Schulgesetze wie das von Nordrhein-Westfalen formulieren einen richtigen Anspruch: „Die Schule unterrichtet und erzieht junge Menschen. Schule und Eltern wirken bei der Verwirklichung der Bildungs- und Erziehungsziele partnerschaftlich zusammen.“ Die Reformpädagogen treten seit jeher für die voneinander untrennbare Bildung und Erziehung des gesamten Menschen ein. Im Englischen umfasst der Begriff „education“ Bildung und Erziehung gleichermaßen. In Deutschland hingegen trennen wir meist beides voneinander – nicht nur begrifflich. Denn Eltern und Lehrer übernehmen zu selten gemeinsam Verantwortung für das Kind. Stattdessen prägen eher Vorwürfe und unerfüllte gegenseitige Erwartungen das Eltern-Lehrer-Verhältnis.
Was hierzulande zwischen Eltern und Lehrern stattfindet, hat leider häufig weniger mit gemeinsamer Verantwortung und Erziehungspartnerschaft zu tun, als mit einem Schwarzer-Peter-Spiel, das der ehemalige Leiter des Internats Schloss Salem, Bernhard Bueb, so beschreibt: „Die Kontroverse geht um die Frage, wer eigentlich die Kinder erzieht, die Lehrer oder die Eltern. Die Lehrer sehen immer mehr erzieherische Aufgaben auf sie zukommen, für die sie nicht ausgebildet sind und für die sie nicht bezahlt werden. Die Eltern andererseits sehen sich immer mehr als Lehrer, die bei der Hausaufgabenbetreuung das nachholen, was die Lehrer im Unterricht versäumen.“
Gute Bildung und Erziehung gelingen aber erst dann, wenn beide Seiten gemeinsam Verantwortung für die Kinder tragen. Verbindlichkeit und klare Regeln sind hierfür Voraussetzung. Eltern können zwar ihre Kinder in der Schule abgeben, nicht aber die Verantwortung für sie; denn die Schulen sorgen nicht statt der Eltern, sondern mit ihnen für die Kinder. Auch wenn sich die Lebenswelt der Kinder heute mehr und mehr in die Kitas und Ganztagsschulen verlagert: Die elterlichen Pflichten schwinden dadurch nicht.

Wie ein partnerschaftliches Miteinander konkret aussehen kann, zeigt das Beispiel eines „Erziehungsvertrages“, den Eltern und Klassenlehrer an der Grundschule Kleine Kielstraße in Dortmund abschließen: Die Eltern sichern darin unter anderem zu, das Kind morgens pünktlich zur Schule zu schicken und zuhause einen Platz zu schaffen, an dem es in Ruhe seine Hausaufgaben machen kann – Dinge, die eigentlich selbstverständlich sein sollten, es aber längst nicht mehr sind. Der „Vertrag“ regelt auch, auf welche Weise Eltern am schulischen Leben mitwirken können. Eltern werden an der Kleinen Kielstraße eingeladen, sich ein Bild davon zu machen, was in der Schule geschieht, und die schulische Arbeit aktiv mitzugestalten: egal ob als Lesemutter, als Bastelvater oder bei der Pausenverpflegung. An der Kleinen Kielstraße gibt es zudem Foren wie das „Eltern­ca­fé“ oder Beratungs- und Unterstützungsangebote, die Eltern helfen, den Kon­takt zur Schule aufzubauen und Hemm­schwel­len zu über­win­den.  So verwandelt sich allmählich die Perspektive vieler Eltern: von „Ich und mein Kind“ zu „Wir und unsere Schule“. Oder anders ausgedrückt: Auf diese Weise lässt sich gut dem latenten Gefühl der Lehrer begegnen, Eltern seien nicht Partner der Schule, sondern egozentrische Lobbyisten ihrer Kinder.
Doch nicht nur die Eltern müssen ihren Beitrag leisten. Genauso müssen Schulen und Lehrer akzeptieren, dass auch Erziehung zu ihren Aufgaben gehört. So sind Lehrkräfte zwar meist sehr an der Mitarbeit der Eltern in der Schule interessiert, aber die vom Gesetz geforderte Kooperation von Lehrern und Eltern erstreckt sich bislang eher selten auch auf die Erziehungsprobleme in der Familie. Damit stellt sich die Frage, wie weit die angestrebte Bildungs- und Erziehungspartnerschaft denn gehen kann und darf – und welche Voraussetzungen dafür z.B. im Rahmen der Lehrerbildung (Studium, Referendariat und Weiterbildung) geschaffen werden können. Was glauben Sie?
Zum Weiterlesen: Jörg Dräger: Dichter, Denker, Schulversager: Gute Schulen sind machbar — Wege aus der Bildungskrise — Mit einer politischen Gebrauchsanweisung von Klaus von Dohnanyi. Deutsche Verlagsanstalt, München 2011, S. 139ff