Die Studie von Klaus Klemm und mir zur landesseitigen Ausstattung gebundener Ganztagsschulen mit personellen Ressourcen ist nach ihrer Veröffentlichung Ende April von zahlreichen Vertretern der Kultusministerialbürokratie kritisiert worden. In diesem Beitrag gehe ich auf einige wesentliche Kritikpunkte an unserer Studie ein, um unsere Argumente zu klären und zu schärfen.
Insbesondere drei „Mängel“ haben die Kritiker an unserem Vorgehen ausgemacht (eine Zusammenstellung der wichtigsten Reaktionen findet sich z.B. hier): Erstens: Die Studie berücksichtigt nicht den kommunalen Anteil an der Personalausstattung von Ganztagsschulen. Damit sei ein Vergleich zwischen den Ländern fragwürdig. Zweitens: Die Studie stellt nur auf gebundene Ganztagsschulen ab. Damit habe sie für viele Bundesländer nur stark eingeschränkte Aussagekraft, angesichts oft dominanter, offener Angebotsformen. Und drittens: Die Studie vernachlässigt, dass es sich bei den analysierten Ländervorschriften zu den Öffnungszeiten nur um Mindestvorgaben handle. Diese würden aber faktisch von vielen Schulen überschritten.
Allen drei Kritikpunkten ist gemein, dass sie mit Verweis auf eine anders geartete Empirie argumentieren (Wenn man den kommunalen Anteil einrechnet, sieht die Lage besser aus. Wenn man die offenen Ganztagsangebote berücksichtigt, sieht die Lage besser aus. Wenn man die faktischen Öffnungszeiten berücksichtigt, sieht die Lage vielerorts besser aus.). Damit verkennen unserer Kritiker den wesentlichen Impetus unserer Analyse, der ja gerade nicht beschreibend, sondern vorschreibend ist: Wir haben nicht den Anspruch erhoben, etwas über die faktische Qualität, Verfügbarkeit oder Ausgestaltung von Ganztagsschulen in den Ländern auszusagen. Das hätte unser Vorgehen und die von uns verwendete Datengrundlage auch nicht gestattet. Uns ging es vielmehr darum zu zeigen, wie unterschiedlich—auf der Ebene von Vorschriften der Länder—die Rahmenbedingungen zur Ausgestaltung guter Ganztagsschulen ausfallen. Es handelt sich also in dieser Hinsicht um einen normativen, keinen empirischen Ansatz.

1. Fokus auf den landesseitigen Anteil an der Personalausstattung

Wir haben den kommunalen Anteil nicht systematisch berücksichtigt, weil er, von einzelnen Ländern, abgesehen, nicht systematisch geregelt ist. Die Deckungslücke wird also je nach Land und Kommune unterschiedlich geschlossen; damit sind verallgemeinerbare Aussagen über die verlässliche Vollausstattung gebundener Ganztagsschulen schlicht nicht möglich. (In einer ersten Fassung unserer Studie hatten wir im Fall des Saarlands übersehen, dass die Ganztagsschulverordnung einen Unterschied zwischen der landesseitig vorgesehenen Ausstattung und der landesseitig finanzierten Ausstattung macht. Die regulierungs- und steuerungsbezogene Lektion dieses Falls ist: Die Länder nutzen ihren Regulierungsspielraum unterschiedlich stark aus. Die saarländische Regelung stellt eines von nur wenigen Beispielen dar, wo ein Land umfassend festschreibt, wie eine gebundene Ganztagsschule auszustatten ist—in diesem Fall im Zusammenspiel von Land und kommunalen Schulträgern).
Uns ging es vielmehr darum zu zeigen, wieviel „Bildung“ aus Landessicht in Ganztagsschule steckt, und welches landesseitige Engagement die Bundesländer jeweils vorsehen. Genau daran lässt sich ablesen, wie ernst die Länder es jeweils mit ihren Bemühungen um gute Lernchancen im Ganztag meinen. Selbst im kleinen Stadtstaat Bremen variieren die kommunal finanzierten Anteile je nach Stadtgemeinde (Bremen oder Bremerhaven); dementsprechend variieren die Lernchancen Bremer Schüler.

