Nach der Veröffentlichung der Studie Weniger Geburten, mehr Lehrkräfte: Spielraum für die Grundschulentwicklung sind in der (Fach-)Öffentlichkeit verschiedene Fragen diskutiert worden. Einige, die dabei unterstützen, den Ansatz und die Ergebnisse gut einordnen zu können, greifen wir mit diesem Q & A auf. Bei Bedarf wird die Sammlung fortlaufend ergänzt. 

Geht die Studie davon aus, dass der Lehrkräftebedarf nur von der Geburtenentwicklung abhängig ist? Wird der Umfang der Zuwanderung in der Prognose gar nicht berücksichtigt? 

Für den Lehrkräftebedarf sind viele Faktoren gemeinsam verantwortlich, darunter insbesondere die Zahl der Schüler:innen. Diese wird zum einen durch die Geburtenzahl bestimmt und zum anderen durch Wanderungsbewegungen. So ziehen in Deutschland geborene Kinder ins Ausland und es kommen junge Menschen neu nach Deutschland, die dann hier schulpflichtig werden. 

Für unsere Lehrerbedarfsprognose haben wir als Grundlage die Schülerzahlprognose der KMK genutzt. Darin sind Wanderungsbewegungen berücksichtigt, sowohl zu künftig erwarteter als auch bereits erfolgter Zuwanderung (z. B. im Zuge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine). Die Zahlen in der KMK-Prognose für die kommenden Jahre beruhen auf aktuellen Bevölkerungsprognosen der einzelnen Bundesländer. Weitere Angaben dazu finden sich in der KMK-Veröffentlichung aus September 2023 auf den Seiten 12, 15 und 20. 

Wir haben für unsere Studie alle in die offizielle Prognose eingehenden Annahmen und Werte unangetastet gelassen, mit einer Ausnahme: Weil die tatsächliche Geburtenentwicklung deutlich unter den von der KMK unterstellten Werten für 2022 und 2023 verlaufen ist, haben wir die Zahlen um diese Differenz nach unten korrigiert. Wir haben diese Korrektur weiterhin um die Annahme ergänzt, dass die zuletzt beobachtete Reduktion der Geburtenzahl sich auch künftig so fortsetzt. Es handelt sich bei unserer Studie also um eine „Ceteris paribus“-Betrachtung, in der alle anderen zuvor von der KMK gemachten Annahmen unverändert bleiben. 

Ist die Annahme, dass die Geburtenentwicklung weiterhin so verläuft wie zuletzt 2023, nicht sehr spekulativ? 

Umgekehrt gefragt: Ist es weniger spekulativ, wenn man an alten Annahmen zur Geburtenentwicklung festhält, auch wenn inzwischen zwei Jahre in Folge die tatsächlichen Zahlen hinter den alten Annahmen zurückbleiben? Selbstverständlich können wir ebenso wenig wie andere mit Sicherheit vorhersagen, wie die Geburtenentwicklung weiter verlaufen wird. Es ist aber sicher, dass die beiden Jahre mit geringeren Geburtenzahlen reale Auswirkungen auf den Lehrkräftebedarf haben werden. In den Jahren 2022 und 2023 wurden 102.000 Kinder weniger geboren als von der KMK in ihren Berechnungen unterstellt. Diese Kinder werden also auch nicht in 2028 und 2029 eingeschult werden. Allein dies führt zu einer rechnerischen Reduktion des Lehrkräftebedarfs um ca. 6.500 Lehrkräfte bezogen auf den aktuellen Stellenschlüssel.  Diese rechnerische Betrachtung ist insofern vorsichtig zu interpretieren, weil das genaue Ausmaß an derzeit unbesetzten Stellen nicht bekannt ist. Ähnliches gilt für die Zahl der mit befristetem Personal besetzten Stellen. Hier ist es abhängig vom politischen Willen, Seiteneinsteigenden eine langfristige Perspektive für den Verbleib im Schuldienst zu eröffnen, wie es derzeit vielfach gefordert wird. Und ganz ausgeblendet ist natürlich die Frage, ob der derzeitige Stellenschlüssel überhaupt noch als angemessen betrachtet werden kann angesichts zunehmender pädagogischer Herausforderungen. 

