Müsli und die Zukunft des Lernens haben viel miteinander zu tun. Der Einfluss des Internets auf Frühstücksflocken und Bildung zeigt bemerkenswerte Parallelen.

Es war einmal eine Zeit, da standen in den Regalen unserer Supermärkte ein paar Packungen Haferflocken (in Deutschland waren die meistens hellblau). Das war so lange ausreichend, wie sich alle dem gleichen Geschmack unterordneten. Mit der Zeit aber wuchsen die Regalmeter an Müslis und sonstigen Frühstücksflocken in den Supermärkten ins schier Unermessliche: Man konnte zwischen allen Formen, Farben, Zutaten und sogar Zuckeranteilen wählen.

Wenn nun die Auswahl zu groß wird und damit die einzelnen Verkaufsmengen zu klein, lässt sich ein solches Angebot auf Dauer nicht mehr aufrechterhalten. Da kam dem Liebhaber ausgefallener Frühstückscerealien das Internet der ersten Generation zu Hilfe. Im Online-Shop ließ sich auch das Müsli bestellen, das im Supermarkt um die Ecke nicht verfügbar war. Ich weiß, wovon ich spreche, ist doch mein Lieblingsmüsli zwar in den USA, Portugal und Schweden zu haben, nicht aber in Deutschland. Statt auf der Rückreise aus dem Urlaub regelmäßig die Koffer voller Bran Flakes (natürlich mit Rosinen!) zu stopfen, genügte auf einmal die Bestellung übers Internet.

Genau hier steht heute die Online-Bildung mit den vieldiskutierten Massive Open Online Courses (MOOCs). Wenn die FH Potsdam ihren Kurs „The future story telling“ bisher auf dem Campus anbot, so war die Zahl der Teilnehmer im Brandenburgischen überschaubar. Für Interessierte aus Flensburg oder Berchtesgaden lohnte sich – so sie überhaupt von diesem Angebot wussten – die wöchentliche Reise in den Osten nicht, von Studenten aus Indien oder China ganz zu schweigen. Über die „Online-Universität“ iversity haben sich jetzt über 75.000 Menschen für diesen Kurs angemeldet, etwa 25-mal mehr als die gesamte Hochschule reguläre Studierende hat. Das Internet macht´s möglich, Raum und Zeit sind keine echten Hindernisse mehr – bei der Bildung wie beim Müsli.

Das Müslibestellen ist hier aber nicht stehen geblieben. Dank dem Internet der nächsten Generation kann man seine Bestellung heute nach Belieben personalisieren. So kann ich mir auf mymuesli.com aus 80 Zutaten mein ganz persönliches Wunsch-Müsli zusammenstellen und direkt nach Hause liefern lassen. Dieser ziemlich revolutionäre Schritt vom immer und überall zugänglichen Konfektionsprodukt hin zur maßgeschneiderten Einzelanfertigung steht uns in der Bildung noch bevor. Nicht allein die bereits stattfindende digitale Massifizierung der Bildung (die heutigen MOOCs) wird die wirklich großen Veränderungen bringen, sondern die massentaugliche Personalisierung. Erst der POOC, also der Personalized Open Online Course, wird unser Bildungswesen grundsätzlich aufwirbeln und – hier stimmt die gern zitierte Metapher wirklich – wie ein digitaler Tsunami durch die Bildungslandschaft fegen.

Das bedeutet konkret: „one size fits it all“ wird abgelöst durch einen höheren Grad an Personalisierung. Erste  Bildungssuchmaschinen wie Noodle schlagen mir schon heute Bildungsprodukte vor, die zu meinem Profil und Lernziel passen – und kalkulieren dann sogar noch, wie ein solcher Kurs die Einstellungschancen bei meinem Wunscharbeitgeber verbessern würde. Online-Programme wie Knewton analysieren für das Mathematiklernen jeden meiner Fehler und adaptieren meinen persönlichen Lernweg dementsprechend. Die New Yorker Reformschule New Classrooms berechnet auf ähnliche Weise jede Nacht für Tausende von Schülern das maßgeschneiderte Lernprogramm für den nächsten Schultag – offenbar mit Erfolg, denn erste Evaluationen zeigen signifikant bessere Lernfortschritte der teilnehmenden Schüler als der nationale Durchschnitt.

So wie ich mich als Müslifreund nicht mehr über die fehlenden Rosinen in einem Müsli von der Stange ärgern muss, wird der Lerner zukünftig weniger Langweile oder Überforderung verspüren. Wo man sich früher entweder durch Aufgaben quälen musste, die man schon längst beherrschte, oder umgekehrt an viel zu schweren Aufgaben scheiterte, fordert einen ein modernes Lernsystem genauso wie ein gutes Computerspiel immer auf dem genau richtigen Niveau. Kein Level ist auf Anhieb zu knacken, aber nach ein paar erfolglosen Versuchen habe ich eben den Trick raus und meistere die neue Herausforderung.

Bildung könnte sogar bald noch einen Digitalisierungsschritt weiter gehen. So hat eine Forscher-Gruppe am MIT Media Lab in Boston der kleinen Kamera in Laptops und Smartphones beigebracht, Emotionen, Blutdruck und Puls der Computernutzer zu erkennen. Wenn also zukünftig der Online-Lerner – trotz seines individuell zugeschnittenen Lernprogramms – einmal unkonzentriert, gelangweilt oder abgelenkt sein sollte, wird das der digitalen Technik nicht verborgen bleiben. Sie wird vielleicht eine Frage stellen, ein anschauliches Video zeigen oder eine Pause vorschlagen, um die Aufmerksamkeit des Lerners wieder zurück zu gewinnen. Manches davon mag nach George Orwell klingen. Und natürlich ist nicht alles, was technisch machbar ist, auch notwendigerweise gut für die Bildung. Wer aber nur die Risiken sieht, vergibt auch viele Chancen. Trotzdem gut, dass mein morgendlicher Gesichtsausdruck beim Müsli-Frühstück den Marktforschern verborgen bleibt.