2. Fokus auf Ganztagsschulen in gebundener Form

Gleiches gilt für unseren Fokus auf Ganztagsschulen in gebundener Form. Wir haben diesen Fokus, bewusst gewählt, weil wir diese Organisationsform prinzipiell für pädagogisch potenzialträchtiger halten als additive, freiwillige Angebotsformen von Ganztag. Damit stellen wir nicht in Abrede, dass auch an vielen offenen Ganztagsschulen in der Republik gute Arbeit gemacht werden kann und wird. Das war nur schlicht nicht unsere Fragestellung.
Im Einzelfall betreffen die von uns dokumentierten Regelungen im Moment tatsächlich nur eine geringe Zahl von Schulen. Im Saarland beispielsweise sind aktuell nur sieben Grundschulen vollgebundene Ganztagsschulen. Über alle Bundesländer betrachtet haben die von uns ermittelten Werte gleichwohl Relevanz für eine recht große Zahl von Schülerinnen und Schülern. Im Schuljahr 2014/15 lernten immerhin knapp 1,3 Millionen von ihnen in einer gebundenen Ganztagsschule. Das entspricht fast jedem fünften Schüler der Primarstufe und der Sekundarstufe I. Unser Argument war auch hier normativ orientiert: Wenn Länder sich entschließen sollten, Ganztagsschulen in gebundener Form auszubauen—welche Ressourcen würden dann gewährt werden?

3. Fokus auf die jeweiligen Mindestvorgaben für die Mehrzeit

Auch, dass Ganztagsschulen teilweise individuell über die jeweiligen Mindestvorgaben eines Landes hinaus öffnen und zusätzliche Angebote unterbreiten mögen, stellen wir nicht in Abrede. Auch hier gilt: Uns sind anspruchsvolle, verbindliche Vorgaben wichtig, damit die Chancen auf eine gute Ganztagsschule vor Ort eben gerade nicht vom persönlichen Engagement der Schulleitung und des Kollegiums abhängig bleiben. Die Bildungsverwaltung sollte sich nicht darauf ausruhen, dass Schulen schon mehr leisten werden, als von ihnen verlangt wird, sondern Vorgaben so ausgestalten, dass pädagogische Zielsetzungen und Rahmenbedingungen im Einklang stehen.

Wir brauchen länderübergreifende Mindeststandards

In Summe folgt daraus für mich: Die Kultusminister müssen die Ganztagsschule endlich gemeinschaftlich als eine Bildungseinrichtung ernst nehmen und nicht länger auf KMK-Ebene an einer Definition festhalten, die bestenfalls eine Betreuung von Schülern am Nachmittag festschreibt. Wer sich von Ganztagsschulen bessere Chancen für das (breit verstandene, auch das soziale und nicht-fachliche) Lernen erhofft, muss für länderübergreifend verbindliche, pädagogisch gut begründete Standards für Mehrzeit und die Ausstattung mit pädagogischem Personal sorgen.
Einzelne Ländern liefern für diese Aspekte gute Beispiele und gehen in Teilen ambitioniert voran. So hat Niedersachsen z.B. als einziges Land die Vorgaben für die pädagogisch nutzbare Mehrzeit vom Unterrichtspensum entkoppelt: Die Mehrzeit „atmet“ und wird nicht weniger, wenn der Unterricht in höheren Jahrgangsstufen zunimmt. Hamburg macht vor, wie man einen Mix pädagogischer Professionen vorgeben kann, ohne den Schulen deswegen die Möglichkeit zu nehmen, flexibel auf spezifische Standortbedürfnisse reagieren zu können. Und das Saarland, Bayern und Schleswig-Holstein zeigen, wie kommunale Schulträger und Land gemeinsam verlässliche Standards für eine mischfinanzierte Personalausstattung vereinbaren können. Es wäre an der Zeit, dass die Kultusministerkonferenz auch für die Zeit des außerunterrichtlichen Lernens im Ganztag Standards definiert, so wie sie es auch für alle übrigen Kernbereiche des schulischen Lernens gemäß ihres originären Auftrags seit jeher tut.

Link zur Studie: https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/die-landesseitige-ausstattung-gebundener-ganztagsschulen-mit-personellen-ressourcen/