Für die Folgejahre haben wir ein Szenario betrachtet. Da die Geburtenentwicklung auch in Zukunft volatil sein wird, bleibt es bei unserer zentralen Empfehlung, die Geburtenentwicklung engmaschig zu beobachten und dafür Sorge zu tragen, dass Veränderungen möglichst rasch in die Prognosen zu Schüler:innenzahl und Lehrkräftebedarf einfließen können. 

Noch ein Hinweis auf frühere Arbeiten von Klaus Klemm und mir: 2017 haben wir eine Studie veröffentlicht, um auf den baldigen starken Anstieg der Schülerzahlen in Folge steigender Geburten ab 2012 hinzuweisen. Auch damals hatten wir die offiziellen Vorausschätzungen korrigiert im Lichte der aktuellen Entwicklungen des Vorjahres. Diese Prognose erwies sich als sehr tragfähig, die Abweichung von den tatsächlichen Geburtenzahlen betrug maximal 2,5 Prozent. Dies galt bis 2021. Den ab 2022 einsetzenden starken Einbruch hatten wir 2017 nicht vorhergesehen. Ein Grund mehr, diese Entwicklung rasch und sorgsam zu beobachten. 

Führt die Prognose nicht dazu, dass jetzt weniger Abiturient:innen ein Studium für das Lehramt an Grundschulen aufnehmen oder die Hochschulen die Studienplatzkapazität verknappen? 

Das Veröffentlichen einer Prognose, die aktuelle Entwicklungen einbezieht und deren Folgen ausbuchstabiert, trägt zunächst zur Transparenz bei. Wie genau die Lenkungswirkung ausfällt – ob also eine Prognose etwa dazu führt, dass eine Entwicklung in Reaktion auf die Prognose gerade nicht eintritt –, ist maßgeblich von politischen Entscheidungen abhängig, die auf Basis der Prognose getroffen werden: Gibt es verbindlich vereinbarte Vorhaben, zusätzliche Lehrkräftestellen, z. B. für bildungspolitische Reformvorhaben wie Inklusion, Ganztag oder die gezielte Unterstützung von Brennpunktschulen, einzurichten? Werden diese Reformziele klar kommuniziert und in neue Bedarfsprognosen nachvollziehbar einberechnet? Wenn die Bildungspolitik klare Signale in Richtung angehender Studierender richtet, sollte dies eine Lenkungswirkung in die gewünschte Richtung entfalten.  

Die Studienplatzzahlen für Lehramtsstudiengänge werden in der Regel zwischen Wissenschaftsministerien und Hochschulen vertraglich vereinbart. Besteht ein politischer Wille, zusätzlichen Absolvent:innen eine Perspektive im Schuldienst zu bieten, gibt es keinen Grund, die Studienplätze zu reduzieren. Mit der Studie haben wir auf eine demografische Entwicklung (und ein mögliches Entwicklungsszenario) hingewiesen. Die Transparenz, die wir damit hergestellt haben, gibt der Bildungspolitik frühzeitig eine Möglichkeit, diese Entwicklung zu gestalten und ggf. auch gegenüber den Finanzpolitiker:innen zu begründen. 

Wurde in der Vergangenheit der tatsächliche Personalbedarf nicht häufig unterschätzt? Geht die Studie davon aus, dass der bisherige Personalschlüssel an Grundschulen weiterhin ausreichend ist? 

In der Tat kannte das Verhältnis von Schüler:innen auf eine Vollzeitlehrkraft in den letzten Jahren zumeist nur einen günstigen Trend zu immer weniger Schüler:innen je Lehrkraft (nur im letzten Berichtsjahr, dessen Daten gerade veröffentlicht wurden, hat sich das Verhältnis gegenüber dem von uns noch zugrunde gelegten leicht von 15,6 auf 16 verschlechtert). Zusätzliche pädagogische Aufgaben und Reformen, Veränderungen bei der Teilzeitquote, Fluchtmigration usw. können den Lehrkräftebedarf anwachsen lassen.  

In der Studie geben wir deshalb auch kein Plädoyer dafür ab, dass der von uns rechnerisch verwendete Schlüssel auch weiterhin der richtige ist. Im Gegenteil: Wir schlagen explizit pädagogisch sinnvolle Maßnahmen vor, die wir für dringend geboten halten. 

