Whiteboards prägen das Bild auf der didacta
Whiteboards prägen das Bild der didacta

Am Mittwoch war ich wieder einmal auf der didacta, die diesmal in Hannover stattfand. Die „weltweit größte Bildungsmesse“ hat sich im Lauf der Jahre verändert, so mein Eindruck. Das lässt sich an kleinen Details festmachen – zeigt sich aber auch an den großen Megatrends. Zu den kleineren Dingen zählt vielleicht, dass es in früheren Jahren eher die Lehrkräfte waren, die von sich aus aktiv geworden sind und sich als Jäger und Sammler auf der Messe nach pädagogisch Brauchbarem umgeschaut haben. Das ist heute anders. Messebesucher werden bereits am Eingang belagert und bedrängt, mit Zeitschriften und Gutscheinen zugeschmissen – und wem vor lauter Höflichkeit kein klares „Nein!!!“ über die Lippen kommt, hat nach drei Minuten seinen Trolley bereits randvoll mit unterschiedlichsten Druckerzeugnissen. Diese Papierflut steht in krassem Gegensatz zu einem der absoluten Megatrends im Bildungsbereich, der Digitalisierung. Von Schule 2.0 oder gar 3.0 ist auf der didacta die Rede und vom „Ende der Kreidezeit“. Mit recht viel Pathos wird damit suggeriert, dass Tafel und Schulbuch ausgedient hätten, während mobile Endgeräte mit Anbindung ans Internet (Notebooks und Tablets etc.) neue Lernerfahrungen ermöglichten und zu einem höheren Maß an Schüleraktivität und Eigenverantwortlichkeit führten. Fakt ist: Die Digitalisierung schreitet rasant voran, Web 2.0 und Social Media haben vielerorts Einzug in die Schule gehalten, Schüler wie Lehrer schaffen eigenständig neue Inhalte und finden neue Formen der Zusammenarbeit.
Minister Althusmann bei der Preisverleihung des digita
Minister Althusmann bei der Preisverleihung des digita

Selbst der Niedersächsische Kultusminister, Bernd Althusmann, kommt in seiner Rolle als Schirmherr des Bildungsmedien-Preises digita nicht umhin, sich positiv zu diesem Trend zu äußern: Der Einsatz neuer Medien böte neue Möglichkeiten. Ihr Einsatz im Unterricht sei eine wichtige Ergänzung, wenngleich auch nicht die allein selig machende Methode. Kernpunkt sei auch zukünftig der Lehrer. Dem kann ich mich anschließen – und versuche, mir einen Überblick über digitale Angebote zu verschaffen.
Apple ist omnipräsent
Über Apples Strategie, das  iPad als Schulbuch-Ersatz zu vermarkten, ist bereits hinlänglich berichtet worden (z.B. auf spiegel-online, hier und hier): Mit interaktiven, multimedialen Lehrbüchern sollen Schüler für Lerninhalte interessiert und so letztendlich noch mehr Endgeräte (insbesondere iPads) an Schüler, Lehrer und die Schulen gebracht werden. Wie massiv Apple auf den Bildungsmarkt drängt, ist auf der didacta an jeder Ecke spürbar… und sichtbar. Kaum ein Verlags-Stand, an dem die hauseigenen Produkte nicht auf einem schicken Apple-Rechner oder Tablet präsentiert werden.  Der Nimbus der Marke ist groß und viele Aussteller scheinen zu hoffen, dass dieser Glanz auf die eigenen Produkte abfärbt. Workshops zum Einsatz von iPads im Unterricht sind der Renner auf der didacta. Allein für den Mittwoch sind sieben Veranstaltungen zu diesem Thema im Rahmenprogramm gelistet – für alle Schulstufen und Fachrichtungen. Ich bleibe skeptisch. Entscheidend für den Einsatz im Unterrichtsalltag dürfte letztendlich die Qualität der Anwendungen und Lehrwerke sein… und bei letzteren haben die deutschen Schulbuchverlage auch noch ein Wörtchen mitzureden.
