Mehr Förderkinder an Regelschulen – und genauso viele wie bisher an Sonderschulen
Der Erziehungswissenschaftler und Sonderpädagoge Hans Wocken hat unlängst die Entwicklung der Inklusion im deutschen Schulsystem analysiert (vgl. Beitrag „Rettet die Inklusion“ auf Bildungsklick). Seine Erkenntnis: Zwar steigt der Anteil von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in den allgemeinen Schulen in allen Bundesländern, doch gleichzeitig bleiben die Separationsquoten der Schülerinnen und Schüler in den Sonderschulen stabil. Wocken vermutet als Ursache, dass inzwischen viele Kinder, die früher nicht diagnostiziert worden sind, heute als sonderpädagogisch förderungsbedürftig etikettiert würden – „verkehrte Inklusion“ nennt das der Wissenschaftler. Insgesamt keine Entwicklung, die sich positiv bewerten ließe.

Abbildung: Exklusionsquoten im Ländervergleich
Abbildung: Exklusionsquoten im Ländervergleich

Wockens Beobachtungen decken sich mit dem „Update Inklusion – Datenreport zu den aktuellen Entwicklungen“ der Bertelsmann Stiftung: nach den Kennzahlen der KMK war im Schuljahr 2012/13 bei 10% mehr Schülerinnen und Schülern der 1. bis 10. Klasse besonderer Förderbedarf festgestellt worden als 2008/09, zu dem Zeitpunkt als die UN-Behindertenrechtskonvention in Kraft trat (6,6% im Vergleich zu 6,0%). Zwar zeigen die Zahlen, dass mehr  als ein Viertel dieser Schüler nun eine reguläre Schule besucht – über 28%, im Vergleich zu 18% in 2008/09. Aber es werden immer noch fast genauso viele Kinder an Sonderschulen unterrichtet – 4,8% 2012/13 im Vergleich zu 4,9%2008/2009. Und die Chancen dieser Förderschüler auf einen anschlussfähigen Schulabschluss sind nach wie vor schlecht: Im letzten Schuljahr verließen fast drei Viertel (73 Prozent) der betroffenen Schüler die Sonderschule ohne einen Hauptschulabschluss (vgl. „Datenreport Inklusion„).
Die Gründe dafür, dass mehr Kinder diagnostiziert werden und kaum Kinder vom Sonder- in das Regelschulsystem wechseln, mögen vielfältig sein, hinnehmbar sind sie auf Dauer nicht. Das Recht auf inklusive Bildung ist mit der UN-Behindertenrechtskonvention seit 2009 in Deutschland verankert. In der Umsetzung scheint Deutschland davon noch weit entfernt. Damit Inklusion gelingen kann, genügt es nicht, dass Kinder mit Beeinträchtigungen am Regelschulsystem teilnehmen – erfolgreiche inklusive Schulen lenken ihren Blick auf die Bedürfnisse aller Kinder und sehen ihre Unterschiedlichkeit als Chance. In diesen Schulen gelingt der Perspektivwechsel vom getrennten zum gemeinsamen Unterricht. Hier profitieren alle Kinder vom gemeinsamen Lernen. Durch die Inklusion kann sich eine neue Lernkultur entwickeln, die konsequent am Prinzip individueller Förderung ausgerichtet ist und das Potenzial jedes einzelnen Schülers / jeder Schülerin besser entfaltet.
Zum Schluss darum etwas Werbung in eigener Sache: Seit Anfang September können sich inklusive Schulen erneut um den Jakob Muth-Preis bewerben. Der Preis zeichnet seit 2009 Schulen aus, die inklusive Bildung beispielhaft umsetzen und so allen Kindern die Möglichkeit eröffnen, an hochwertiger Bildung teilzuhaben und ihre individuellen Potenziale zu entwickeln. Träger sind die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, Verena Bentele, die Deutsche UNESCO-Kommission und die Bertelsmann Stiftung: www.jakobmuthpreis.de/bewerbung
Christian Ebel und Ina Döttinger
 
 
Quellen und Literatur
Hans Wocken: Bayern integriert Inklusion. Zur schwierigen Koexistenz widersprüchlicher Systeme Hamburg (Feldhaus) 2014
vgl. http://bildungsklick.de/a/92095/rettet-die-inklusion/
Datenreport Inklusion: http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xchg/SID-E07FDE25-6835F7A1/bst/hs.xsl/nachrichten_120770.htm
WDR Thementag Schwerpunkt Inklusion : Der holprige Weg einer Reform http://www1.wdr.de/themen/politik/sp_inklusion/inklusion140.html