Ab 2026 greift der Rechtsanspruch für Grundschulkinder auf einen Ganztagsplatz. Dies bringt neuen Schwung in die Debatte darüber, wie der Ganztag optimal gestaltet werden kann. Allerdings steht die Umsetzung des qualitätsvollen ganztägigen Lernens vor Herausforderungen: Es mangelt an Fachkräften und zugleich steigen die pädagogischen Anforderungen. Eine Verständigung zwischen den verschiedenen föderalen Ebenen und Ressorts ist überfällig, stellt aber eine komplexe Aufgabe dar.    

Lehrkräfte als entscheidende Akteure im Ganztag 

Forschung und erfolgreiche Praxisbeispiele zeigen eines sehr deutlich: Lehrkräfte spielen eine zentrale Rolle für die Qualität im Ganztag. Preisträgerschulen wie die des Jakob-Muth-Preises und des Deutschen Schulpreises setzen verstärkt auf die Einbindung von Lehrkräften außerhalb des regulären Unterrichts.  So macht eine qualitative Untersuchung der Preisträger deutlich, dass praktisch alle prämierten Ganztagsschulen als ein Kernelement ihres Konzepts Lehrkräfte auch im Ganztag einsetzen. Die Grenzen zwischen klassischem Unterricht und anderen schülerorientierten Lernsettings verschwimmen dabei, u.a., weil auch anderes pädagogisches Personal in allen Phasen des Lernens über den Tag im Team mit Lehrkräften beteiligt ist. Getragen ist das Ganze von einer gemeinsamen pädagogischen Grundhaltung. Und auch die Befunde aus der Evaluation des sogenannten „Pakts für den Nachmittag“ an hessischen Ganztagsschulen fördern wichtige Gründe zu Tage, warum der Einsatz von Lehrkräften in bewertungsfreien Kontexten jenseits des Unterrichts positive Wirkung zeigt: Die Lehrkräfte lernen ihre Schüler:innen in neuen Perspektiven kennen, erfahren mehr über Interessen, Stärken und Schwächen und entwickeln eine soziale Beziehung, die nicht primär von der bewertenden Rolle der Lehrkraft geprägt ist. Wichtig: Das hat einen Ausstrahlungseffekt auf den eigentlichen Unterricht, denn Lehrkräfte bringen aus dem Ganztag wichtige Ansatzpunkte zur besseren individuellen Förderung ihrer Schüler:innen mit in den Fachunterricht.  

Flickenteppich Deutschland 

Eigentlich sind diese Befunde nicht neu. Und doch werden die Erkenntnisse längst noch nicht in allen Bundesländern entsprechend beherzigt und in pädagogischen Leitlinien verankert. Zwar weisen viele Bundesländer auch Lehrerwochenstunden für Ganztagsstunden zu. Unterschiedliche Regelungen zur Anrechnung von Arbeitsstunden und Einsatzgebieten führen allerdings einmal mehr zu dem im Schulbereich so typischen Flickenteppich. So unterscheiden sich die Länder im Umfang der gewährten Lehrerstunden, in der anteiligen Anrechnung des Einsatzes im Ganztag und sogar in der Frage, ob die Stunden überhaupt zu einem Einsatz im Ganztag führen oder nur als Entlastung etwa für koordinativ-administrative Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem Ganztagsbetrieb gewährt werden.   

Neue Arbeitszeiten für einen guten Ganztag? 

Ein anderes Arbeitszeitmodell für Lehrkräfte, das derzeit manche auch aufgrund neuer Rechtsprechung, die eine Arbeitszeiterfassung künftig auch für Lehrkräfte verpflichtend machen könnte, am Horizont sehen, wäre gerade auch für eine andere Honorierung des Engagements im Ganztag wünschenswert. Wird nämlich die Zeit im Ganztag nur hälftig auf die Lehrverpflichtung (Deputat) angerechnet, schwingt hier bereits eine Geringschätzung dem Ganztag gegenüber mit. Dazu kommen auch unterschiedliche Rahmenbedingungen je nach Personalkategorie. Gemeinsame Fortbildungen von Lehrkräften und Sozialpädagog:innen sind eine erstrebenswerte Sache, werden aber schwierig, wenn die einen dafür bezahlt werden, die anderen aber nicht. Zusammengefasst: Von einer fundierenden pädagogischen Leitidee für den Ganztag sind wir in Deutschland noch weit entfernt.   

Die Zukunft des Ganztags 

Trotz des aktuellen Fachkräftemangels könnten zukünftige Berufseinsteiger:innen einen Beitrag zur Lösung leisten – auch wenn dies angesichts von bis zu 700.000 fehlenden Ganztagsplätzen bis zum Ende des Jahrzehnts und einem Mangel an pädagogischem Fachpersonal in einer Größenordnung von mehr als 100.000 Personen vielleicht utopisch klingt. Wie die im Januar 2024 von Klaus Klemm und mir veröffentlichte Prognose zur Entwicklung des Lehrkräftearbeitsmarkts in der Primarstufe jedoch gezeigt hat, könnte sich der aktuell herrschende Lehrermangel in wenigen Jahren durch sinkende Schülerzahlen und steigende Zahlen von Lehramtsabsolvent:innen in einen rechnerischen Überschuss verwandeln. Bis 2029, dem Jahr, in dem der neue Rechtsanspruch für alle vier Grundschuljahrgänge gelten soll, könnten so knapp 20.000 Absolvent:innen für einen Einsatz auch im Ganztag zur Verfügung stehen. Zwar berücksichtigen die Lehrkräftebedarfsplanungen der Bundesländer teilweise auch schon einen Bedarf für genau diesen Zweck – in welchem Umfang ist jedoch nicht transparent. Sollte die Geburtenentwicklung so oder so ähnlich eintreten, wie von uns Anfang des Jahres skizziert, würde sich jedenfalls ein zusätzlicher personeller Spielraum auftun. Den sollte Politik jetzt schon auf dem Schirm haben. Die Qualität der Ganztagsschulen und damit das Lernen der Grundschulkinder würden davon profitieren.  

 


Literatur:  

Bertelsmann Stiftung (2017):  Mehr Schule wagen. Gütersloh 

Natalie Fischer & Hans-Peter Kuhn (2021): Abschlussbericht der Evaluation “Pakt für den Nachmittag” (PfdN). Kassel   

Klaus Klemm & Dirk Zorn (2024): Weniger Geburten, mehr Lehrkräfte. Spielraum für die Grundschulentwicklung. Gütersloh 

 

Ähnliche Beiträge auf diesem Blog:

Ein unerwarteter Hoffnungsschimmer: Der Lehrermangel in der Grundschule ist bald vorbei

Q & A zur Studie Weniger Geburten, mehr Lehrkräfte: Spielraum für die Grundschulentwicklung

Keine Lösungen in Sicht? Wie weiter mit der Grundschulbildung?

Zur aktuellen Situation der Ganztagsschulen in Deutschland Oder: Von der Expansion zur Stagnation