Digitale Schulbücher – konkurrierende Verlage bilden Allianz
Verständlicherweise sind die deutschen Schulbuchverlage nicht glücklich über Apples Initiative im Bereich der Bildungsmedien. Darum haben sich nun 27 Lehrbuchverlage zusammengetan und eine Art Allianz gebildet. Gemeinsam bieten sie eine Plattform namens „Digitale Schulbücher“ an. Auf der didacta (Halle 17) hatte ich Gelegenheit, mir den Prototypen etwas näher anzuschauen: An drei schicken Apple-Rechnern mit großen Cinema-Displays konnten die ersten digitalen Schulbücher bewundert werden. Diese werden – ähnlich wie bei der iBooks App – in einem virtuellen Regal angeordnet. Die Lehrwerke sollen zukünftig über einen Freischaltcode direkt bei den beteiligten Verlagen herunterladen werden. Im Mini-Flyer der Verlage liest sich das so: „DIGITALE SCHULBÜCHER ist eine offene Lösung, mit der Schulen, Lehrer und Schüler Bücher verschiedener Verlage in einem Regal verwalten, lesen und nutzen können – online oder offline.“ Fragt sich nur, was hier mit „offen“ gemeint ist. Sicherlich nicht, dass die Inhalte unter offener Lizenz (z.B. cc-by-sa) stehen und von der Lehrerschaft verändert und weitergegeben werden dürfen. Denn: das Ganze soll ja auch „sicher“ sein. Und darum ist die „datenschutzrechtliche Zertifizierung in Vorbereitung.“ Das wiederum dürfte nichts anderes sein als eine neue Form von DRM. Wie dem auch sei, das Ganze sieht tatsächlich schon sehr schick aus – und die digitalen Schulbücher bieten auch einige zusätzliche Funktionen zur Kennzeichnung von Text (Markierungen, Unterstreichungen, Notizen), so dass sie sich für den Einsatz im Unterricht, sei es per Beamer oder Whiteboard, durchaus eignen. Für alle, die nicht auf der didacta einen Blick erhaschen konnten: Nach den Sommerferien sollen die digitalen Schulbücher auf der Plattform für die Allgemeinheit verfügbar sein.
Klett fährt Doppel-Doppelstrategie
Na klar, auch die Schulbücher von Klett wird es weiterhin als Printausgabe geben. Aber weil die Zukunft des Lernens im Internet und mobilen Endgeräten liegt, beteiligt sich Klett auch an der o.g. Herausgabe digitaler Schulbücher. Mehr noch: Um sich von der Konkurrenz abzusetzen, werden zudem für jedes neu erscheinende Schulbuch „digitale Unterrichtsassistenten“ entwickelt. Der Unterrichtsassistent bildet das gesamte Schulbuch inklusive Lehrerband, Lösungen, Kopiervorlagen, Materialien (auch Mulitmedia-Assets wie Videos, Animationen und interaktive Übungen) digital ab. Alles kann am Lehrerarbeitsplatz mit Notizen oder Markierungen versehen werden und im Unterricht z.B. per Beamer oder Whiteboard den Schülern präsentiert werden. Damit bieten die Unterrichtsassistenten vergleichbare Funktionen wie apples neues ibook-Format (vgl. Artikel beim golem.de). Allerdings handelt es sich bei der Klett-Lösung bei genauerer Betrachtung gar nicht mehr um ein ebook, das z.B. in einem Reader geöffnet wird, sondern um eine proprietäre Software, die auf dem Endgerät des Nutzers installiert sein muss. Auf der didacta wurden eifrig Demo-CDs verteilt… bislang jedoch nur für die Windows-Plattform. Was aber ist mit den Endgeräten, die gar kein optisches Laufwerk mehr haben? Wenn Apple den Bildungssektor selbst besetzen möchte, wird es die Klett-Produkte dann zukünftig im app-store geben? Oder wie Torsten Larbig anmerkt:

„ich stelle mir vor, Apple verweigerte einem von einem Bundesland freigegeben Schulbuch die Aufnahme in den iBooks-Store…“

meinUnterricht.de
Am Ende eines langen Messetages bereits etwas füßmüde bin ich dann noch über @cervus gestolpert, der gerade mit ein paar Kumpels in der kuscheligen Nische von meinUnterricht.de abhing und ein wenig fachsimpelte, was auf Neudeutsch wohl „Hangout“ heißt. meinUnterricht.de bietet die Möglichkeit, Unterrichtsmaterialien passgenau suchen und einzelne Arbeitsblätter oder Fachtexte (statt des gesamten Buchs) herunterladen und „editieren“ zu können, natürlich gegen Bezahlung (im Abo-Modell). Verfügbar sind – siehe da – die Inhalte der Fachverlage aus der Klett-Gruppe (u.a. Raabe, Auer und der Friedrich Verlag). Richtig viel Freude kommt derzeit aber nicht auf, weil sich die Seite noch im Beta-Stadium befindet und nicht besonders viele Inhalte verfügbar sind. Mein zugegeben flüchtiger Eindruck war, dass es hier lediglich um eine Zweitverwertung von Inhalten aus Printpublikationen (und damit einen weiteren Vertriebsweg) handelt, der möglicherweise zu weniger Papier auf dem Lehrer-Schreibtisch führt, sonst aber nur wenige Vorteile bietet.
Und was ist mit freien Lerninhalten?
Deutlich spürbar wird auf der didacta 2012 die wachsende Bedeutung digitaler Medien für formales Lernen im Kontext Schule – und die große Angst der Schulbuchverlage, eine wichtige Entwicklung (nichts weniger als den Leitmedienwechsel) zu verpassen. Digitale Schulbücher sind vielfach gefordert worden, unter anderem von Felix Schaumburg. Die Enttäuschung über fehlende Angebote der Verlage in diesem Bereich war bislang groß und führte, spätestens ausgelöst durch die Debatte um den Schultrojaner (in Breite auf dem EduCamp Bielefeld) zu einem klaren Bekenntnis der Edu-Szene zu offenen bzw. freien Bildungsinhalten (OER). Auch in diesem Bereich ist einiges in Bewegung gekommen – wovon auf der didacta allerdings recht wenig zu sehen war (bis auf den Stand von rpi virtuell).
Und wie wird es nun weitergehen? Wird es, wie bislang, bei einer Monopolstellung der Schulbuchverlage bleiben, oder gelingt es Apple, hier einen Fuß in die Tür zu bekommen? Welche Bedeutung können Open Educational Resources zukünftig für formale und nicht-formale Lernprozesse in Schule und Hochschule haben? Mein Eindruck: Es ist ganz viel in Bewegung geraten und ein Ende der Entwicklung lange noch nicht absehbar. Von einem Leitmedienwechsel wird man vermutlich aber erst sprechen können, wenn die Neuen Medien auch wirklich Einzug gehalten haben in die pädagogische Praxis und zu einer Selbstverständlichkeit für Schüler wie Lehrer geworden sind.
PS: Um kein schiefes Bild zu erzeugen, möchte ich darauf hinweisen, dass die digitalen Medien das Bild der didacta 2012 zwar stark geprägt haben, es aber natürlich weitere bedeutsame Themen gegeben hat, die die Diskussionen auf der Messe bestimmt haben. Dazu gehörten unter anderem die Reform der Lehrerbildung, die Entwicklungen in Richtungen inklusive Schule, die Bedeutung des Ganztags, Möglichkeiten der Kooperation von Elternhaus und Schule und die Frage, welche Rolle Schule in der Einwanderungsgesellschaft spielen kann und soll. Wichtige Aspekte, die nicht in diesem, aber in einem späteren Blogbeitrag noch einmal schlaglichthaft beleuchtet werden sollen.
Christian Ebel