Diese Woche ist der neue Mikrozensus herausgekommen. Er zeigt, dass die Vielfalt im Land weiter steigt: der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund an der Bevölkerung hat sich 2010 weiter erhöht.
Nun streicht die Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes heraus, dass Migranten im Vergleich zur Bevölkerung ohne Migrationshintergrund ein niedrigeres Bildungsniveau haben (Pressemitteilung Nr.355 vom 26.09.2011). 15,3 Prozent hätten keinen Schulabschluss, während das bei den Nicht-Migranten 2 Prozent seien. Das klingt nach echter Bildungskatastrophe und gescheiterter Integration – denn im Vergleich zu den Einheimischen sind demnach siebenmal so viele Migranten ohne Schulabschluss. Darüber stolpere ich, weil ich den Eindruck nicht loswerde, dass hier ein Zerrbild entsteht – nicht nur in den Köpfen deren, die meinen, Deutschland schaffe sich ab.
Denn die Bevölkerung mit Migrationshintergrund ist keine homogene Gruppe. Unterschiede zwischen Altersgruppen, Bildungsprofilen, Einwanderungskontexten und Herkunftsländern müssen berücksichtigt werden.

Anteil der Bevölkerung ohne Schulabschluss nach Migrationsstatus und Alter
Anteil der Bevölkerung ohne Schulabschluss nach Migrationsstatus und Alter

Natürlich war das Bildungsniveau der Gastarbeiter der 60er Jahre aus den südeuropäischen Ländern und der Türkei eher gering – deshalb wurden sie ja nach Deutschland geholt, um unqualifizierte Jobs zu übernehmen, für die sich keine Einheimischen mehr fanden. Aber die Bildungssituation ihrer Kinder, also der zweiten und dritten Generation, hat sich verbessert. Der Abiturientenanteil bei den 15- bis unter 25-Jährigen mit Migrationshintergrund ist z.B. zwischen 2005 und 2010 von 19,6 Prozent auf 21,6 Prozent gestiegen – auch ein Befund des aktuellen Mikrozensus.
Anteil der 15-bis-24-Jährigen mit Abitur
Anteil der 15-bis-24-Jährigen mit Abitur

Die Zuwanderer der 90er Jahre, im wesentlichen Spätaussiedler aus Polen und der ehemaligen Sowjetunion, hatten ohnehin ein völlig anderes Bildungsprofil als die Gastarbeitergeneration. Bei ihnen ist der Anteil derjenigen mit Abitur bzw. einem vergleichbaren Abschluss oft höher als bei den Deutschen ohne Migrationshintergrund.
Das Bild des unqualifizierten Migranten ist also ein Zerrbild. Auf Nachfrage lieferte das Statistische Bundesamt die Auskunft, dass der Bildungsabstand in der Generation der 15- bis 24-Jährigen nicht siebenmal, sondern zweimal so hoch ist. Von den 15- bis unter 25-Jährigen mit Migrationshintergrund hatten nämlich 9,4 Prozent keinen Schulabschluss, bei den 15- bis unter 25-Jährigen ohne Migrationshintergrund waren es 4,6 Prozent. Personen, die sich noch in Ausbildung befinden, sind hier nicht berücksichtigt.
Das zeigt immer noch den Handlungsbedarf, der nicht heruntergespielt werden soll – aber es zeigt, dass wir nicht dramatisieren und keine Katastrophenszenarien malen dürfen. Ich bin davon überzeugt, dass gerade Familien mit Zuwanderungsgeschichte Bildungsaufstiege realisieren und Deutschland bei vielen das Versprechen des Aufstiegs durch Bildung einlöst.
Ulrich Kober