Der von uns verwendete Ansatz dient lediglich der Bestimmung einer Basisgröße. Wir fragen, ohne die pädagogische Angemessenheit zu bewerten: Wie viele Lehrkräfte bräuchte es künftig, um den derzeit geltenden Personalschlüssel in der Zukunft fortzuschreiben? Mit der so ermittelten Basisgröße wird es dann erst möglich zu quantifizieren, wie viele Absolvent:innen zusätzlich zur Verfügung stehen, um mit ihnen pädagogische Reformvorhaben (etwa die von uns empfohlenen) oder andere personalintensive Maßnahmen umsetzen zu können. 

Unser Ziel ist es, eine fachöffentliche Debatte zu diesen Fragen zu befördern, indem wir die sich abzeichnenden personellen Spielräume etwas genauer quantitativ eingrenzen. Dass es personelle Spielräume geben wird, ist auch gar nicht neu, denn die KMK geht ebenfalls ab 2027 von einem Absolvent:innenüberschuss von 1.555 Nachwuchslehrkräften aus. Der Unterschied besteht im Wesentlichen also in der insgesamt prognostizierten Größenordnung des Überschusses, nicht aber in der Frage, ob es zu einem Überschuss kommen wird. 

Warum unterscheidet sich die Schätzung der Bertelsmann Stiftung so stark von der Berechnung der Kultusministerkonferenz? 

Zunächst gilt wie oben bereits erwähnt: Auch die KMK geht davon aus, dass sich die Lage an den Grundschulen entspannen wird und rechnet ab dem Jahr 2027 mit einem Absolvent:innenüberschuss. Im ersten Jahr wird er nach Berechnung der KMK 1.555 Personen betragen und dann bis 2031 auf sogar 3.100 Personen anwachsen. In Summe über alle Jahre von 2023 bis 2035 beträgt der Überschuss ca. 6.300 Personen. 

Wir rechnen hingegen mit knapp 46.000 zusätzlichen Absolvent:innen. Der Unterschied beträgt also etwa 40.000. Mehr als 20.000 dieser zusätzlichen Absolvent:innen resultieren aus unserer Annahme einer geringeren Geburtenentwicklung. Die verbleibende Differenz lässt sich damit erklären, dass die KMK in Teilen bereits mit einem personellen Aufwuchs plant — für welche Reformvorhaben genau, lässt sich den Zahlen leider nicht entnehmen. 

Wird die in der Studie angenommene Entwicklung für Deutschland überall eintreten oder gibt es regionale Unterschiede, z. B. zwischen Ost- und Westdeutschland? 

Unsere Berechnungen gelten für Deutschland insgesamt. Diese Berechnung ist insofern leichter, weil Unterschiede zwischen den Regionen und Bundesländern hier nicht berücksichtigt werden müssen und für das Ergebnis auch keine Rolle spielen. Bei einer granularen Betrachtung, etwa auf Landesebene, fällt natürlich ins Gewicht, ob möglicherweise der Überhang an Lehramtsanwärter:innen an ausbildenden Hochschulen in einem Bundesland entsteht, die Lehrkräfte aber nicht bereit sind, für eine offene Stelle in ein Bundesland mit Bedarf umzuziehen.  

Auch die Geburtenentwicklung unterscheidet sich natürlich stark regional. Entscheidend für unsere Betrachtung in der Studie: Bei aller Unterschiedlichkeit verzeichnen ost- und westdeutsche Bundesländer sowie die Stadtstaaten einen simultanen Geburteneinbruch in vergleichbarer Größenordnung in den Jahren nach 2021. Lediglich das Saarland stellt hier eine Ausnahme dar und hatte zuletzt einen Anstieg der Geburten zu verzeichnen.  

 


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Ein unerwarteter Hoffnungsschimmer: Der Lehrermangel in der Grundschule ist bald vorbei – Schule-Lernen-Bildung im 21. Jahrhundert (schule21.blog) 

Blogbeitrag zur Studie von 2017:

„Demographische Rendite“ war gestern: Deutschlands Schüler werden wieder mehr! – Schule-Lernen-Bildung im 21. Jahrhundert (schule21.blog)

 

Wichtige Links im Zusammenhang mit dem Q & A: 

Prognose der KMK aus September 2023: Dok_237_Vorausberechnung_Schueler_Abs_2022_2035.pdf (kmk.org) 

Download der Studie der Bertelsmann Stiftung in Zusammenarbeit mit Prof. Klemm unter Der Lehrkräftemangel an Grundschulen ist bald überwunden (bertelsmann-stiftung.de)