Erster Bildungsgipfel in der Stadt
Das Forum in der Anne-Frank-Gesamtschule ist voll besetzt. Der erste Gütersloher Bildungsgipfel steht auf dem Programm.
http://www.guetersloh.de/Z3VldGVyc2xvaGQ0Y21zOjMxOTc=.x4s?cid=5724
Für einen Samstag so kurz vor den Sommerferien ist die Teilnehmerzahl beachtlich: 130 Interessierte. Es sind vornehmlich Vertreter aus dem Bildungsbereich der Stadt präsent. Insgeheim hätte ich mir mehr „echte Betroffene“ gewünscht. Aber dazu wäre eine noch breitere Einladungswelle notwendig gewesen. Vielleicht beim nächsten Mal an alle Eltern adressiert, auch die, deren Kinder demnächst eingeschult werden?
Dennoch: Einen solchen intensiven Austausch über die verschiedenen Aspekte des Schulentwicklungsplans, wie die Auswirkungen des demografischen Wandels oder die Neuerungen im Rahmen der Schulpolitik des Landes NRW wurden noch nie so öffentlich thematisiert. Immerhin steht die Fortschreibung des Schulentwicklungsplanes ab 2012 auf der politischen Agenda.
Nur zum Wohl des Kindes…
Bürgermeisterin Maria Unger begrüßte die Teilnehmer, lobte die schon „gut gestaltete Bildungslandschaft“ in Gütersloh. Schnell kam sie auf den Punkt, bemühte den Satz, den alle im Munde führen: „Bildung ist die wichtigste Aufgabe der Zukunft.“ Es gehe also darum, mit Augenmaß zu arbeiten auf dem sehr undurchsichtigen Feld der Bildung: „Hier wirken sehr Viele – unter anderem auch die Gerichte mit.“ Bildungsbeschlüsse in der Politik müssten einzig und allein dem Wohl des Kindes dienen. „Es geht nicht um uns“, sagte sie und meinte wohl die politischen Parteien aller Couleur. „Jedes Kind hat nur eine Schullaufbahn, die gilt es günstig zu gestalten“, war ihr Fazit, was mit viel Applaus versehen wurde. Irgendwie musste an dem Punkt wohl jeder an seine eigene Schullaufbahn denken, was wäre gewesen, wenn….
Als Referent für diesen Tag hatte die Stadt Dr. Ernst Rösner vom Institut für Schulentwicklungsplanung an der TU Dortmund http://www.ifs-dortmund.de/319.html
gewonnen. Ich habe ihn schon mal in der Uni Bielefeld erlebt – Rösner steht für klare Worte.
Wir schrumpfen, das ist bekannt
Ich wurde nicht enttäuscht: Als erstes heftete er seine sechs Rahmenbedingungen an die Tore der Stadt: 1. Es gibt weniger Kinder, 2. Immer mehr Eltern wollen Schulen mit gymnasialem Inhalt ohne Bruch zum Abitur, 3. Immer mehr Eltern wünschen sich weiterführende Schulen mit Ganztag, 4. Die Mehrheit der Eltern lehnt eine Auslese der Kinder nach der 4. Klasse ab, 5. Inklusion ist ein Wunsch vieler und eine Verpflichtung der Politik, 6. In der Schulentwicklung muss man die Realität erkennen.
Was zunächst als Allgemeinwissen daherkam, konnte Rösner auf die Stadt Gütersloh ummünzen. Die Zahlenakrobatik war damit konkret: Die Schrumpfung der Stadt steht fest. Mehr dazu: http://www.wegweiser-kommune.de/
Nichts bleibt, das verspreche ich Ihnen
Zum Schulwahlverhalten machte Rösner die deutliche Ansage: „Es ist eine Illusion zu glauben, alles bleibt wie es ist.“ Die politischen Kräfte sollten eine Prognose einer Entwicklung wagen, daran käme man in der Stadt nicht vorbei. Aus der Korrelation von altem Verhalten und einer Prognose entwickele sich in der Regel ein Korridor für Zukunftsentscheidungen. Dabei dürfe man gerne im Blick behalten, dass in der aktuellen Entwicklung die Gymnasien die Gewinner seien und die Hauptschulen die Verlierer. Ein Trend nicht nur in NRW, sagt er. „Eltern finden heute Mittel und Wege, ihr Kind auf die beste Schule zu schicken, wie sie es wollen“, so seine Erfahrung.
Die spannende Frage „Was ist die Realschule, wenn es die Hauptschule nicht mehr gibt?“, sollte jeder für sich beantworten – die Politik aber auf jeden Fall. Die statistische Ablichtung, wer in der Stadt auf welche Schule gehe, zeigte deutlich, Gütersloh liege unter dem Landesdurchschnitt NRW, was die Abiturquote angeht „Es ist immer nur der zweitbeste Weg, wenn die Kinder am Ende die Anpassung an die Oberstufe schaffen müssen“, meinte er. Man sah es förmlich in den Gesichtern des Publikums: Jetzt mussten viele überlegen, was er damit meinte. Dann wurde er konkreter: „Besser also gleich aufs Gymnasium, in Gütersloh ist noch viel Potenzial zu heben.“
Fragen Sie mal nach
Ein Rat schrieb er dem Rat zudem ins Stammbuch: „Wenn Sie in ihrem Ort danach fragen, wann Kinder „sortiert“ werden sollen, bekommen Sie ein eindeutiges Votum“, vermutete er, „die Befragten werden antworten: nicht zu früh.“ Ein Trend, der sich bundesweit abzeichnet.
Für die Schulstruktur empfahl er: Schulen müssten klein und vollständig sein, also Unterricht auf allen Ebenen, und Schulen müssten den Ganztag anbieten. Längeres gemeinsames Lernen, auch für Kinder mit Behinderung sei ein Ziel, neue Schulen sollten in den vorhandenen Gebäuden als Ganztag ausgebaut werden, neue Schulen bräuchten keine eigene Oberstufe: aber zwingend eine Oberstufe als Partnerschule. Anders wäre Schule mit allen Chancen nicht glaubhaft zu vermitteln. Vor dem Hintergrund des gestrigen Schulfrieden auf Landesebene eine bleibende Herausforderung.
Was also tun?
„Was also kann ein Schulträger leisten?“ war am Ende die Gretchenfrage, denn es ging in Gütersloh ja um die Fortschreibung des Schulentwicklungsplans. Rösners Antwort: bedarfsgerechte Angebote schaffen! Und dazu auch die Elternwünsche in Erfahrung bringen. Hinter diesen so formulierten Zielen müsse die Kommunalpolitik zurückstehen. Schulen sollten zudem standardspezifisch unterstützt werden, nicht alle Schulen gleich behandeln. „Man sieht sich dabei den Standort und das Umfeld an“, so Rösner. Es gelte auch, die Schulstatistik zu analysieren: „Wie viele Schüler fliegen denn bei Ihnen auf dem Weg zwischen 5 und 12 oder 13 wieder raus?“, fragte er. An dieser Stelle gelte es, Ursachenforschung zu betreiben, das sei eine original kommunale Aufgabe. (Das sehe ich genau so. Und freue mich immer, wenn das im Bildungsausschuss der Stadt mal thematisiert wird/würde.)
Weißer Rauch der Erkenntnis
Am Ende zeigte sich Rösner auch als Ökonom: Investitionen in Bildung biete die höchste und beste ökonomische Rendite. Leider zahle sich diese erst in rund 15 Jahren aus, also erst in drei bis vier Wahlperioden. Was Politik im Bildungsbereich so schwierig mache. Keine schnellen Erfolge in Sicht. Deutschland rangiert hier im Vergleich auf den unteren Plätzen. „Das wird sich rächen, unsere Kinder werden dafür den Preis zahlen“, so sein Kommentar.
„Wenn Sie Kommunalpolitiker wären, welchen Antrag würden Sie dann in Folge des Bildungsgipfels als erstes stellen?“ habe ich ihn zum Schluss gefragt. Seine Antwort: „Ich würde Politiker so lange einschließen und erst dann wieder raus lassen, wenn weißer Rauch aufsteigt.“ Nun liegt der Bildungsball in der Kommune. Warten wir also auf weißen Rauch. Und dann wird nachgefragt…